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Berlin Daily 10.12.2024
Künstler*innengespräch

19 Uhr: mit Professorin für Medienkunst an der HGB Leipzig, Christin Lahr und den Künstler*innen der Ausstellung "Crimes of Carelessness (the deep and the foamy)" (engl.). VILLA HEIKE | Freienwalder Str. 17 | 13055 Berlin

Beton im Koffer. CARGO - of Dust and Ashes

von Katja Hock (31.10.2024)
vorher Abb. Beton im Koffer. CARGO - of Dust and Ashes

Lila Loisse, Cargo, 2024, hay bale with textile, 88 x 36 x 46 cm. Photo: Roberts Jansons. Courtesy of the artist.

Im Schaufenster von ERIAC, dem European Roma Institute for Arts and Culture, brennt es auf einem Bildschirm. Aus einem demolierten Koffer quellen Trümmersteine. Ein Heuballen wurde mit orangenen Spanngurten an der Eingangswand befestigt.
Assoziationen von weiten Landschaften, Zurücklassen und melancholischem Heimweh prägen die aktuelle Gruppenausstellung CARGO - of Dust and Ashes in der ERIAC Gallery. Charly Bechaimont (FR), Anita Horváth (HU) und Lila Loisse (UK) befassen sich in Video-, Text-, Fotografie- und Installationsarbeiten mit der Roma-Geschichte ihrer Vorfahren, ihrer Gemeinschaft und ihrer persönlichen Prägung.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurden neben Jüdinnen und Juden, politisch Verfolgten, Homosexuellen, Behinderten und anderen den Nationalsozialisten missliebigen Menschen auch 500.000 Roma und Sinti ermordet. Erst in den 1960er Jahren begann in der Bundesrepublik eine langsame Aufarbeitung des Traumas, das jedoch als kollektives Erbe von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Anlässlich des Europäischen Holocaust-Gedenktages der Sinti und Roma am 02. August zeigt das European Roma Institute of Arts and Culture Positionen aus verschiedenen europäischen Roma-Gemeinschaften und wirft einen Blick auf die jüngste Künstlergeneration mit Roma-Hintergrund und deren Geschichte. Kuratiert wurde die Ausstellung von Emese Molnár | RomaMoMA.

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Charly Bechaimont, in front of Untitled, 2022, <<Valise>>. Photo: Nihad Nino Pušija


Ein kleines, ungerahmtes Foto an der Wandseite hinter der Glastür eröffnet die Ausstellung. Ein Familienporträt mit acht Personen. Vom Kleinkind- bis zum Erwachsenenalter, alle mit ernster Miene, sind sie ordentlich platziert und vor einer Holztür aufgereiht. Das Sepia-Foto ist abgegriffen, an den Rändern stumpf und zum Teil fleckig. Es trägt den Titel We Never Made the War (2023) und ist ein Familienfoto von Charly Bechaimont. Der Künstler, 1991 in Saint-Dié-Des-Vosges geboren, arbeitet weitgehend transdisziplinär und vor allem autobiografisch. In Zusammenarbeit mit Aurélie Jouanen präsentiert der Künstler in Untitled (2022) seine Auseinandersetzung mit der Zugehörigkeit einer "fahrenden Gemeinschaft"(Charly Bechaimont), die mit Schmutz, Gewalt und anderen gängigen Klischees in Verbindung gebracht wird. Untitled - der Koffer, der bereits durch das Schaufenster zu sehen war, wirkt wie zurückgelassen. Sein schwarzer Deckel ist bedeckt mit Staubflecken und ächzt unter seinem schweren Inhalt. Charly Bechaimont verwendete für die Füllung Asphalt und Beton-Stücke seines Schulwegs aus der Grundschule. Offensichtlich verbindet das Werk als Objekt der Erinnerung, Mahnung und Bewahrung Vergangenheit und Zukunft.

