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Berlin Daily 18.07.2025
Vortrag

18 Uhr: Antonia Rötger für das Faktenchecken mit einfachen Techniken und praktischen Übungen, ein im Rahmen der Ausstellung: „Schlaustärke. Klimaschutz statt Fake News“ Global Group 3000 | Leuschnerdamm 19 | 10999 Berlin

Frauenstimmen aus dem Off der Kunstgeschichte

von Frank Lassak (12.06.2025)
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EVA & ADELE, TARGET Violet, 2011, Acryl, Collage, Öl, Lack auf Leinwand,158 x 158 cm © EVA & ADELE

Anlässlich des 75-jährigen Jubiläums der Wiedergründung des Deutschen Künstlerbunds nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt das Wilhelm-Hack-Museum eine großartige Schau mit Positionen internationaler Künstlerinnen – von der Postmoderne bis heute.

Gleich beim Eintritt in die Ausstellung „Our Voices“ im Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum wird klar: Diese Stimmen sprechen nicht aus dem Zentrum, sondern aus einer lange überhörten Zone. Werke von rund 30 Künstlerinnen, die teils über Jahrzehnte aus der kunsthistorischen Wahrnehmung verschwunden waren, treten hier miteinander in Resonanz. Mal laut, mal leise, mal kämpferisch, mal fragil – aber immer mit Haltung.

Die Ausstellung, kuratiert von Almut Hüfler in Kooperation mit dem Deutschen Künstlerbund (DKB), markiert ein inhaltliches und institutionelles Statement. „Von Anfang an war klar: Es soll keine reine Jubiläumsschau werden, sondern eine thematische Ausstellung mit gesellschaftlichem Anspruch – über Sichtbarkeit, Ausschlussmechanismen und weibliche Perspektiven im Kunstfeld“, sagt Museumsdirektor René Zechlin.

Die Herausforderung lag darin, das Spannungsfeld zwischen institutionellem Jubiläum (75 Jahre DKB) und gesellschaftspolitischem Anliegen zu gestalten. Hüfler entschied sich gegen eine historische Chronologie und für eine thematische Gruppierung: Werke, die Fragen von Körper und Identität, Mutterschaft, Widerstand, Erinnerung und Materialität verhandeln, treten generationenübergreifend in Beziehung. Dabei entsteht eine präzise Dramaturgie, die sowohl inhaltliche Tiefenschärfe als auch visuelle Dichte erzeugt. „Die Ausstellung fragt auch nach dem Verhältnis des Privaten und Politischen, beleuchtet den Umgang mit Mutterschaft und Care-Arbeit und zeigt Werke, die Hierarchieverhältnisse und strukturelle Gewalt reflektieren“, beschreibt Hüfler ihren inhaltlichen Kompass. Ein Beispiel für die thematische Präzision sind die Werke von Daniela Comani. Die italienische Künstlerin arbeitet mit Archiven, Sprache und medialen Stereotypen. Sie stellt etwa historische Fotografien in neue Zusammenhänge und unterwandert damit tradierte Vorstellungen von Geschlecht, Partnerschaft und Normalität. Ihre Bilder bewegen sich bewusst zwischen Fakt und Fiktion – und führen damit eindrücklich vor Augen, wie sehr kulturelle Narrative unsere Wahrnehmung prägen.

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Bettina Semmer, The Door, 1992, Acryl auf Leinwand, 200 x200 cm, Courtesy Bettina Semmer

Zechlin beschreibt seine Rolle in der knapp dreijährigen Entstehungsphase der Ausstellung als „Moderator zwischen Künstlerbund und Kuratorin“. Gerade weil der DKB ein breites Spektrum an weiblichen Mitgliedern umfasst – inzwischen herrscht im Verein Geschlechterparität – war es wichtig, eine unabhängige kuratorische Handschrift zu wahren. „Es ging nicht darum, wohlwollend eine Liste von Mitgliedern abzubilden, sondern eine inhaltlich tragfähige Auswahl zu treffen.“

Über weite Strecken des 20. Jahrhunderts waren Künstlerinnen systematisch unterrepräsentiert – in Ausstellungen, in Sammlungen, im kunsthistorischen Kanon. Zechlin verweist auf die eigene Sammlung des Museums: „Wir haben vielleicht fünf bis zehn Prozent Werke von Künstlerinnen – weil die institutionellen Erwerbungen lange Zeit männlich dominiert waren.“ Dabei sei es nicht so, dass es keine erfolgreichen Künstlerinnen gegeben habe. Viele von ihnen waren zu Lebzeiten präsent, reüssierten auf Biennalen, arbeiteten mit renommierten Galerien. „Doch sie sind innerhalb weniger Jahrzehnte aus dem kunsthistorischen Bewusstsein verschwunden.“

