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Ankommen durch Mitmachen. KUNSTASYL: Ein partizipatives Kunstprojekt mit Geflüchteten

von Inge Pett (12.11.2015)
vorher Abb. Ankommen durch Mitmachen. KUNSTASYL: Ein partizipatives Kunstprojekt mit Geflüchteten

Foto: Till Rimmele (Auf dem Foto: Zineta, Melisa, Kasim, Aymen, Latif, barbara, Dachil)

„Das Mobiliar wandert“, stellt Barbara Caveng erfreut fest und deutet auf einen Stuhl. Er steht im Hof des Heims für Geflüchtete in der Staakener Straße, Berlin-Spandau, und ist in den letzten Tagen ganz offensichtlich viel herum kommen. Für die Künstlerin und Initiatorin des im Februar 2015 ins Leben gerufenen Projektes KUNSTASYL werde das Sitzmöbel damit zum Teil einer „kinetischen Skulptur“, wie sie augenzwinkernd anmerkt.

Das Umstellen der Möbel zeigt ihr, dass der ehemals triste Hof des ehemaligen Gesundheitsamtes von den Bewohnern angenommen und eingenommen wird. Genau das möchte KUNSTASYL erreichen: Gemeinsam mit den Bewohnern stellen Kreative sich der Herausforderung, das provisorische Heim, das Raum für ca. 120 Bewohner bietet, in ein Daheim auf Zeit zu verwandeln. Und das ist umso wichtiger, als sich das Boardinghaus in einem trostlosen „Niemandsland“ befindet, unweit eines Industriegebietes.

Ein tiefblauer Bauwagen, farbenfroh bemalt mit Metaphern von Gewünschtem und Erlebtem, dominiert nun das Areal. Die Front ist in einem dunkleren, ebenfalls wohltuenden Blau gehalten und mit dekorativen Elementen gestaltet. „KUNSTASYL“ prangt in leuchtend roten Großbuchstaben auf dem Dach, nur das U ist im Blau der Stirnseite gehalten. Doch wer findet hier ein Asyl? Die Kunst, die sich überall ihren Weg ebnen kann oder diejenigen Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten?

Im Innenraum des Wagens sind Objekte und Fotos von Geflüchteten untergebracht, die entweder an die Zeit vor der Flucht oder an die Flucht selber erinnern. „Es ist ein ganz besonderer Ort“, empfindet nicht nur Caveng. Selbst die Kinder, die kurz zuvor noch über Hof getobt seien, zögen unaufgefordert ihre Schuhe aus und senkten die Stimme.

Eine einladende hölzerne Sitzgruppe sowie ein mobiler Garten – Kisten bepflanzt mit Blumen und Gemüse – beleben ebenfalls den Innenhof. „Einen grünen Daumen haben wir nicht“, gibt Caveng zu. Dafür hätten viele der Geflüchteten bereits in der Heimat einen Garten kultiviert und freuten sich über die Aufgabe.

„Jeder hat ein Leben, das so allgemein – oder so speziell – ist, wie alle unsere Leben sind.“ Leider vergesse man diese schlichte Wahrheit in solchen Einrichtungen leicht, degradiere die Person zu einem Problem, einem Bedürftigen. Den Ausdruck „Flüchtling“ vermeidet Caveng bewusst, er mache den Menschen zum Substantivierten, reduziere ihn auf den Akt der Verzweiflung.

Wenn man jedoch dem Gegenüber „auf Augenhöhe“ begegne, könne man dessen Kompetenzen erkennen sowie den häufig geäußerten Wunsch, sich aktiv einzubringen. Und plötzlich sei da die ambitionierte Köchin, der handwerklich begabte Ingenieur, der perfekt Englisch sprechende Iraker – oder aber der Clown.


Foto: Till Rimmele: Mohamed Firas performt seinen Fluchtabschnitt von Lybien nach italien übers Meer

Bereits während der Flucht hatte ein Syrer mit palästinensischem Pass in den Camps die Kinder mit seinen Clownesken erfreut. Auf einem 17 Meter langen roten Premieren-Teppich begrüßt er nun auch in Spandau am „Welcome Day“ die Neuankömmlinge. Mit schauspielerischem Talent stellte er die Stationen der langen Flucht dar, um am Ende unter der knisternden Silberfolie, in die unterkühlte Menschen – etwa nach der Mittelmeerfahrt – gehüllt werden, mit lachendem Gesicht wieder aufzutauchen. Und sich an den weit aufgerissenen Augen der Kinder zu erfreuen.

Doch Caveng erinnert sich auch an die ersten zaghaften Begegnungen im Heim, als das Team mit einem Dolmetscher von Tür zu Tür ging, und an das damit verbundene Gefühl der Beklemmung. Genauso gut hätte die Initiative, die sich durch Fördergelder finanziert, scheitern können – das war ihr durchaus bewusst.

