Fröhlich lächelnd schaut seit Samstag, dem 16. Juli 22:00 Uhr, das leuchtende Gesicht eines karikierten Indianers vom Dach des Hauses der Statistik am Alexanderplatz auf Berlins Mitte herab. „Neon Indian“ heißt das Werk Cyprien Gaillards, welches in Kooperation mit dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD und im Rahmen von based in berlin entstanden ist.
Im Kontrast der dunklen Stadtlandschaft eröffnet sich das verstörende Bild einer deplatziert wirkenden Comic-Figur aus bunten Neon-Röhren im 50er-Jahre Stil. Mit breitem Grinsen und Feder geschmückt leuchtet der Indianerkopf konstant aus roten, blauen und weißen Linien, auf die amerikanische Flagge verweisend, über der 11. Etage. Gut sichtbar ist der Kopf links auf dem Hausdach neben den veralteten, inaktiven Leuchtschildern installiert. Vor dem Hintergrund des heruntergekommenen, zum Abriss freigegebenen Gebäudes mit nüchterner Plattenbaufassade Otto-Braun-Str./Karl-Marx-Allee und inmitten des nächtlich leuchtenden Anzeigetafel-Repertoires sticht der „Neon Indian“ hervor – nur allzu deutlich ist sein „unzeitgemäßes“ Erscheinungsbild mit Barschildcharakter. Darüber hinaus besticht er durch seine Größe im Vergleich zu den benachbarten Leuchtkörpern.
Tatsächlich handelt es sich bei diesem Indianer um eine Version des Logos des US-amerikanischen Baseballteams Cleaveland Indians, welches seit 1894 bis heute besteht. Das Logo ist umstritten. Es stellt einen Indianer, also einen amerikanischen Ureinwohner dar. Das Paradoxon wird bewusst, wenn man an die Ausgrenzung, Verdrängung und Vernichtung eben dieser Ureinwohner innerhalb des Landes denkt, deren karikiertes Abbild für amerikanische Baseballspieler als Glücksbringer und Marketinginstrument fungieren soll.
Zum wiederholten Mal nutzt Cyprien Gaillard dieses bestimmte Logo in seinem Werk, um auf die widersprüchliche Aneignung indianisch abstammender Namen für amerikanische Sportteams und ähnliches hinzuweisen.
Gaillards Wahl des Gebäudes, welches die Arbeit präsentiert, fiel bewusst auf das Haus der Statistik am Alexanderplatz. Ende der 60er Jahre erbaut, verkörpert dieser 9-11-geschossige Gebäudekomplex sozialistische Ideale, fortschrittliche Ideen für Stadtplanung und -entwicklung. Nach verworfenen Gedanken an Neugestaltung wurde beschlossen, es entspreche nicht den Anforderungen an ein modernes Bürogebäude und müsse abgerissen werden.
Cyprien Gaillard, 1980 in Paris geboren, lebt und arbeitet in Paris und Berlin. Er ist nominiert für den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst 2011. Neben Objekten und Installationen beschäftigt er sich mit Fotografie, Video, Malerei und Zeichnung. Oft nutzt er seine Arbeiten, um auf urbane Konfliktpunkte und Widersprüche unserer postindustriellen Gesellschaft hinzuweisen. Eine wesentliche Rolle spielt das Verhältnis von Natur und Architektur und deren Wertschätzung, aber ebenso die Dekonstruktion – auch dafür bezieht er unter anderem die Versetzung und Neuverlagerung von Monumenten oder Symbolen in ungewohnte Umgebungen ein. Für ihn ist die Rolle solcher nicht moderner Symbole in Massenkultur und Marketing, so wie deren Fortbestehen darin interessant. Warum kann der historische Kontext und somit die Tragik der amerikanischen Ureinwohner ausgeblendet, banalisiert und entfremdet werden?
Zusätzlich wird durch den heruntergekommenen Plattenbau das Scheitern einer ehemaligen Gesellschaftsstruktur und ihrer Ideale und der Makel der Stadtplanung vor Augen geführt. Wie ein Mahnmal leuchtet das Neon-Gesicht über der Stadt und hält die Zeichen der Zeit in einer sich ständig verändernden Umgebung als Momentaufnahme fest.
Abbildung: Foto: Cyprien Gaillard Neon Indian, 2011 (Skizze), Courtesy: Berliner Künstlerprogramm / DAAD & the artist
Ausstellungsdauer: 17.07 – 11.12.2011
Haus der Statistik
Otto-Braun-Str./Karl-Marx-Allee
10178 Berlin
berliner-kuenstlerprogramm.de
Berlin Daily 25.10.2025
Live Performances
18-22 Uhr: im Rahmen der Ausstellung "IN TRANSITION – from Performance to Exhibition". Galerie Verein Berliner Ku?nstler | Schöneberger Ufer 57 | 10785 Berlin
Auf den Dächern von Berlin: Neon Indian - Cyprien Gaillard
von Julia Schmidt
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