Die Ausstellung versteht sich als bewusster Gegenvorschlag zu dieser Auslöschung. Sie zeigt, was verloren geht, wenn nur ein Teil der Stimmen gehört wird – und wie produktiv es sein kann, diese Stimmen wieder in den Raum zu holen. Tatsächlich ist in den vergangenen Jahren Bewegung in die Repräsentationsfrage gekommen. „In ganz Deutschland finden seit zwei, drei Jahren vermehrt Ausstellungen statt, die sich Künstlerinnen widmen – historisch wie aktuell“, so Zechlin. Auch im eigenen Haus zieht sich das Thema durchs Programm: Nach der Ausstellung „Pionierinnen der geometrischen Abstraktion“ folgt nun „Our Voices“. Im Projektraum wurde zeitgleich ein feministisches Mentoringprojekt präsentiert. Und doch: Während Ausstellungen mit großen männlichen Namen Zehntausende Gäste anziehen, erzielen solche mit ausschließlich weiblichen Positionen häufig nur Achtungserfolge. „Es liegt nicht an der Qualität der Kunst, sondern daran, dass breitere Publikumsschichten noch immer nicht offen sind für diese Themen.“ Die Frage nach einer Quote wird im Kunstfeld hitzig diskutiert – Zechlin sieht sie pragmatisch: „Sie zwingt dazu, das eigene Handeln zu reflektieren. Die Zahl ist am Ende nicht entscheidend – aber der Prozess, sich bewusst zu entscheiden, ist es.“

Dass heute in vielen Kunstinstitutionen mehr Kuratorinnen als Kuratoren arbeiten, bedeutet laut Zechlin keineswegs automatisch eine stärkere Repräsentation von Künstlerinnen. Auch innerhalb weiblich besetzter Teams werde nach wie vor häufig unbewusst männlich dominiert programmiert. Die Transformation bleibe eine Frage struktureller, finanzieller und kultureller Arbeit. In diesem Sinne sei Depatriarchalisierung ein noch langfristigerer und komplexerer Prozess als etwa Dekolonialisierung, so Zechlin: „Es geht um tief verankerte Denk- und Handlungsprozesse. Und die ändern sich nicht von heute auf morgen.“

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Karin Sander, Orange aus der Serie / from the series Kitchen Pieces, 2012, Maße variabel / Dimensions variable, Photo © Studio Karin Sander, Courtesy: The artist, VG Bild-Kunst Bonn, 2025 und/and Esther Schipper Berlin Paris/Seoul

So ist „Our Voices“ keine Abrechnung, sondern ein Resonanzraum. Die Ausstellung gibt Künstlerinnen vergangener Jahrzehnte ebenso eine Bühne wie aktuellen weiblichen Positionen – und fragt zugleich, wie viel Anerkennung ihre Stimmen heute wirklich erfahren. Wer hier genau hinhört, wird verstehen, wie vielschichtig das Schweigen war – und wie laut, kraftvoll und differenziert die Antworten sein können.

Besonders berührend wirkt in diesem Kontext die Präsentation der Arbeiten von Eva & Adele. Das Künstlerinnenduo, das seit den frühen 1990er Jahren mit performativer Radikalität gegen Geschlechternormen und heteronormative Rollenzuschreibungen gearbeitet hat, ist mit Fotografien und ikonografischen Dokumenten vertreten. Dass Eva nur wenige Tage vor Eröffnung der Ausstellung verstarb, verleiht der Schau eine leise Melancholie – und zugleich eine umso größere Dringlichkeit. Ihre gemeinsame Kunst war immer ein Manifest für Sichtbarkeit und Freiheit jenseits binärer Kategorien. Dass sie in diesem Rahmen nochmals mit solcher Präsenz zu sehen ist, wirkt wie ein Vermächtnis.

Our Voices – Auf den Spuren bildender Künstlerinnen

Künstlerinnen: Mary Bauermeister, Daniela Comani, CRIPTO SIRENAS, Madeleine Dietz, Tatjana Doll, Margret Eicher, EVA & ADELE, Hannah Höch, Annot Jacobi, Magdalena Kallenberger, Alicja Kwade, Almut Linde, Christiane Löhr, Jule Tabea Martin, MATERNAL FANTASIES, Maina-Miriam Munsky, Emy Roeder, Anike Joyce Sadiq, Niki de Saint Phalle, Karin Sander, Aen Sauerborn, Bettina Semmer, Zuzanna Skiba und Annegret Soltau.

Ausstellungsdauer: 25.05.–14.09.2025

Wilhelm-Hack-Museum
Berliner Straße 23
67059 Ludwigshafen am Rhein

T 0621. 504 3045
F 0621. 504 3780
www.wilhelmhack.museum

Frank Lassak

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Titel zum Thema Wilhelm-Hack-Museum :

Frauenstimmen aus dem Off der Kunstgeschichte
Gastbeitrag: Frank Lassak berichtet von der Ausstellung „Our Voices“ aus dem Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen am Rhein.

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