19 Uhr: Kinga Tóth ist Künstlerin und Soundpoetin, die ihre Texte mit Objekten sowie Video- und Soundinstallationen verbindet und diese auch performt. daadgalerie, Oranienstr. 161, 10969 Berlin
>Pierre et Gilles. Retrospektive< bei C/O Berlin
Iggy Pop reißt weit die Augen auf und trägt einen gemäßigten Seitenscheitel, Nina Hagen sitzt gefesselt im hautengen, schwarzen Lackanzug auf einem Stuhl, Catherine Deneuve thront wie eine Himmelsbraut im weißen Hochzeitskleid vor einem strahlend blauen Firmament und auf einem mit >Perversion< (1977) betitelten Selbstbildnis haben sie ihr Haar mit Gel zurechtgezupft und sich an Miami Vice erinnernde, weiße Anzüge geworfen – alles Bilder des französischen Künstlerpaares Pierre et Gilles. Was zu Beginn ihrer Karriere bisweilen recht nah an der Bravo-Poster-Ästhetik der 1980er dran war, hat sich bis heute zu einem oftmals zwar schrill-schillernden, kitschig-erotischen aber eigenem Bildkosmos mit Wiedererkennungswert entwickelt.
C/O Berlin zeigt nun eine Retrospektive der beiden Künstler, die 80 Arbeiten aus den späten 1970ern bis 2009 umfaßt und auch brandneue Werke beinhaltet, die erstmals in der Berliner Schau gezeigt werden.
Die nahezu chronologische Hängung auf zwei Etagen im ehemaligen Postfuhramt skizziert die Werkgenese des inzwischen schon seit über 30 Jahren zusammenarbeitenden und -lebenden Künstlerduos aus Paris. Die beiden hatten sich bei der Eröffnung der Kenzo-Boutique in Paris kennengelernt und haben seitdem eine außergewöhnliche Verschmelzung von Malerei und Photographie entwickelt: Während der gelernte Photograph Pierre Commoy für die perfekt inszenierten und bis ins kleinste Detail geplanten Photographien der Modelle zuständig ist, schwingt der Maler Gilles Blanchard zur Nachbearbeitung der immer größer werdenden Formate den Pinsel und retuschiert Pierres Aufnahmen. Blickt man einmal genauer auf die markanten und wahrscheinlich häufiger als bei “reiner Photographie“ vorhandenen hellen Lichtpunkte auf den Werken von Pierre et Gilles, kann man Spuren der dünn aufgetragenen Acrylfarbe entdecken. Als „Verlängerung des Bildes“ fügen die Künstler dem Photo-Gemälde einen speziell auf das Bild abgestimmten, zum Teil aufwendig bearbeiteten Rahmen hinzu, so daß all ihre Werke in liebevoller Handarbeit zweier Künstler entstandene Unikate sind. Anders als das britische Künstlerduo Gilbert and George oder das Transvestitenpaar Eva und Adele, die vor allem ihre eigene Person als Kunstwerk inszenieren, setzen Pierre und Gilles Modelle ins Bild, die jedoch eng mit ihrem Leben verknüpft sind: „Unsere Kunst ist so eng mit dem Leben vermischt, daß sie geradezu dessen Geschichte ist. […] Unser Leben ist der Spiegel unserer Kunst und unsere Kunst der Spiegel unseres Lebens“.
Neben den knallig bunten Portraits von Stars und Sternchen sind es verschiedenste Kontexte, aus denen sich die Bildwelt der beiden speist. Homoerotische Klischees und Stereotypen wie der Seemann werden genauso zitiert wie der christlichen Ikonographie entlehnte Themen wie z.B. der Heilige Sebastian, Abels Tod, der sich seiner Nacktheit gewahr werdende Adam oder die Versuchung des Heiligen Antonius. Nie jedoch geschieht dies ohne Überspitzung oder ironische Brechung: So hat der Matrose auf >Le petit matelot< (1997) seine Hose nicht etwa zum erotischen Zwischenspiel herabgelassen, sondern hat sich soeben erleichtert und blickt frech grinsend in die Kamera. Dagegen trägt Pierre et Gilles Heiliger Antonius pornographische Züge und ist splitterfasernackt mit erigiertem Penis und Wildschwein im Wald abgebildet. Angesichts der Fülle an kitschig knalligen Farben, homoerotischen Darstellungen und heiteren Glamourszenen fällt >Le triangle rose< (1993) nicht nur aus dem Rahmen, sondern wirkt geschmacklos: es zeigt einen Jüngling mit geschminkten Augen und kahlgeschorenem Kopf in gestreiftem KZ-Anzug, der hinter Stacheldraht und brennenden Kerzen vor einem lila-blauem Himmel steht. Das rosa Dreieck auf seinem Anzug wurde von den Nationalsozialisten verwendet, um homosexuelle KZ-Insassen zu kennzeichnen.
Pierre et Gilles jüngst entstandene Arbeiten von 2008/2009 werden auf der zweiten Etage präsentiert. Auffallend sind hier die zurückgenommene Farbigkeit und das größere Format der Werke mit schlichteren, meist einfach nur schwarzen Rahmen. Vor der Kulisse einer industriellen Vorstadtszenerie mit Fledermäusen und hohen Schornsteinen, haben die Portraits von z.B. der US-Band CocoRosie oder aber unbekannten Modellen einen leicht melancholisch, düsteren Charakter, sind aber durch die ästhetische Perfektion und Ausgestaltung des Bildraumes immer noch eindeutig als Werke von Pierre et Gilles zu erkennen. So ist z.B. mit >Les temps modernes< (2008) ein Verweis auf Charlie Chaplins Film >Modern Times< gegeben, doch ist das Modell auf dem Bild nackt und muskelbepackt und trägt ein großes Zahnrad auf den durchtrainierten Schultern, statt wie Chaplin in einen Kampf mit der Maschine verwickelt zu werden.
Pierre et Gilles. Retrospektive
25.7. – 4.10.2009
c/o Berlin
Oranienburger Straße / Tucholskystraße
10117 Berlin
co-berlin.com
Titel zum Thema Pierre et Gilles:
Pierre et Gilles: Glitter, nackte Haut und ein Hauch von Düsterkeit
>Pierre et Gilles. Retrospektive< bei C/O Berlin
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