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Berlin Daily 13.02.2025
Künstlerinnengespräch mit Julia Rosenbaum

19 Uhr: im Rahmen der Ausstellung "Glowing Attraction" Haus am Kleistpark | Grunewaldstraße 6–7 | 10823 Berlin

Mauerfall-Reflexionen. Ein Blick zurück nach vorn

von chk (28.01.2025)
vorher Abb. Mauerfall-Reflexionen. Ein Blick zurück nach vorn

Nadja Buttendort, Ossi/Wessi, WENDEpailletten-Aufnäher, 2024, Foto: art-in-berlin

Am 9. November 1989 fiel die Mauer. Die kommunale Galerie Adlershof im Kulturzentrum Alte Schule beleuchtet die Wiedervereinigung aus der Sicht einer jüngeren Künstlergeneration. Alle Künstler und Künstlerinnen, die an der Gruppenausstellung "Die Kids sind nicht alright!" teilnehmen, wurden Ende der 1970er oder in den 1980er Jahren geboren und erlebten den Mauerfall somit als Kinder. Ihre verschiedenen künstlerischen Ansätze spiegeln dabei die Komplexität und die anhaltende Bedeutung dieser historischen Periode für die deutsche Gesellschaft wider.
So wird das Thema unter menschlichen, historischen und politischen Aspekten künstlerisch untersucht. In vielen Arbeiten liegt ein Schwerpunkt auf dem Privaten, das heißt, auf persönlichen Erfahrungen und der eigenen Familiengeschichte. Individuelle Erlebnisse veranschaulichen die Auswirkungen der Wende beispielsweise bei Susan Donath, die uns mit einer schwarzen Urne und der Aufschrift "Stasi-Akten Familie Donath" konfrontiert. Die Arbeit "Urne (work in progress)" setzt sich mit ungeklärten Fragen ihrer Familiengeschichte auseinander. Dabei steht der Wunsch nach Aufarbeitung der Angst vor der Konfrontation mit der Vergangenheit gegenüber.

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Susan Donath, Urne (work in progress), keine Angaben, 2009, Foto: art-in-berlin

Sophia Hirsch erzählt in ihrer Graphic Novel "Die Ästhetik des Scheiterns" die Geschichte ihres homosexuellen Vaters in der DDR und geht den Herausforderungen nach, mit denen er nach dem Mauerfall konfrontiert war. Hirsch ergründet, wie sich gesellschaftspolitische Transformation auf die persönliche Verflechtung von Identitätsfindung auswirkt. Auch David Polzin thematisiert seine eigene Geschichte und rekonstruiert in seiner Installation "Atmung der Verwahrlosung" sein letztes Jugendzimmer. Dabei verknüpft er private Gegenstände mit künstlerischen Elementen und reflektiert die schwierigen sozialen Bedingungen in der Nachwendezeit, die geprägt waren von Arbeitslosigkeit und dem Umbau des öffentlichen Raums. Alle drei Ansätze zeigen wie sich der politische Wandel auf das Private auswirkt und wie individuelle Schicksale mit den gesellschaftlichen Umbrüchen der Nachwendezeit verbunden sind.

In einem spielerischen und interaktiven Ansatz untersucht hingegen Nadja Buttendorf die deutsch-deutsche Geschichte. Mit ihren "WENDEpailletten-Aufnähern" und dem "Ossi/Wessi Nähcafé" lädt sie die Besuchenden während ihrer Näharbeiten zum Gespräch über die Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands ein. Vielleicht wird sogar über Produktionsbedingungen sowie Fragen zu Arbeit und Identität gesprochen, angeregt durch das zweite Projekt der Künstlerin. "Robotron - a tech opera" ist eine Art Seifenoper, in der sie humorvoll und kritisch die Nachwendegeschichte des VEB Kombinat Robotron, dem größten Computerhersteller der DDR, aufrollt.

