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Der Zeitpunkt, an dem es kein Zurück gibt - Jenny Brockmann in der Schering Stiftung

von Inge Pett (25.06.2016)
vorher Abb. Der Zeitpunkt, an dem es kein Zurück gibt - Jenny Brockmann in der Schering Stiftung

Jenny Brockmann, „Irreversibler Moment 20-14-220-9“, Detail, 2014. Foto: Bernd Hiepe

Bereits am Eingang ist er da, der kurze, aber entscheidende Moment. Welchen Weg wird der Besucher spontan wählen? Links um die Trennwand herum oder rechts die Treppe herauf auf das Hochplateau? „Ich bin gespannt“ erklärt die Berliner Künstlerin Jenny Brockmann. Bis zum 24. Juli hat sie die Galerieräume der Schering Stiftung in den „Wissensraum ´Irreversibler Moment`“ verwandelt. Entstanden ist ein offenes Labor, das auch die Besucher in Form von Workshops oder Wissenschaftsgesprächen involvieren wird.

„Es geht mir um den Zeitpunkt, der überschritten wird, an dem es kein Zurück mehr gibt“, erklärt Brockmann. Viele Jahre lang habe sie sich – ausgehend von der bildhauerischen Tätigkeit - mit dieser Fragestellung beschäftigt. „Wenn ich etwa bei einer Steinskulptur einen Teil wegnehme, kann ich den Schritt nicht mehr rückgängig machen – was negativ oder positiv sein kann“.

Nicht zuletzt die Nähe ihres Ateliers zum Wissenschaftsstandort Adlershof habe die 1976 geborene Künstlerin und Architektin inspiriert, sich in einen interdisziplinären Dialog mit Experten aus den Bereichen Chemie und Physik, darüber hinaus aber auch aus Tanz und Musik, zu begeben. Was ist die Ursache für grundlegende Veränderungen von Strukturen, Räumen, politischen und persönlichen Situationen? Und welche gesellschaftspolitische Bedeutung nimmt der „Irreversible Moment“ (ein Neologismus, bei dem auch das Adjektiv groß geschrieben wird) ein, den die Physiker gemeinhin als „irreversiblen Prozess“ und die Geisteswissenschaftler als „Point of no Return“ bezeichnen?


Jenny Brockmann, „Sitz #12“ mit der Forschungsgruppe "Irreversibler Moment", Schering Stiftung, 2016. Foto: Sebastian Mayer

Konferiert werden können diese Fragen an der Installation „Seat #12“, einem speichenradartig angeordneten Gebilde aus Aluminium mit Schaumstoffsitzen. Zwölf Leute haben auf der futuristisch anmutenden Sitzgruppe Platz. „Alle sind verbunden, verspüren die Schwingungen des anderen, doch jeder bleibt in seiner Disziplin“, so Brockmann. Achtsamkeit dem anderen gegenüber ist hier gefragt, denn wer im rapiden Alleingang aufsteht, kann sein Gegenüber ins Straucheln bringen. Interdisziplinär und interdisziplinierend gleichermaßen.

„Forschung bedeutet Perspektivwechsel“, betont die Künstlerin und hat ein Hochplateau in die Galerieräume eingebaut. Der Besucher erlange so einen Blick von oben, könne für eine Weile aus sich selbst heraustreten. Doch was erwartet ihn in der Höhe? Das ist zum einen eine Bibliothek, bestückt mit Philosophen und Schriftstellern von Sartre bis Kafka, die im Laufe der von Nora Mayr kuratierten Ausstellung noch anwachsen wird.
Aber auch ein Video hat Brockmann hier oben installiert. In diesem befragt sie den Freiburger Radiologen Valerij G. Kiselev, wann der Tod einsetze. „Vom Pfarrer bis zum Arzt bekommt man eine deutliche unterschiedliche Antwort, aber gewissermaßen sind sie alle richtig“, differenziert dieser. Ihn jedoch interessierten vor allem die Flüssigkeiten im Gehirn, also das Sehen im Detail.

Ob es der Tod ist oder die Evolution der Erde. Brockmann weicht den ganz großen Fragen nicht aus und arbeitet sich akribisch in neue Wissensgebiete ein. Mithilfe des Chemikers Kevin Bethke ging sie der Frage nach, wie es zum ersten Leben kam. Ein Modell zum Miller-Urey-Experiment simuliert die Entstehung organischer Moleküle in der Uratmosphäre mithilfe von Reagenzgläsern, Kolben und Funken. „Ich denke, dass ein einziger Blitz den Irreversiblen Moment ausgelöst hat, in dem Leben entstanden ist“, philosophiert die Künstlerin.


© Jenny Brockmann: „Irreversibler Moment“, Zeichnung, Buntstift auf Papier, 3,50 m x 2,50 m, 2016, Foto: Jenny Brockmann

In der „Zeichnung 20-16-030-6“ hat sie mit weißen filigranen Buntstiftlinien auf einer dreißig Meter langen schwarzen Tonpapierrolle erste Gedanken, Fragestellungen und Positionen zum „Irreversiblen Moment“ skizziert. Wie ist das etwa, wenn ein Glas zerspringt? Wann genau zerbirst es unwiderruflich? Sechsmal hat Brockmann sich dem möglichen Moment zeichnerisch angenähert, während die Akkordeonistin Franka Herwig wiederum diese Zeichnungen in eine Partitur verwandelt hat. Immer von der Prämisse ausgehend, dass jeder im Raum erklungene Klang ein „Irreversibler Moment“ sei. Denn, so Herwig, “in dem Moment, wenn ein Ton erklingt, verändern sich Stimmung, Material, Interpretation, Erwartung und Zeit“. Achtmal eingespielt und in sieben Teile gegliedert, würde es 100 Jahre dauern, um alle möglichen Soundkombinationen zu erfahren. Dabei hinterlassen die in der Schering Stiftung abgespielten Varianten durch ihre Schwingungen Spuren aus feinem Sand – und Bilder von einer ganz eigenen Poesie.

Für sie sei der Wissensraum eine ästhetische und wissenschaftliche Reaktion auf die Vielfalt und Dynamik des Lebens, resümiert Brockmann ihr Konzept. „Meine Vision besteht darin, dass wir im Alltäglichen Dinge neu erproben. Immer im Austausch mit anderen und vor dem Hintergrund der Frage: „Wo steht man selber? Wo steht die Gesellschaft?“

Wissensraum ´Irreversibler Moment`
Jenny Brockmann

Laufzeit: 24.06. - 24.07.2016
Donnerstag – Montag, 13 bis 19 Uhr | Eintritt frei

Schering Stiftung | Unter den Linden 32-34 | 10117 Berlin

Inge Pett

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