Viele der Geflüchteten hatten sich in ihren Zimmern eingeigelt, konnten die ersten Erfahrungen in Berlin nicht mit ihrer Erwartungshaltung in Verbindung bringen. Ein Mann aus dem Irak hatte in Oberschönhausen einen Übergriff auf das dortige Heim miterleben müssen. Die meisten Bewohner litten unter dem Gefühl der Isolation sowie der erzwungenen Passivität aufgrund des laufenden Asylverfahrens. „Warum gelingt es uns nicht, eine Beziehung zu diesen Menschen aufzubauen?“, fragte sich Caveng, „Warum können wir sie nicht willkommen heißen?“

Schließlich sei jeder Mensch das Größte zu Entdeckende, so das Credo der gebürtigen Graubündnerin, die ursprünglich aus dem Theater kommt und über den Umweg des Schauspiels, der Regie und des Bühnenbilds zur Bildenden Kunst fand. Seit 2003 organsiert sie partizipatorische Projekte, in denen das Wechselspiel von Körper – Raum – Beziehung – Licht eine große Rolle spielt und die sie als eine Art „Langzeitperformance“ versteht. Als Schweizerin, die im Übrigen – obwohl sie politische Kunst mache - noch nie in ihrem Leben gewählt hat, sei sie sich ihrer privilegierten Position bewusst. Ihr hätten stets alle Türen offen gestanden, Grenzen hätte es für sie nicht gegeben.

Im Jahr 2011 war Caveng als Stipendiatin in Damaskus. Der Satz einer Syrerin ließ sie seitdem nicht los: „Wenn es zum Krieg kommt, dann sind wir alle Flüchtlinge. Wer auf der Welt will uns dann haben?“ Im Rahmen eines KUNSTFONDS-Stipendiums reiste die Wahl-Berlinerin 2014 nach Lampedusa, die erste Station auf europäischem Boden für viele Geflüchtete. Auch hier suchte Caveng die Kommunikation – und griff dabei notfalls zu unorthodoxen Mitteln. So führte sie Interviews, indem sie - eigens für sie, die kein Arabisch spricht- lautschriftlich aufbereitete Fragen ablas und die Antworten später zurückübersetzen ließ.


Till Rimmele: Fernreisen Neukölln : Reisegäste und Reisebegleiter

Um auch die Berliner an den Erfahrungen der Geflüchteten teilhaben zu lassen, organsierte KUNSTASYL im Juni eine ungewöhnliche Begegnung, die „Fernreise Neukölln“. Im Rahmen des Programms „48 Stunden Neukölln“ konnten Touren durch den Kiez gebucht werden, die zu Busstationen von „Bagdad“ bis ins „Sindschar Gebirge“ führten, wobei man sich seinen Sitznachbarn – darunter 24 Bewohner des Heims in der Staakener Straße - aussuchen konnte. Knappe Steckbriefe gaben Aufschluss über Beruf, Alter und Hobbies.

Einer der „Fernreisenden“ war der Journalist Michael Wolf, für den der „letzte Schrei der Saison“, nämlich Kunst, Theater und Literatur mit Geflüchteten zu gestalten, offensichtlich ein Graus darstellte. „Kaum aus dem Wasser gefischt, sorgen sie pflichtschuldig für die preisverdächtige Mischung aus Relevanz und Authentizität, nach der die deutsche Kulturszene so giert“, schrieb er in „Die Welt“.

Menschenfreundlich klingt das nicht. Doch als „unverhofften Weg aus dem Dilemma“ entdeckte er für sich die Bustour. Er „buchte“ Houssam Monem aus Damaskus. Nach einem holprigen Einstieg fanden die Männer zum Thema Fußball. „Das sitzt plötzlich ein richtiger Mensch neben mir“, resümierte Wolf, „ein ganz normaler Mann - würde er nicht für Frauenfußball schwärmen.“ Eine Erfolgsgeschichte?

„Es geht immer um Ambivalenz, um permanentes Hinterfragen, auch der eigenen Motive“, betont Caveng. Und darum, wo das Hinterfragen aufhöre und das Gutmenschentum anfange. Aber ist angesichts der akuten Situation, in der die Neuankömmlingen aus den Krisengebieten in provisorisch in Turn- und Messehallen untergebracht werden müssen, die Frage nach einem Daheim nicht ein „Luxusproblem“?

Caveng überlegt sorgfältig, bevor sie antwortet: „Beides ist nötig. Eines steht fest: Derzeit sind die Baugesetze außer Kraft – Utopia kann nicht realisiert werden.“ Und dennoch hätten die Künstler gerade in Zeiten, in denen bestehende Ordnungen aus den Fugen geraten, die Vorreiterrolle gesellschaftliche Modelle zu erproben.


Foto: Khaled Mounem: Mohamed Firas performt seinen Fluchtabschnitt von Lybien nach italien übers Meer

Der vor dem IS geflohene Iraker Dakel Sado formuliert das Empfinden der Heimbewohner in der Staakener Straße: „Das KUNSTASYL sagt dir schlicht und ergreifend: Hallo, du bist ein Mensch, du hast Ambitionen und die Kontrolle über dein Leben. Für mich bedeutet das Zivilisation.“

http://kunstasyl.net

Inge Pett

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