Neben dieser avantgardistischen Strömung griff in Lettland ein Neoprimitivismus im Sinne einer archaischen Moderne auf das traditionelle Thema der bäuerlichen Lebenswelt oder - besonders in der angewandten Kunst wie die Porzellanmalerei - auf das eigene ethnografische Kulturerbe, die als "primitiv" angesehenen volkstümlichen Bilder der russischen Vergangenheit, zurück, um dem neuen Nationalbewusstsein seinen Ausdruck zu verleihen. Interessante Neuerungen gingen dabei aus der Synthese ethnografischer und moderner Formenelemente hervor. Viele Maler waren zugleich Bühnenbildner oder in der Gebrauchskunst tätig. Mit dem unblutigen Putsch Karlis Ulmanis 1933 und schließlich ab 1940 mit der Etablierung des Sowjetregimes in Lettland versiegte diese kurze Blüte einer lettischen Moderne, die sich nun dem propagierten Sozialistischen Realismus zu beugen hatte: ideologisch übertünchte gewinnende Szenen aus dem Leben der Bauern und Arbeiter. Das Andenken an emigrierte Künstler wurde verunglimpft, Oppositionelle vom staatlichen Mäzenatentum ausgegrenzt oder mit Ausstellungsverbot belegt, andere wurden verhaftet oder gezwungen, in Sibirien en plein air zu malen. Einen künstlerischen Ausweg bot die Flucht in eine malerische Romantik bzw. in unverfängliche Themen wie Stillleben und Landschaft. Das Tauwetter unter Chruschtschow lieferte zwar die Möglichkeit zu größerer künstlerischer Freiheit, doch erst die Generation der ab 1950/60 Geborenen wagte es, den Kontakt zur internationalen Kunstszene wieder aufzunehmen: sie kam, nun im Rückgriff auf die eigene wie ausländische Avantgarde und auf die Alten Meister zu überraschenden Bildlösungen, welche auch surreale, abstrakte und groteske Elemente und Formen verstärkt integrieren. Die Rückbesinnung auf die eigene Kultur der zwanziger und dreißiger Jahre wurde dabei zu einer wichtigen Voraussetzung für die kulturelle Erneuerung des wieder demokratisch gewordenen Lettlands.







