19 Uhr: im Rahmen der Finissage zu "Becoming Who You Are - Studium trotz Flucht". (Eintritt frei / aber Anmeld.) Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung | Stresemannstr. 90 | 10963 Berlin
© Liu Xia, courtesy of Guy Sorman
Sie sitzen gefesselt vor einem Bücherhaufen, stürzen im freien Fall von einem Dach – bekleidet nur mit einem Body. Sie sind eingepfercht zwischen den drachenkopfähnlichen Türknaufen einer traditionellen chinesischen Pforte und eingehüllt in Plastikfolie. Die Münder offen und ohnmächtig, aber auch wütend und vorwurfsvoll. „Ugly Babies“ nennt die chinesische Künstlerin Liu Xia diese surreal anmutenden, meist männlichen Puppen in ihren Fotografien.
Eine Auswahl von etwa 50 Exponaten, von denen viele in den 90er-Jahren entstanden sind, ist bis zum 19. April im Martin Gropius-Bau zu sehen. Gereon Sievernich hüllt sich in Schweigen darüber, wie die Negative außer Lande gekommen sein mögen. Überhaupt gibt es einige Fragen der Journalisten, die diesmal unbeantwortet bleiben. Und wohl unbeantwortet bleiben müssen.
Selten erlebte man den Direktor der Berliner Festspiele und Kurator der Ausstellung so emotional berührt wie bei der Presse-Vorbesichtigung. Was nachvollziehbar ist, wenn man bedenkt, unter welchen Umständen Liu Xias Werks entstand.
In China sind die Gemälde, Fotografien und Gedichte Künstlerin, die sich in den liberaleren 80er-Jahren einen Namen machte, verboten; sie selber steht unter Hausarrest. Denn die gebürtige Pekingerin ist mit Liu Xiaobo verheiratet, dem Schriftsteller, Regimekritiker und Friedensnobelpreisträger des Jahres 2010. Nach dem blutigen Studentenaufstand 1989 auf dem Tienanmen-Platz war dieser erstmals verhaftet worden.
Dies war der Beginn einer Kette repressiver Maßnahmen, denen Xiaobo von da an ausgesetzt war: 1995 wurde er erstmals in ein Lager geschickt, einen „chinesischen Gulag“. Xia heiratete Xiaobo in einem solchen Lager, da ihr nur als Ehefrau ein Besuchsrecht zustand. Es folgte eine Leidensgeschichte, deren Ende auch heute noch nicht in Sicht ist. Als „Sippenhaft“ und „völlig archaisch“ bezeichnet der Literaturkritiker Herbert Wiesner den Hausarrest Liu Xias, an dem diese körperlich und psychisch zu zerbrechen droht. Dieser war verhängt worden, nachdem Xiaobo den Friedensnobelpreis erhalten hatte. In den Jahren der Nichtinhaftierung (1999 -2010) hatte er als Präsident des unabhängigen chinesischen PEN ein liberales Manifest, die „Charta 08“ verfasst, das sich im Internet rasant verbreitete, bevor es von der Regierung gestoppt wurde.
© Liu Xia, courtesy of Guy Sorman
Eines der Fotos in der Schau zeigt Liu Xiaobo mit einer Puppe auf der Schulter. Das feine, sensible Gesicht ist ruhig und konzentriert, der Mund der Puppe derweil zu einem verzweifelten Schrei geöffnet. Als Ausdruck einer „schönen Seele“ bezeichnet der New Yorker Anlageberater Jim Glanzer diese ebenso kraftvolle wie verzweifelte Arbeit. Als Freund des Paares hat er maßgeblich am Zustandekommen der Ausstellung mitgewirkt.
