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Berlin Daily 23.01.2025
Artist Talk und Katalogpräsentation

19 Uhr: Matthias Flügge, Kunsthistoriker, im Gespräch mit Mark Lammert im Rahmen der Ausstellung: "Mark Lammert: REVOLUTIONSSPLITTER" Galerie Pankow | Breite Straße 8 | 13187 Berlin

Hörner/Antlfinger im TA T – Tieranatomisches Theater: Zusammen mit Karl. Wir gedenken.

von Maximilian Wahlich (22.10.2024)


Hörner/Antlfinger im TA T – Tieranatomisches Theater: Zusammen mit Karl. Wir gedenken.

Hörner/Antlfinger, Karl am Strand, 2016, Fotografie, Leuchtkasten
Foto: Hörner/Antlfinger


Karl pickt rum. Er ist hellgrau gekleidet mit einem kräftig roten Akzent. Karl kann bis zu 60 Jahre alt werden und ist ca. 35 cm groß. Er ist kräftig und schlau. Er weiß genau, wie er an sein Futter kommt: Schnabel und Krallen greifen jede Frucht und knacken jede Schale. Karl ist ein Graupapagei und bildete, mit seiner Artgenossin Clara, und dem Paar Ute Hörner und Mathias Antlfinger das Kollektiv CMUK – Clara, Mathias, Ute, Karl. Ein starkes Team. Nun haben sie diese kleine, sehr feine Ausstellung "Parrot Terristories" im TA T – Tieranatomisches Theater auf die Beine gestellt. Zusammen schufen sie Kunstwerke – allerdings ein unpassender Begriff, da die Ausstellung vom gemeinsamen Leben handelt. Es geht um das Zusammenleben von „Natur“ und Mensch. Menschen genießen, konsumieren, kolonisieren, nutzen, archivieren, .., die „Natur“ und so sind Karls Artgenossen vermutlich häufiger in Haushalten von Menschen zu finden als in der freien Natur.

Auch Karl wurde in der Natur eingefangen, über ein Tierheim verkauft und kam so zum Kollektiv. Sodann hat sich das Vierergespann auf eine Reise begeben: Ihr Rechercheprozess mündet schließlich in insgesamt 16 unterschiedlichen Szenerien. Jede davon feinfühlig, sensibel und in ihrer Gesamtheit sind die einzelnen Stränge gut erzählt. Als erstes sehen Besucher*innen ein angefressenes Buch (1), angenagte Kartonagen und eine Ansammlung von Skulpturen, die insgesamt vier Papageien aus massiven Korkstämmen rausgehackt haben. Sie erinnern an Termitenstämme, Baselitz` Holzfiguren und an verfallene Natur. Die klassisch naturwissenschaftliche Inszenierung in einer großen Vitrine nimmt das Werk der Papageien sehr ernst, verleiht ihnen künstlerische Aufmerksamkeit. Anschließend erzählt ein Video aus einem Naturreservat und ein Videoausschnitt über das Tiersterben. Zusammengefasst: die aktuelle Situation der Papageien in der Natur ist höchst prekär, sie sind vom Menschen sehr begehrte Tiere.

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Hörner/Antlfinger, The Sky Is Our Sea And The Trees Are Our Land, 2024, Videostill
© Hörner/Antlfinger


Freilebende Graupapageien gibt es nicht viele, weil sie zum Statussymbol geworden sind – nur lassen sie sich eben nicht so einfach reproduzieren wie ein Auto und deswegen gibt es kaum noch welche. Der Hype um diesen wundersam schönen und klugen Vogel begann schon früh, erste Karten aus dem 15. Jahrhundert befassen sich mit seiner Ausbreitung. Die Videoarbeit „Unknown Parrot with princess“ (2015-2017) zeigt zahllose Gemälde (2), in denen Vögel als Zierwerk für „Exotik“ oder „Bürgertum“ oder „Weiblichkeit“ benutzt wurden (3).
Mit der Aufklärung und der Kolonialzeit wurden der Graupapagei – wie viele Tiere und die Natur im Allgemeinen – zum Forschungsgegenstand, dann zum Objekt und schließlich zur Ware. Naturkundliche Sammlungen bewahren ganze Schubladen voller Leichen. Ein Reservoir der Toten. Lebendig aber waren die Tiere in ihrer Heimat noch von sozialer und kultureller Bedeutung, hatten ihren Platz in Sagen, Mythen und selbstverständlich auch in ihrem Habitat. Nun sind sie tot, die Leichen werden in der bildmächtigen, nüchternen Videoaufnahme „The sky is our sea and the trees are our land“ (2024) eine nach der anderen vor der Kamera gezeigt. Cut. Toter Vogel. Cut. Toter Vogel - da liegen sie, eingefallene Augen, Federn ohne Glanz. Was haben wir Menschen nur getan? Gemeinsam mit dem Naturkundemuseum zeigt das Kollektiv in einer Vitrine unseren „wissenschaftlichen“ Umgang mit dem Papagei – Taxonomie, Vermessung, 3D-Scan und dann zum Leben erweckt? Pickt sein digitaler Körper wieder Körner? Nee, der Papagei ist tot und hat eine Inventarnummer, wir Menschen sind zum Erbrechen empathisch.