Gleich daneben befindet sich die Videoarbeit Penaa Menge Tchi (2023) von Lila Loisse. Der Bildschirm teilt sich in zwei Aufnahmen einer mediterranen Landschaft, wovon auf der linken Hälfte derweilen ein Feuer lodert, es knistert in leise. Während auf der rechten das Feuer bereits verglüht ist und nur noch die qualmende Überreste zurückbleiben. Ein Vogel schaut skeptisch auf das Szenario der Vergänglichkeit. Penaa Menge Tchi – Wir sagen nichts thematisiert die Ambivalenz traditioneller Zeremonien wie Bestattungen, in denen der Mensch mit seinem gesamten Hab und Gut dem Feuer übergeben wird. Loisee beschreibt die Beziehung zu Verlust und Trauer in ihrer Gemeinschaft als etwas Unaussprechliches. Aufarbeitung und Zugang zur eigenen schmerzlichen Geschichte erscheinen hier herausfordernd. Die Künstlerin mit Sinti-Manouche- und marokkanischen Wurzeln setzt sich mit Traumata und Tabus auseinander, die mit der Vergangenheit ihrer Familie, aber auch mit ihrem eigenen kulturellen Hintergrund und ihrer Identität verbunden sind.

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Anita Horváth in front of You Are Not Like Them, 2024, concluding image of photo series, print on textile, 150 x 189 cm. Photo: Nihad Nino Pušija


Im Gegensatz zu den genannten Arbeiten von Bechaimont und Loisse strahlt You Are Not Like Them (2024) von Anita Horváth eine triumphierende Kraft aus. Die großformatige, auf Textil gedruckte Fotografie zeigt eine Person in Rückenansicht, den Oberkörper bis auf eine weiße Hose entblößt, vor einem strahlend blauen Himmel. Breitbeinig steht sie da, die dunklen langen Haare wehen leicht. In der geballten Hand hält sie ein geblümtes Tuch und streckt es gen Himmel. Assoziationen wie Befreiung und Triumph drängen sich auf. Horváth thematisiert in ihrer Serie die doppelte Minderheitsposition von Roma-Frauen. So berichtet sie: „Als ich mich mit anderen Roma-Frauen unterhielt, stellte ich fest, dass es in bestimmten Lebensabschnitten und -situationen Redewendungen gibt, die - auch wörtlich - in jedem unserer Alltagssituationen vorkommen. Um mit diesen Sätzen und Satzfragmenten etwas anfangen zu können - abgesehen davon, dass sie teilweise für Roma-Frauen relevant sind - muss man nicht als Roma oder Frau geboren sein. Diese Sätze, die als Urteile angesehen werden könnten, könnten sogar bleibende Narben verursachen“. Mit ihrer Selbstdarstellung löst sie sich von traditionellen Rollenbildern und Stereotypen. Anita Horváth (1997), geboren in Székesfehérvár, studierte an der Budapest Metropolitan University und fokussiert sich auf fotografische Dokumentation der ungarischen Roma.

CARGO - of Dust and Ashes ermöglicht eine Annäherung an ein schmerzliches Thema, das Generationen noch immer prägt. Durch Anordnung und Auswahl der Arbeiten ist das Bedürfnis nach Aufarbeitung und emotionaler Transparenz deutlich spürbar. Die Auseinandersetzung mit Flucht, Aufbruch, Verlust und Zugehörigkeit strahlt dabei mit großer Sensibilität und Kraft.

CARGO– of Dust and Ashes. Charly Bechaimont, Anita Hováth, Lila Loisse

Ausstellungsdauer: 02. August bis 01. November 2024

Öffnungszeiten: Mo – Fr. 10-17 Uhr

ERIAC. European Roma Institute of Arts and Culture
Reinhardtstraße 41-43
10117 Berlin, Germany
E-mail: eriac@eriac.org
Tel.: +49 (0)30 40 633 733
eriac.org

Katja Hock

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Titel zum Thema ERIAC:

Beton im Koffer. CARGO - of Dust and Ashes
Nur noch bis morgen: Das European Roma Institute of Arts and Culture zeigt künstlerische Positionen aus verschiedenen europäischen Roma-Gemeinschaften.

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