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Kunst jenseits des Punktesystems - Stadtspaziergänge

von Dr. Inge Pett (26.09.2014)
vorher Abb. Kunst jenseits des Punktesystems - Stadtspaziergänge

copyright ifa

„Du bist verrückt mein Kind, Du musst nach Berlin“. Dieses Motto seiner Brandenburger Tante hat den Berliner Künstler Frank Lindenberg zu einem großformatigen Gemälde mit gleichem Titel inspiriert. In psychodelischen Farben tummeln sich Menschen vor der Siegessäule – individualistisch, schräg, lebensfroh. Eine Hommage an die „Stadt der Verrückten“, die Stadt der Boheme.

Seit dreißig Jahren malt Lindenberg. Dabei verlief seine künstlerische Karriere nicht stromlinienförmig, sondern ist von „vielen Brüchen in der Biografie“ geprägt. Er sei einer derjenigen zahlreichen Künstler in der Kulturmetropole Berlin, die „jenseits des Punktesystems“ agierten, betont Elfi Müller. Für die ifa-Galerie Berlin organisiert Elfi Müller, die als Künstlerin, Kuratorin und Dozentin arbeitet, regelmäßig Stadtspaziergänge. So auch am 21. September anlässlich der Ausstellung „Der eifersüchtige Liebhaber“ von Moshekwa Langa. Der in Amsterdam lebende Südafrikaner, der räumlich und künstlerisch zwischen den Welten pendelt, untersucht in seiner Arbeit die fatale Sogwirkung der Städte auf seine Landsleute.

Ausgehend von Langas Werk setzt auch Müller bei dem dritten Spaziergang der Serie „von außen nach drinnen“ die Stadt und ihre Künstler in den Fokus. Zudem ließ sie sich von den Situationisten inspirieren, einer Pariser Künstlergruppe, die in den 60er Jahren eine Neukonstruktion der Stadt erdachte: Die Stadt als Gesamtkunstwerk, das Kunst gleichermaßen realisiert und negiert. Vor diesem Hintergrund stellt Müller „ineinander liegende, integrierte und neugeschaffene Welten im Stadtraum Berlin“ vor.

So etwa die Welt von Frank Lindenberg, der von keiner Galerie vertreten wird, und im Rahmen der Berlin Art Week interessierten Gästen die Tür zu seinem Atelier öffnet. „Mir geht es um das Spiel mit der alltäglichen Nutzung und Wertung von Räumen und Orten, um die Auseinandersetzung zwischen Kunst, Raum, Kunstraum und urbanem Raum“, erklärt Müller ihr Konzept.



Schon von weitem sichtbar präsentiert sich die nächste Station des Spaziergangs. Neugierige Touristen posieren neben einer großformatigen Skulptur aus Draht, fotografieren, lesen die ausliegenden Informationen. Die Skulptur, die einen Menschen darstellt, umfasst eine Laterne: Hier greift Kunst sprichwörtlich in den städtischen Raum über. Mitten auf dem Trottoir der Auguststraße, wo demnächst eine Filiale des italienischen Edellokals Petrocelli eröffnen wird, bestimmen an jenem Sonntag die „dreidimensionale Zeichnungen“ der Äthiopierin Yenatfenta Abate das Straßenbild. „Einen Augenblick“, so der treffende Titel der Open Air-Ausstellung. Als Frau, Afrikanerin und Künstlerin weiß die ehemalige Meisterschülerin von Franz Erhard Walther, was es heißt, gegen Widerstände anzugehen. Für einen Augenblick sind die Passanten eingeladen, in die Welt Abates einzutauchen.

„Tausendmal dieselben Wege verschleiern unsern Blick. Und doch entdecken wir zwischen dem Vertrauten immer wieder etwas für uns nie Dagewesenes.“ In der Torstraße vor dem Treff 203 der sozialen Begegnungsstätte „Volkssolidarität“ fand Marcel Prüfert ein Gemälde, das einen verloren blickenden Straßenjungen auf einer Mauer zeigt. Das Gemälde, dessen Maler unbekannt ist, ließ Prüfert nicht los. In einer Telefonzelle vis à vis greift er dieses Bild auf und platziert ein Gemälde von zwei Jungen, die sich umarmen.

„Untergetaucht“ hingegen ist der Maler Reiner Görß. Nach der Wende zählte er als Künstler der Galerie Eigen + Art zu den Shooting Stars des internationalen Kunstmarktes. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere stellte er die Frage nach dem Sinn - und erkannte in der Kunst keine Inhalte mehr. „Künstler werden produziert wie Brötchen“. Es drehe sich alles nur noch um Marktpositionierung und um Branding. Während eine neue Künstlergeneration es verstehe, sich „geschmeidig“ in dieses System der Kompatibilität einzufügen, findet er selber sich im Kunstbetrieb nicht mehr wieder. Er zog die Konsequenz und gründete gemeinsam mit Ania Rudolph 1990 das Untergrundmuseum U 144, das er als „kleines, aber subversives Fragezeichen unter den monumentalen Größenordnungen der Berliner Museumslandschaft“ versteht. Seit 1995 befindet sich das Museum in einer ehemaligen Gießerei in der Linienstraße. An dem historischen Ort begegnen sich heute Gegenwartskunst und Geschichte.



Nächster Stopp: das „Empathie-Sofa“ von Naldo Gruden. In Ermangelung eines Sofas stellte der Künstler Stühle bereit, auf denen die Teilnehmer des Rundgangs gemeinsam schweigen konnten. „Die Ruhe ist immer da“, betont der Künstler.
Auf die Ruhe folgte dann eine Diskussion über die Zukunft des Kunstortes Berlin. „Wir marschieren als Künstler in eine neue Form der Gentrifizierung“, mahnt Elfi Müller. „Und werden benutzt als Akteure“. Die Teilnehmerin Nikola Gazzo erklärt Berlin sei „ein geschützter Raum, in dem man vor sich her wurschtele“. Sie rät den Künstlern, sich international zu öffnen und auch den Online-Handel in Erwägung zu ziehen. Während einige Teilnehmer pessimistisch in die Zukunft schauen, betont Yenatfenta Abate, dass sie es als Gnade empfinde, Künstlerin zu sein.

Es sind allesamt besondere Lebensläufe, die Elfi Müller den Teilnehmern des Spaziergangs vorstellt. Auch nach dem mehr als vierstündigen Rundgang rattert der Kopf, inspiriert von den Erfahrungen außergewöhnlicher Künstlerpersönlichkeiten - „jenseits des Punktesystems“.

expansion II
Die nächsten Stadtspaziergänge mit Elfi Müller:
Sonntag, 12. Oktober 2014, 12 Uhr
Samstag, 01. November 2014, 12 Uhr
Sonntag, 07. Dezember 2014, 12 Uhr
Sonntag, 18. Januar 2015, 16 Uhr
Programm und Treffpunkte werden noch bekannt gegeben.

Weitere Infos zu den Stadtspaziergängen: ifa.de/kunst/ifa-galerien


Dr. Inge Pett

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