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Berlin Daily 18.07.2025
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18 Uhr: Antonia Rötger für das Faktenchecken mit einfachen Techniken und praktischen Übungen, ein im Rahmen der Ausstellung: „Schlaustärke. Klimaschutz statt Fake News“ Global Group 3000 | Leuschnerdamm 19 | 10999 Berlin

Perserteppiche aus der DDR. Sung Tieu in den KW BERLIN

von Maximilian Wahlich (23.02.2025)
vorher Abb. Perserteppiche aus der DDR. Sung Tieu in den KW BERLIN

Installationsansicht der Ausstellung: Preis für künstlerische Forschung der Schering Stiftung 2024: Sung Tieu – 1992, 2025
in den KW Institute for Contemporary Art, Berlin 2025, Courtesy die Künstlerin, Foto: Frank Sperling.


Der Perserteppich gilt als ein besonders edles Stück textiler Handwerkskunst. Die wertvollen Teppiche dienen als Dekoration und zugleich als Schutzschicht für den darunterliegenden Boden. Sung Tieu, die im letzten Jahr den Preis für künstlerische Forschung der Schering Stiftung erhielt, hat für ihre damit zusammenhängende Ausstellung in den KW Institute for Contemporary Art drei Perserteppiche ausgelegt, allerdings: Hergestellt in der DDR. Ebenso wie der Westen suchte auch die DDR neue Absatzmärkte und fand diese in Ländern und Staaten fernab ihrer eigenen Ideologie wie zum Beispiel in der Türkei. In das attraktive Geschäft mit der „Exotik“, dem „Fremden“ wurden Hoffnungen gesetzt. Das Produkt „Perserteppich“ war erfolgreich.

Tieus 15 Rauminstallationen werden in den KW unter dem Titel 1992, 2025 zusammengefasst. Der Werkkomplex untersucht 3 historische Phasen: Auf der ersten Etage findet sich der Prolog über das Anwerbeabkommen zwischen DDR und Vietnam ab 1980. Etwa 60.000 vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen kamen in die DDR. Vereinfacht dargestellt, entspricht das dem Pendant zum Westen. Auf beiden Seiten herrschte eine ausbeuterische Matrix.

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Installationsansicht der Ausstellung: Preis für künstlerische Forschung der Schering Stiftung 2024: Sung Tieu – 1992, 2025
in den KW Institute for Contemporary Art, Berlin 2025, Courtesy die Künstlerin, Foto: Frank Sperling.


Hauptteil der Ausstellung sind die krassen Auswirkungen nach dem Zusammenbruch der DDR, dem Mauerfall. Lebensrealitäten klafften auseinander: Für Menschen aus dem Westen eröffneten sich neue Ressourcen, für viele Menschen in der DDR bedeutete das den Verlust ihrer Arbeitsplätze. Und für die Menschen aus Vietnam stand plötzlich ihr Aufenthaltsstatus infrage. Anfang der 1990er-Jahre folgten Aufmärsche und massive Attacken von Neonazis. Rassistische Strukturen kommen offen zum Tragen. Menschen werden bedroht und müssen sich eine neue Existenz aufbauen. Manche verdienen ihren Lebensunterhalt in rechtlichen Grauzonen.

Auf der oberen Ebene wird die Erzählung zur heutigen Situation der vietnamesischen Minderheit in Deutschland abgeschlossen. Dabei behandelt Sung Tieu unter anderem einen Konflikt, wo sie gemeinsam mit anderen Aktivist*innen aus einer Ausstellungsbeteiligung ausgeschlossen wurde. Dieser Konflikt setzt einen strukturellen Ausschluss fort.
Es folgt ein knapper Epilog mit Blick auf die Nachbarschaft der KW in Berlin-Mitte. Nach dem Mauerfall haben Menschen aus dem Westen die Immobilien ausgeschlachtet. Hier kostet nun ein Quadratmeter einer Eigentumswohnung Minimum 10.000€. Da braucht es keinen Teppich mehr, der nackte Boden ist teuer genug.

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Installationsansicht der Ausstellung: Preis für künstlerische Forschung der Schering Stiftung 2024: Sung Tieu – 1992, 2025
in den KW Institute for Contemporary Art, Berlin 2025, Courtesy die Künstlerin, Foto: Frank Sperling.


Diese Wertschöpfung ist längst abgeschlossen. Menschen wissen heute, was ihr Sofa, Tisch, Stuhl, Aschenbecher, Sideboard, Anrichte und Sessel wert sind und welcher Stil der aktuellen Mode entspricht. So eine Zimmereinrichtung der DDR ist heute chic und hängt nun in der Ausstellung etwa 3 Meter über den Teppichen frei in der Luft. Diese Möbel wurden während der Ausstellungsplanung über ebay erworben und stehen symptomatisch für den Umgang vieler Menschen mit der Geschichte: Sideboard als sozialistische Romantik, Tisch als nostalgisches Zitat. Die Möbel hängen im Durchbruch zur oberen Etage. Ein Zwischenraum, den niemand betreten kann, eine Art Heterotopie: ein definierter Raum mit undefinierten Gesetzen. Die Möbel schweben unbewegt in der Luft. Wirken starr und leblos.
Sung Tieus Ästhetik ist aufgeräumt. Kühl und minimalistisch. Dabei denkt die Künstlerin nicht abstrakt, es geht um keine mathematische Logik. Ihre Werke verfolgen einen intuitiven Zugang. Durchbruch als Schwelle, als Zwischenraum. Artikel zu rechtsextremen Angriffen der 1990er-Jahre auf Klamotten gedruckt als Sinnbild, wie sehr Angst und Gefahr vor rassistischen Attacken an einem haften. Ein schmerzhafter Briefaustausch ist so in Spiegel eingraviert, dass das Lesen schmerzt.

1992, 2025 ist eine in sich geschlossene Werkgruppe, wobei die Erzählung gerade in den letzten Abschnitten Lücken lässt. Bestechend ist jedoch Tieus Sprache: markant, unmissverständlich, ganz real und direkt. Ohne Brimborium.

Preis für künstlerische Forschung der Schering Stiftung 2024:
Sung Tieu 1992, 2025

Ausstellungsdauer: 15. Februar – 4. Mai 25

KW Institute for Contemporary Art
KUNST-WERKE BERLIN e. V.
Auguststraße 69
10117 Berlin

www.kw-berlin.de

Maximilian Wahlich

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Titel zum Thema KW Institute for Contemporary Art :

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Perserteppiche aus der DDR. Sung Tieu in den KW BERLIN
Ausstellungsbesprechung: Sung Tieus Sprache ist bestechend: markant, unmissverständlich, ganz real und direkt. Ohne Brimborium.

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