Der Ausstellungstitel erzeugt eine große Erwartungshaltung. Die Formel „How To...“ verspricht eine verständliche, gut umsetzbare Anleitung für den doch recht komplexen Sachverhalt „Living Together“. In der derzeitigen Schau in der Wiener Kunsthalle, die noch bis 15. Oktober läuft, stehen also Fragen nach dem sozialen Miteinander im Fokus.
Konkrete Handlungsanweisungen, Ideen für gesellschaftliche Zukunftsmodelle oder Projekte zur Verbesserung von sozialen Missständen bieten entgegen der Erwartung jedoch die wenigsten der in der Ausstellung präsentierten Werke. Eine solche Ausnahme bilden Wolfgang Tillmans’ unkonventionelle Plakate aus der Serie „Anti-Brexit-Campaign“, mit denen sich der Künstler offen politisch engagierte und für den Verbleib Großbritanniens in der EU warb. Die türkische Modedesignerin Ayzit Bostan entwarf T-Shirts mit dem Aufdruck „Imagine Peace“ in arabischer Schrift, die vom Aufsichtspersonal der Kunsthalle getragen und im Museumsshop erworben werden können.
Es sind dies Arbeiten, die versuchen, direkten Einfluss auf das Zusammenleben außerhalb der Wände der Kunstinstitution zu nehmen. Mehr davon hätte der Schau einen aktivistischen Charakter verliehen, den Nicolas Schafhausen und Juliane Bischoff als Kurator/in jedoch augenscheinlich vermeiden wollten. Ansonsten hätten sie weitere konkret sozial-politische Werke integriert - von denen gäbe es genug, etwa Michael Rakowitz´ „paraSITE“ (durch Lüftungsschächte beheizte Behausungen für Obdachlose) oder Rasheed Araeens Beitrag zur documenta 14 in Athen, für den er Menschen unter bunten Baldachinen zum gemeinsamen Essen und Reden einlud.
Die Schau hätte dann zumindest ansatzweise gehalten, was ihr Titel verspricht. Ähnlich dem populären Konzept des „Konstruktiven Journalismus“ würde sie nicht nur Probleme aufzeigen, sondern gleichzeitig auch Vorschläge zum Thema „How To Live Together“ unterbreiten — und wäre damit eine willkommene Abwechslung gewesen.
Stattdessen setzt die Schau auf starke Einzelpositionen von über 30 internationalen Künstler*innen wie Liam Gillick, Kader Attia, Yvonne Rainer, Rosemarie Trockel, Sarah Morris oder Leon Kahane. Besonders überzeugen Tina Barneys fotografische Sozialstudien aus ihrer Serie „The Europeans“, Aslan Gaisumovs Videoarbeit „Volga“, in der sich (in Erinnerung an seine Flucht aus Tschetschenien) 21 Menschen in ein Auto zwängen oder Binelde Hyrcans Kurzfilm „Cambeck“, der auch in der Ausstellung „Das Kapital“ im Hamburger Bahnhof zu sehen war. Vier Kinder haben sich darin an einem angolanischen Strand Mulden gegraben, um eine Autofahrt zu imaginieren. Ihre Gespräche offenbaren dabei einen Blick durch Kinderaugen auf die prekären Lebensumstände der angolanischen Hauptstadt. In Erinnerung bleiben auch Herlinde Koelbs Porträts von Angela Merkel im Zeitraum von 1991 bis 2006 aus dem Zyklus „Spuren der Macht“ und Goshka Macugas täuschend echt aussehender sprechender Androide, der die Besuchenden im ersten Obergeschoß auf einem Halbrund sitzend erwartet und (wenn er nicht gerade außer Betrieb ist) Sigmund Freud, Friedrich Nietzsche oder Hannah Arendt zitiert. Erfrischend humorvoll arbeitet die russische Künstlerin Taus Makhacheva, die mit zwei Werken vertreten ist. Für die Fotoserie „19 a Day“ besuchte sie gemeinsam mit einem professionellen Hochzeitsfotografen im September 2014 zahlreiche Hochzeiten in der russischen Stadt Machatschkala und inszenierte sich als Teil der Hochzeitsgesellschaft. Die Fotos zeugen auf amüsante Weise von ihren „Foto-Bombs“ und „Hochzeits-Crashes“. In der 4-Kanal-Videoarbeit „Super Taus“ ist die Künstlerin in traditioneller Kleidung zu sehen, wie sie ein von ihr hergestelltes Denkmal durch das Moscow Museum of Modern Art schleppt, um einen geeigneten Platz dafür zu finden. Das Denkmal zeigt zwei Museums-Aufseherinnen, die in den 1990er-Jahren den Raub eines Werkes von Alexander Rodschenko verhinderten.
Das Besondere einer Gruppenausstellung ist, dass die einzelnen Arbeiten unter einem Überthema mitunter in neuem Licht betrachtet werden und in Summe ein ganzheitliches Bild abgeben. Das passiert hier nicht. „Ausgehend von persönlichen Erfahrungen thematisieren die Kunstwerke Flucht und Migration, Rassismus und Ausgrenzung, aber auch Solidarität und Teilhabe“ erläutern Bischoff und Schafhausen recht oberflächlich im Booklet zur Ausstellung. Die gezeigten Werke sind zwar für sich starke Positionen, passen aber so gut (oder schlecht) wie beinahe jedes andere Kunstwerk in das gewählte Überthema des Zusammenlebens. Wer die Ausstellung verlässt, wird jedenfalls wenig Neues zur Frage nach dem „how to“ erfahren haben.
Dass es DIE Lösung für komplexe, weltweite sozio-politische Probleme naturgemäß nicht geben und eine Kunst-Ausstellung diese zu bieten deswegen auch nicht leisten kann, ist unbestritten. Und doch hätte man sich unter diesem Titel ein konkretes kuratorisches Konzept mit Werken gewünscht, die das Potenzial von Kunst signalisieren, gesellschaftliche Veränderungen anstoßen zu können. Zumindest hätte man sich aus solchen Arbeiten mehr Anregungen für ein soziales Zusammenleben mitnehmen können als von Willem de Rooijs Blumenstrauß oder Gelitins hier seltsam nichtssagend anmutenden Abfall-Installationen. Dass die Schau nichtsdestotrotz sehenswert ist, liegt einzig an der hohen Qualität der einzelnen Werke.
How To Live Together
25/5 - 15/10 2017
Öffnungszeiten
Täglich 11 – 19 Uhr
Donnerstag 11 – 21 Uhr
Kunsthalle Wien Museumsquartier
Museumsplatz 1
1070 Wien
kunsthallewien.at
Titel zum Thema Wiener Kunsthalle:
Kann Kunst die Welt verändern? Die Schau „How To Live Together“ in der Wiener Kunsthalle
Von einem Ausflug nach Wien: Der Ausstellungstitel erzeugt eine große Erwartungshaltung. Die Formel „How To...“ verspricht eine verständliche, gut umsetzbare Anleitung für den doch recht komplexen Sachverhalt „Living Together“.
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