Karl ist mittlerweile auch verstorben, aber er hat keine Nummer bekommen. Seine Kolleg*innen Hörner und Antlfinger haben ihm mit „Karl`s Island“ (2019) ein Denkmal gesetzt: im mittleren Raum liegt eine smaragdgrüne Decke (4) auf dem Boden, davor ein Foto des Vogels. Die Decke, eher Leichentuch, das Foto eines munter herumspazierenden Karls und die lautstarken Papageingeräusche im Hintergrund sind eine starke Geste. Sie gedenken Karl, zusammen machen sie ihn so lebendig wie eine gelungene Trauerrede.
Es geht um Verlust – Karl ist tot, eine Spezies stirbt aus, die „Natur“ ist bedroht vom Vielfraß Mensch. Das Kollektiv kritisiert die mörderische Neugier des Menschen, die naive Faszination und seinen Expansionswillen (Lebensraum vermarkten, Natur kaufen). Der Papagei wird in dieser Ausstellung zum Apologeten gegen Zugriff und Vernichtung.

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Hörner/Antlfinger, DIE WELT IN DER WIR LEBEN, 2016, Fotografie
Foto: Hörner/Antlfinger


Kratzen Hacken Picken Schlagen Zerstören - die deutlichen Geräusche kommen aus einer verkleinerten Nachbildung des Grundrisses der Wohnung des Kollektivs. Diese Wohnung ist angenagt, überall liegen Späne von Pappwänden, Holzrahmen. Die Papageien waren offensichtlich nicht ganz zufrieden mit der neuen Behausung der Menschen, zu kantig, zu gerade, zu kahl. Also haben sie nachgeholfen, mit Energie und Beharrlichkeit an ihrer wohnlichen Umgebung gearbeitet – passenderweise heißt die Arbeit „Dollhouse for dinosaurs“ (2021). Diese Ausstellung ist papageinfreundlich, an einer Stelle hilft eine Steigleiter Papageien beim Hochlaufen, die anderen Orte sind im Flugmodus zu erreichen (5). Die Ausstellung zieht einen roten Faden, vom Mensch-Papagei-Kollektiv, der dramatischen Lage heute, über die historischen Weiten des 14. Jahrhunderts in die Naturkundesammlung bis zum Papagei Karl und zurück zu den Seinen. Jetzt lebt Karl nicht mehr, die Botschaft kam an.

(1): es gehört zum Humor der Ausstellung, dass dieses Buch eine Naturgeschichte, natürlich aus Perspektive der Menschen, imaginiert.

(2): es scheint, als hätte Karl die Werkauswahl getroffen, denn die Reihe kehrt die Priorität um „Unbekannter Papagei mit Prinzessin“

(3): in einer persischen Niederschrift aus dem 14. Jahrhundert erzählt ein Urahne von Karl Geschichten mit moralischen Botschaften. Nun werden Karl diese Geschichten vorgelesen, „Rereading the Tooti Nameh“ (2015)

(4): auch hier ist der Witz, dass die Kleckse auf der Decke Abdrucke von Karls Kot sind.

(5): der Papagei Giselle ist neu im Kollektiv, eine Videoarbeit versetzt sich in sie hinein. Zu sehen ist ihr Blickfeld, auf der Suche nach bunten Blüten.

Hörner/Antlfinger
Parrot Terristories
In Zusammenarbeit mit Nick Byaba und CMUK
Kuratiert von Felix Sattler

11. Oktober 2024 – 29. März 2025

Öffnungszeiten: Di – Sa, 14 – 18 Uhr
(an gesetzlichen Feiertagen geschlossen)
Eintritt frei

TA T – Tieranatomisches Theater
Raum für forschende Ausstellungspraxis an der Humboldt-Universität zu Berlin
Campus Nord, Philippstraße 13/Haus 3
10115 Berlin
tieranatomisches-theater.de

Maximilian Wahlich

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Hörner/Antlfinger im TA T – Tieranatomisches Theater: Zusammen mit Karl. Wir gedenken.
Besprechung: Karl ist ein Graupapagei und bildete, mit seiner Artgenossin Clara, und dem Paar Ute Hörner und Mathias Antlfinger das Kollektiv CMUK – Clara, Mathias, Ute, Karl. Ein starkes Team.

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