Im Rahmen dieses Tages bieten viele Berliner Moscheen Führungen, Vorträge, Ausstellungen, Folklore, Informationsmaterialien und Begegnungsmöglichkeiten an.
Im Gegensatz zu Pferden ist das Tragen von Scheuklappen beim Menschen negativ besetzt. Doch unsere Gegenwart ist geprägt durch eine riesige Informationswelle, die uns permanent digital und analog überflutet. Und wer beispielsweise durch die quirlige Bergmannstraße geht, weiß, dass viele Scheuklappen tragen, um der geballten Reizüberflutung zu entgehen. Im Hinterhof der Bergmannstraße 109 findet sich eine Ruheoase. Ein ehemaliges Kino aus den 1970ern mit dicken Backsteinmauern ist heute der Standort der HOTO Galerie. Dort ist aktuell die Ausstellung „Hannah Hallermann. Information“ zu sehen. Die Künstlerin reflektiert in ihren Werken die Überforderung durch Informationen und lenkt den Fokus auf Entschleunigung. Wenn nötig auch mit Scheuklappen.
Hannah Hallermann (* 1982 in Nürnberg) studierte Bildende Kunst, Philosophie und Kunstgeschichte u. a. in Nizza und Dresden. In ihren multidisziplinären Arbeiten beschäftigt sie sich mit gesellschaftlichen Strukturen und sozialen Geflechten. Ihre Ausstellung „Information“ thematisiert den Umgang mit Informationen in einer Zeit, in der alle jederzeit mit allen kommunizieren können. Filtern und Selektieren kann überfordern, ist überfordernd. Hallermann spielt mit der Überforderung und provoziert diese beim Betreten des kleinen Flurs zu den Ausstellungsräumen durch eine Lichtinstallation. Von der Decke des Durchgangs strahlt kaltblaues Neonlicht, das immer wieder kurz und blitzartig aufflackert. Der unerwartete Lichtwechsel verengt den Blick, löst Irritation aus und stimmt auf die kommenden Ausstellungswerke ein.
Einzelne Objekte sind in einem großen, langgestreckten Raum positioniert oder an den Wänden verteilt. Hallermanns aktuelle Serie „Scheuklappen/ Adjusters“ setzt sich aus unterschiedlich großen Skulpturen aus Metall und Resin (Gießharz) zusammen, die Augenabdeckungen nachempfunden sind. Raumgreifend ist die über zwei Meter hohe Arbeit "SK Adjuster" (2024) aus Silber und hydroformierten Metall. Wie zwei dicke Kissen stehen sich die riesigen Scheuklappen gegenüber, warten darauf, die Besucher*innen einzuhüllen. Immer wieder ermöglichen Scharniere, die Klappen zu bewegen.
Hallermanns Skulpturen schaffen auch gedanklichen Bewegungsspielraum, indem die Besucher*innen selbst entscheiden können, wie nahe sie die Scheuklappen an sich ranlassen. Wie weit soll das Wahrnehmungsfeld eingeschränkt und der Fokus nur auf sich selbst gerichtet werden?
An den Wänden ergänzen Arbeiten aus der Serie „Medusa“ von 2024 die Ausstellung. Eingefasst in Rahmen, vakuumierte die Künstlerin EEG-Elektroden. Von der Max-Planck-Stiftung zur Verfügung gestellt, messen diese Kabel eigentlich Hirnströme. Die tänzelnden Drähte in Rot, Schwarz, Weiß oder Blau schlängeln sich pflanzenartig aus der Steckerwurzel heraus und enden in den Noppen, die an Knospen erinnern. Bei Medusa II und Medusa VI liegen diese hinter einer milchigen Oberfläche, wie durchschimmernde Adern unter der Haut. „Medusa“ wird zu einem Relikt, einer Erinnerung der Informationen, die nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr zugänglich sind. Hallermann entkoppelt das Messinstrument von seiner Funktion und inszeniert es als ein für die Ewigkeit haltbar gemachtes Informationsherbarium.
Die Installation „Insight“ von 2024 bricht mit den seriellen Arbeiten. Ein länglicher Kubus auf dem Boden, peripher am Ende des Raums, wartet unscheinbar auf Besucher*innen. Erneut flackert Licht – eine grüne Leuchtschrift, das Textband bleibt unlesbar. Zu schnell erscheint und verschwindet das Wort. Erst nach langer Betrachtung lässt sich der Begriff „Insight“ entschlüsseln. Die Arbeit ist beispielhaft für den Umgang mit dem Unbekannten.
Lassen wir uns auf die gegebene Information ein, nehmen wir uns die Zeit für eine Auseinandersetzung? Oder bleibt sie verschlüsselt, weil wir uns ablenken lassen und zur nächsten Neuigkeit weiterhuschen?
In „Information“ begegnet Hannah Hallermann mit einer klaren Formensprache und partizipativen Elementen dem Geist der Zeit punktgenau. Die vermeintliche Kälte von Metall, sterilem Resin, gekappten Kabeln und anonymer Elektrotechnik treffen auf voluminöse, schutzbringende und organische Formen. So regt die Künstlerin an, sich aus dem Dilemma der ständig verfügbaren Informationen zu befreien. Die Scheuklappen sollten nicht abgelegt, sondern vielmehr getragen werden.
Hannah Hallermann. Information
27. April bis 14. Juni 2024
Mi. – Sa. 13 – 18 Uhr
Eintritt Frei
HOTO Galerie
Bergmannstraße 109
mail@hotoart.de
www.hotoart.de
Titel zum Thema HOTO Galerie:
Mit Scheuklappen durch die Welt. Hannah Hallermann in der HOTO Galerie
läuft nur noch bis 14.6.2024 --> Ausstellungsbesprechung
Galerie Alte Schule im Kulturzentrum Adlershof
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