Liu Xia fing an, Puppen zu fotografieren, als sie ihre monatlichen Märsche zum Arbeitslager ihres Mannes in Darian begann. Die Fotografie bot der ansonsten so wortstarken Poetin eine subversive Möglichkeit, dem Seelenverwandten Nachrichten zukommen zu lassen – unentschlüsselbar für die Aufseher des Lagers. „Wir leben mit den Puppen zusammen und sind von der Kraft der Stille umgeben“, schrieb sie 1998 in einem ihrer Gedichte. „Mit der offenen Welt um uns herum kommunizieren wir mit Gesten.“
Ihr Mann muss von diese Puppen-Fotografien schon sehr früh gewusst haben, denn er schrieb seinerseits 1989 ein Gedicht mit dem Titel „Sag es den Puppen – Für Liu Xia, die jeden Tag mit Puppen spielt“: „Wenn du es den Puppen sagst/ vermeide die Wahrheit/ Verwende nur die Namen! Aber verzichte auf/ die Fakten“ heißt es darin. „Alles, was du mit den Puppen untergraben hast/ sind deine eigenen Gedichte“.
Puppen als Codes, Ausdruck und Schleier gleichermaßen. Sie äußern sich, wo Menschen zum Schweigen verurteilt sind. Doch bleibt offen, ob sich die verschlüsselten Metaphern vorrangig politisch zu lesen sind und/oder auf sehr persönlicher Ebene – vielleicht gar als Anspielung auf die Kinder, die dem Paar durch die politischen Verhältnisse verwehrt geblieben sind? Stehen sie für konkrete Personen oder sind sie das Gleichnis einer unterdrückten Bevölkerung? Xia selber bezeichnet sich als „unpolitisch“ und scheut die internationale Öffentlichkeit, die ihren Mann als Helden feiert.
In einem Gedicht vom 2. Juni an Xiaobo schreibt sie: „Ein Medienereignis warst du geworden. Es war zermürbend, zu dir aufzuschaun wie alle andern. Mir blieb nichts übrig als an den Rand der Menge zu drängen, wo ich einfach eine Zigarette rauchte und den Himmel betrachtete.“
© Liu Xia, courtesy of Guy Sorman
Der Frage nach der politischen Positionierung der Berliner Festspiele muss sich auch Sievernich bei der Pressekonferenz stellen. Gerne dürfe eine Ausstellung politisch sein, betont er. Und erst recht an einem historisch so befrachteten Ort wie dem Martin-Gropius-Bau, der jahrzehntelang an der Schnittstelle des geteilten Deutschlands lag. Und wie Dieter Kosslick, Direktor der Internationalen Festspiele Berlin, fordert auch er: „Es muss vor allem eine künstlerische Position sein.“
Den goldenen Bären der 65. Berlinale hat soeben der iranische Film „Taxi“ gewonnen. Wie Liu Xia unterliegt auch der Regisseur Jafar Panahi einem Berufs- und Ausreiseverbot. Sein Film entstand heimlich und wurde dank der Auszeichnung nun bereits in dreißig Länder verkauft. Ein weithin sichtbares Zeichen gegen die Repressions- und Zensurmaßnahmen der Regierung in Teheran.
Bisher sind Panahi und Xia immer „diejenigen, die nicht da sein können“, erklärt Herbert Wiesner.
Auch Peking dürfte an der Öffentlichkeit zu schlucken haben, die die Berliner Ausstellung erreichen wird. „Eines Tages”, so vertraut Glanzer, „wird Liu Xia ihren Mann Liu Xiaobo nach Oslo begleiten können”.
Ausstellungsdauer: 21. Februar bis 19. April 2015
Öffnungszeiten
Mittwoch bis Montag 10:00–19:00
Dienstag geschlossen
Die Kasse schließt um 18:30.
Martin-Gropius-Bau Berlin
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Tel +49 30 254 86-0
gropiusbau.de
Titel zum Thema Liu Xia:
Schreie der schönen Seele - Fotografien von Liu Xia im Martin Gropius-Bau
Ausstellungsbesprechung: Sie sitzen gefesselt vor einem Bücherhaufen, stürzen im freien Fall von einem Dach – bekleidet nur mit einem Body. Sie sind eingepfercht zwischen den drachenkopfähnlichen Türknaufen einer traditionellen chinesischen Pforte ...
Galerie HOTO
Kommunale Galerie Berlin
Rumänisches Kulturinstitut Berlin
Galerie Beyond.Reality.
Akademie der Künste