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Florian Kunert, Fortschritt im Tal der Ahnungslosen, Dokumentarfilm, 66 Min., 2019, Foto: art-in-berlin

Diese eher historische und politische Spurensuche betreibt auch Florian Kunert in seinem Dokumentarfilm "Fortschritt im Tal der Ahnungslosen". Er verbindet Archivbilder mit aktuellen Aufnahmen, um die Geschichte des ehemaligen DDR-Kombinats "Fortschritt" zu erzählen und die Gegenwart mit der Vergangenheit zu verknüpfen. Die Maschinen aus dem Kombinat wurden früher nach Syrien geliefert. Heute wohnen neben der ostdeutschen Industrieruine syrische Geflüchtete. Aus den Gesprächen mit ehemaligen Beschäftigten und den Geflüchteten entsteht eine überraschend komische Melange.

"Nimm Deine Interessen selber wahr, überlasse das nicht anderen Gremien" heißt es auf überall im Raum verstreuten Kopien des Neuen Forums vom 23.10.1989 eingebunden in die Installation "Es gibt keine Angst" von Anna Zett. Anna Zett erforscht ebenfalls den politischen Aspekt der Wende und fragt nach den Spuren der Unterdrückung. Sie verwebt Archivmaterial aus dem Berliner Archiv der DDR-Opposition mit Untergrundmusik der späten DDR und Fernsehbildern. Im Zentrum der Arbeit steht die zweite Besetzung der Berliner Stasi-Zentrale mit einem Hungerstreik der Besetzenden 1990. Die Künstlerin untersucht das Gefühl der Angst als politische Kategorie und fragt nach den Spuren der Unterdrückung, die bis in die Gegenwart reichen.

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Oskar Schmidt, Stillleben mit ORWO-Schwarzweiß-Filmen (VEB Fotochemisches Kombinat Wolfen), Eitempera und Öl auf Holz, 2023, Foto: art-in-berlin

Überraschender Weise stößt man zu guter Letzt in der Ausstellung noch auf Stillleben, gemalt in altmeisterlicher Mischtechnik mit Eitempera und Öl. Oskar Schmidts Bilder zeigen Alltagsgegenstände aus der DDR wie bspw. die im Osten allseits bekannten ORWO-Schwarzweiß-Filme. Offensichtlich zitiert Schmidt den sozialistischen Realismus der späten Leipziger Schule und verweist auf Defizite in der westdeutsch geprägten Kunstgeschichte. Es geht ihm um Fragen der Erinnerung und der künstlerischen Identität, die seine eigene Position genauso betrifft wie die kritische Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Geschichte.

Die Ausstellung "Die Kids sind nicht alright!" bietet einen vielschichtigen Blick auf die Nachwendezeit und die Auswirkungen der deutschen Einheit auf die junge Generation. Die Verbindung von Individuellem und Gesellschaftlichem findet sich in all den gezeigten Ansätzen. Doch pointiert stehen die einzelnen Positionen im Dialog und ergänzen sich auf äußerst anregende Weise. Es macht Spaß, sich auf diese vielfältigen Werke einzulassen und zu verfolgen, wie die Künstler:innen sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen und dabei individuelle und zugleich gesellschaftlich relevante Sichtweisen auf die deutsch-deutsche Geschichte veranschaulichen.

Ausstellungsdauer: bis 31. Januar 2025

Öffnungszeiten:
Di – Do 12 – 19 Uhr
Fr 12 – 17 Uhr
Sa 15 – 19 Uhr

Galerie Adlershof im Kulturzentrum Alte Schule
Dörpfeldstraße 54-56
12489 Berlin
galerie-alte-schule-adlershof.de


chk

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Titel zum Thema Galerie Adlershof im Kulturzentrum Alte Schule:

Mauerfall-Reflexionen. Ein Blick zurück nach vorn
Noch bis Freitag (31.1.25) läuft die Ausstellung "Die Kids sind nicht alright!", die einen vielelschichtigen Blick auf die Nachwendezeit und die Auswirkungen der deutschen Einheit auf die junge Generation bietet.

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