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„Singe zu denen, die hören wollen“ – „Facing India“ in Wolfsburg stellt sechs indische Künstlerinnen vor

von Inge Pett (06.10.2018)
vorher Abb. „Singe zu denen, die hören wollen“ – „Facing India“ in Wolfsburg stellt sechs indische Künstlerinnen vor

Bharti Kher, PORTRAIT NIRMILA, 2017
Saris, Kunstharz und Beton, 152 x 63 x 56 cm
© Courtesy of the artist and Perrotin, Foto: Jeetin Sharma


Es ist eine eher unauffällige Installation, die dennoch ganz besonders nachwirkt. „Sing to Them that Will Listen“ von Bharti Kher besteht aus einer tibetischen Klangschale, gefüllt mit 95.000 Reiskörnern. Derzeit präsentiert das Kunstmuseum Wolfsburg diese Arbeit im Rahmen der Gruppenausstellung „Facing India“. Das Besondere: Professionelle Reiskornbeschrifter haben die winzigen Körner beschrieben – auf Englisch, Hindi und Pandschabi. Sie tragen Angaben über Nationalität, Hautfarbe, Kaste, finanzielle Lage und Familie.

Die Künstlerin hat diese Kategorien den Hochzeitsanzeigen der Indian Sunday Newspaper und anderer Zeitungen entnommen, aufgegeben von denjenigen, die heiraten wollen oder denen – in Indien Usus – eine arrangierte Heirat bevorsteht. „Es ist eine anthropologische Studie des gesamten indischen Subkontinents in einer Reisschale“, so Bharti Kher. Kasten, Ethnien, Religionen und Geschlechter vermischen sich vereint in einer Schale. Würden die Reiskörner ein Lied anstimmen, wie der Titel es insinuiert, wäre es ein prachtvoller vielstimmiger Chor, gehört von denen, die hören wollen.

Dabei ist Khers Einblick gleichsam ein Blick von außen. „Ich bin ein Hybrid“, so Kher. Die 1969 in London gebürtige Künstlerin lebt in Indien, seit sie 22 Jahre alt war. „Da lag etwas in der Luft und man sah, wie das Land in Bewegung kam“, erklärt sie ihre Entscheidung, Großbritannien zu verlassen. „Die internationale Kunstwelt hatte Indien noch nicht wahrgenommen, und wenn sie es tat, wollte ich mit neuen Arbeiten hier sein.“ Ihre optimistische Prognose hat sich inzwischen bewahrheitet: Heute genießt Kher internationales Renommee und war erst jüngst mit einer Einzelausstellung im Museum Frieder Burda in Berlin zu sehen.



Bharti Kher, SIX WOMEN, 2013-2015
Installationsansicht „Facing India“ im Kunstmuseum Wolfsburg
6 Skulpturen aus Verbandgips, Holz und Metall, Jeweils ca. 123 x 61 x 95,5 cm
© Courtesy of the artist and Perrotin, Foto: Marek Kruszewski


In Wolfsburg ist sie mit mehreren Arbeiten prominent vertreten, die vordergründig einen ganz verschiedenen Charakter besitzen. „Mein Geist ist rastlos“, erklärt sie. „Ich brauche verschiedene Räume für die verschiedenen Bereiche meines Selbst, und aus diesem Grund gibt es viele Arten von Werken“.

Eine Säule etwa, gebildet aus tausenden, roten, hauchdünnen Armreifen, schießt auf bis zur Decke des Museumsbaus. Die Künstlerin hat diese poetische Arbeit, die zugleich grazil ist und kraftvoll, mit dem Titel „Bloodline“ versehen. „Kunstwerke haben das Potenzial, dass sie nicht nur metaphorisch, sondern auch ästhetisch und taktil und wunderbar anzusehen sein können,“ so Kher.

Bedrückend hingegen ist die Installation „Six Women“, deren Fertigung der erklärten Feministin persönlich sehr nahe gegangen sei, wie sie eingesteht. In dieser Arbeit setzt sie das „Gedächtnis der Haut“ in den Fokus und geht der Frage nach, ob eine Person sich verändert, wenn der eigene Körper andere Menschen aufgenommen hat. Als „extremste Empfänger des anderen“ hat sie daher sechs Sexarbeiterinnen in Gips porträtiert. Wenn man Gips auf die Haut auftrage, öffneten sich die Poren und der Gips nehme „Geruch, Körper, Gefühl und Wesen“ auf. Der sprechenden Aura der sechs ausgebeuteten Körper steht nun der Kunstmuseumsbesucher gegenüber – sprachlos.

Bharti Kher ist neben Vibha Galhotra, Prajakta Potnis, Reena Saini Kallat, Mithu Sen und Tejal Shah eine der sechs Künstlerinnen, die je einen eigenen Bereich des Museums bespielen, verbunden durch Sichtachsen und ein Forum in der Mitte. Damit setzt die Kuratorin Uta Ruhkamp ein klares Statement „für Kommunikation und die Einheit in der Vielfalt jenseits von Schubladen- und Kastendenken“. Die sechs Künstlerinnen verbindet zwar derselbe Subkontinent, dieselbe Generation und eine vergleichbare kulturelle Sozialisierung, der künstlerische Ansatz und die Techniken hingegen sind mannigfaltig. Und längst nicht alle Positionen haben dieselbe Überzeugungskraft, wirken dem Format der musealen Ausstellung bisweilen nicht gewachsen.


Vibha Galhotra, BREATH BY BREATH, 2016/17
Digitale Diaprojektion, Glaskasten und Stahl, 30,5 x 25,4 x 25,4 cm
© Courtesy of the artist


Als besonders stark hervorzuheben hingegen sind neben dem Werk Khers die Arbeiten der 1978 geborenen Vibha Galhorta, die sich mit der Umweltverschmutzung in Indien auseinandersetzt und den Elementen Luft, Wasser, Feuer, Erde und Äther je eine Installation widmet.

So zeugen die Filmarbeit „Manthan“ und die Stelen der Arbeit „Remains“ von dem kontaminierten Wasser des Flusses Yamuna. Dieser fließt durch Delhi und führt nur noch ein bis zwei Prozent Flusswasser – der Rest sind Abwässer. Vier Protagonisten in dem Film wühlen das Wasser auf, indem sie ein weißes Tuch durch den Fluss ziehen. Die Künstlerin nimmt damit Bezug auf die Hindu-Mythologie, der zufolge die Götter das Wasser des Meeres aufwirbeln, um den Nektar der Unsterblichkeit zu gewinnen. Doch stattdessen mahnt das ehemals weiße, nun nahezu schwarze Tuch, sich des drohenden Todes durch unreines Wasser zu vergegenwärtigen.

Ebenso wie auch die Luftqualität bedrohliche Ausmaße annimmt: Galhorta vergleicht die Stadt Delhi gar mit einer Gaskammer, da die Feinstaubwerte in der Mega-City die Grenzwerte um das 75-fache übersteigen. Bezugnehmend auf einen Text von Nostradamus, der beschreibt, dass sich die genetische Struktur verändern und den Menschen Schweineschnauzen wachsen werden, präsentiert die Künstlerin Fotos von Indern in jeder Lebenslage – mit Sauerstoffmasken.

FACING INDIA
29.04.2018 – 07.10.2018

Kunstmuseum Wolfsburg
Hollerplatz 1
38440 Wolfsburg
Telefon +49 (0) 5361-2669-0
kunstmuseum-wolfsburg.de/

Inge Pett

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