18 Uhr: im Rahmen der Ausstellung "Do you feel me now? Frauenbilder zwischen Realität und Projektion" Galerie im Saalbau | Karl-Marx-Straße 141 | 12043 Berlin
Jeppe Hein balanciert auf einem Holzstab über eine grüne Wiese – so zeigt ihn das erste Foto des Kataloges zur Ausstellung THIS WAY im Kunstmuseum Wolfsburg. Ein schönes Bild für die Situation des 1974 in Kopenhagen geborenen und seit vielen Jahren auch in Berlin lebenden Dänen, der sich nach seinem Burnout auf der Suche befindet nach seelischem Gleichgewicht, nach Möglichkeiten, sein Leben und seine Kunst neu zu entdecken, ohne sich neu erfinden zu müssen.
Bis Mitte März dieses Jahres lief die Werkschau in Wolfsburg, die erste Übersichtsausstellung in einem deutschen Museum. Jeppe Hein nahm die Besucherinnen und Besucher mit auf seine inneren und äußeren Reisen und auch der Band, erschienen sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch, ist ein guter Wegbegleiter.
Aufwändig gestaltet, in Leinen gebunden und mit einer Vielzahl von Abbildungen und Fotografien ausgestattet, haben die Herausgeber Ralf Beil und Uta Ruhkamp eine wunderbare Balance zwischen Bildern und Texten gefunden: Aufnahmen aus der Ausstellung. Gäste, die sich in Heins Spiegelobjekten betrachten. Kinder, die begeistert vor den Wasserspielen stehen. Jeppe Hein in Aktion. Dazwischen eine Textcollage des dänischen Schriftsteller Peter Hoeg, in der er die Arbeit des Künstlers als einen Versuch darstellt, „das moderne Ich aus dem Turm unserer Persönlichkeit“ zu befreien. Ein Essay des Philosophen Finn Janning, Autor des Bandes über Jeppe The Happiness of Burnout, dessen Reise mit Hein durch einen norwegischen Gebirgszug die Botschaft trägt: Geh, wohin dich das Leben führt. Lisa Grolig aus dem Wolfsburger Team nimmt die Leser mit auf einen Gang durch die Ausstellung. Und der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt in seinem Beitrag Schweigende Welten, sprechende Räume Jeppe Hein als Resonanzkünstler, als jemanden, dessen „Kunst die Kraft“ entwickelt, „uns in Resonanz zur Welt treten zu lassen.“
Nach seinem Studium an der Royal Danish Academy of Art in Kopenhagen und an der Städelschule in Frankfurt entwickelte Hein seine erlebbaren, oftmals begehbaren Kunstwerke. Er arbeitet mit klaren Formen, dem Kreis, dem Quadrat, dem Rechteck. Mit Materialien wie Stahl und Chrom. Bezieht die Elemente Wasser, Feuer und Licht in seine Kunst ein. In Wolfsburg waren die Objekte wie in einem Labyrinth angeordnet, die Besucher sollten ihre eigenen Wege finden: TRINGULAR WATER PAVILION (2007, Wasser, hochglanzpolierter Edelstahl, Eisengitter, Düsen, Pumpen, Spionspiegelglas), CAGE AND MIRROR (2011, Stahl, Spiegel und Aufhängung, Käfig und Tunnel), YOU ARE RIGHT HERE RIGHT NOW (2012, Pulverbeschichtetes Aluminium, Neonröhren, Spionspiegelglas, pulverbeschichteter Stahl, Transformatoren) oder PATH OF FREQUENCIES (2013, Klangschalen, Sockel, pulverbeschichtete Stahlschienen, Seil, Kugeln, Wagen, elektrische Motoren, Kettenantrieb, Sensoren).
Und immer wieder Zeichnungen, Zeichnungen, Zeichnungen. Insgesamt 3253 Aquarelle waren in der Ausstellung zu sehen, viele sind nun im Katalog abgebildet. Die Arbeiten seien „wie ein Tagebuch“, entstanden als „eine Art Selbstgespräch“, so Hein im umfangreichen Interview mit der Kuratorin Uta Ruhkamp, in dem er auch auf sehr persönliche Fragen zu seinem Burnout antwortet. Er musste seinen eigenen Weg finden, er „habe gesucht und gesucht“, Meditation, Yoga, die Beschäftigung mit dem Buddhismus und Atemübungen haben ihm geholfen, sind nun Teil seines Alltags geworden. Und seiner Kunst.
Dies alles könnte auch ein wenig zu sehr ins heute so beliebte Um-sich-selbst-kreisen abdriften, ins Spirituelle, Lehrerhafte. Aber dies ist nicht der Fall. Der offene Umgang des Künstlers mit seiner Krankheit, die Verbindung von spielerischen und philosophischen Elementen in der Ausstellung und im Katalog überzeugt. Der Band ist ästhetisch ansprechend, klug und inspirierend, zeigt eine lebendige Kunst und einen kreativen Weg aus der Krise. „Jeder Mensch ist sein eigener Kartograf“, schreibt Uta Ruhkamp. „Würde man Wege, die man sein Leben lang zurücklegt, aufzeichnen, ergäbe sich eine ganz persönliche Landkarte, eine Lebenskarte.“
Die empfehlenswerte Publikation THIS WAY lädt ein, ein Stück des Weges mit Jeppe Hein zu gehen. Sich selbst in Bewegung zu setzen. Es muss ja nicht unbedingt der Kopfstand sein, mit dem Jeppe Hein die Leserinnen und Leser auf einer der letzten Seiten im Katalog verabschiedet.
This Way. Jeppe Hein
Hrsg. Uta Ruhkamp, Ralf Beil, Vorwort von Ralf Beil, Texte von Lisa Grolig, Peter Høeg, Finn Janning, Hartmut Rosa, Uta Ruhkamp, Gestaltung von Doublestandards
Hatje Cantz Verlag Ostfildern, 2016. 200 Seiten, 100 Abb., 39,80 Euro
ISBN 978-3-7757-4084-5 (Deutsch)
ISBN 978-3-7757-4085-2 (Englisch)
Titel zum Thema Jeppe Hein:
Jeder Mensch ist sein eigener Kartograf
Buchbesprechung: This Way. Jeppe Hein
Max Liebermann Haus
neurotitan
Verein Berliner Künstler
Galerie Parterre
Galerie Alte Schule im Kulturzentrum Adlershof