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Die zeitlosen Werke von Robin Rhode im Kunstmuseum Wolfsburg

von Urszula Usakowska-Wolff (08.02.2020)
vorher Abb. Die zeitlosen Werke von Robin Rhode im Kunstmuseum Wolfsburg

Robin Rhode
CLASSIC BIKE
2002
12 Diasecs
each: 29,8 x 45,7 cm
© Courtesy: The Artist


Unter dem Titel Memory Is The Weapon zeigt das Kunstmuseum Wolfsburg eine umfangreiche Retrospektive mit fotografischen-, Wand-und Papierarbeiten sowie Performances und Digitalanimationen des in Berlin lebenden südafrikanischen Multimedia-Künstlers, der vor allem ein großartiger Zeichner ist.

Ein einzelner Mann spielt draußen Basketball, dribbelt, stolpert, fällt auf den Betonplatz, richtet sich auf, springt und wirft den Ball in den Korb. Ein anderer versucht, auf ein Fahrrad zu steigen. Das sind so allgegenwärtige und gewöhnliche Bilder, dass sie keine Aufmerksamkeit verdienen. Es sei denn, sie sind das Werk von Robin Rhode, dem es durch die Kombination von Zeichnungen und Performances gelingt, eine innovative, unverwechselbare, visuelle Erzählkunst zu schaffen. Es ist die Kunst der Illusion, denn beim Betrachten der Fotografien und Fotoserien entsteht der Eindruck, dass sie sich bewegen. Ihre Akteure sind reale Menschen in einem realen urbanen Ambiente: In den meisten Fällen der Künstler selbst, der vor einer tatsächlich existierenden Wand agiert und mit den darauf eigenhändig gezeichneten Objekten interagiert. Die Bilderfolge, die ihn bei den Bemühungen zeigt, eine unmögliche Situation zu meistern, ist die Grundlage der animierten Kurzfilme im Stil der Slapstickkomödien aus der Stummfilmära. Die Kleidung, Posen und Gesten der Hauptfigur und seine tragikomischen Versuche, die tückischen Objekte zu beherrschen und das Gleichgewicht zu behalten, erinnern an Charlie Chaplin und Buster Keaton: stark überzeichnete Figuren, die mit theatralischer Gestik, Mimik und dem Einsatz des ganzen Körpers die wortlose Handlung verständlich machen.


Robin Rhode
PIANO CHAIR
2011
Digitale Animation, 3:53 Min.
© Courtesy: The Artist


In Johannesburg und in Jericho

Robin Rhode, 1976 in Kapstadt geboren und in Johannesburg aufgewachsen, lebt seit 17 Jahren in Berlin. Doch wer seine international gefeierte Kunst kennen lernen möchte, muss nach Wolfsburg fahren und das Kunstmuseum besuchen. Dort sind in der Ausstellung Memory Is The Weapon 50 seiner Werke versammelt, die er seit 2002 gefertigt hat. Sie zeigen den prozesshaften Charakter seiner temporären Arbeiten, die als Fotos, Fotoserien und Animationen erhalten bleiben. Robin Rhode ist ein vielseitig begabter Künstler: Er plant die Handlung seiner spontan wirkenden Performances bis ins kleinste Detail, sucht die passende Kleidung und Kulissen, in denen sie stattfinden, aus. Das ist in den meisten Fällen eine Hauswand, die sich in einem sozialen Brennpunkt in Johannesburg befindet. Seine neueste Serie entstand dagegen in Jericho; ihre Präsentation im Kunstmuseum Wolfsburg ist eine Premiere. Sie wurde nicht mehr vor einer Wand, sondern in und vor verfallenden Lehmhäusern aus der osmanischen Zeit aufgenommen. Robin Rhode tritt im Jericho-Projekt persönlich nicht auf. Er wird von seinen „Doppelgängern“ Maxime Scheepers und Kevin Narain, einer Performerin und einem Performer aus Südafrika, mit denen er seit zwei Jahren zusammenarbeitet, vertreten. Zugleich markiert diese Serie eine neue Werkphase in seiner Kunst, in der die Sehnsucht nach Spiritualität und der friedlichen Koexistenz dreier Religionen zum Ausdruck gebracht wird.


Robin Rhode. Memory Is The Weapon
Kunstmuseum Wolfsburg
28.09.2019 - 09.02.2020
© Courtesy: The Artist


Kunst mit menschlichem Maß

In der Ausstellung Memory Is The Weapon, deren Titel sich auf die Autobiografie von Don Mattera bezieht, wird deutlich, dass Erinnerung die (symbolische) Waffe des Künstlers ist, der sich ihrer bedient, um die Vergangenheit und Gegenwart der „Coloureds“ zu visualisieren: „Wir sind weder weiß noch schwarz. Welche ist unsere Geschichte?“, fragte Robin Rhode beim Presserundgang. „Wir wissen es nicht. Das ist die mich antreibende Kraft: Ich muss diese Geschichten, Materras und meine erzählen.“ Als Jugendlicher war Don Materra Anführer der Gangsterbande The Vultures (Die Geier) im Johannesburger Stadtteil Sophiatown, dann Anti-Apartheid-Kämpfer, Journalist und Dichter, der unter Hausarrest stand und wiederholt gefoltert wurde; er konvertierte vom Katholizismus zum Islam. Seine Geschichte visualisiert Rhode in der C-Prints-Serien Vultures (2012), Twilight, Blackness Blooms, Almanac (2012-2013) und in den digitalisierten Super 8 Filmen Blackness Blooms und The Moon is asleep (2015). Doch abgesehen vom südafrikanischen Kontext seines Werks fällt auf, dass der irrende und häufig vergeblich nach Glück strebende Mensch im Mittelpunkt steht. Rhodes Kunst hat ein menschliches Maß, sie schwimmt sozusagen gegen den Kunststrom, der die Betrachter mit riesigen Installationen, Wundern digitaler Technik, verblüffen und überwältigen will. Seine übersichtlichen und aufs Wesentliche reduzierten Fotoserien und die daraus entwickelten langsamen und mit einigen wenigen Musiksequenzen untermalten Kurzanimationen erzählen davon, dass ein bisschen Schönheit – wie die eine oder andere mit harmonischen und rhythmischen geometrischen Mustern bemalte Wand – die heruntergekommenste, verwahrloseste, von Hass, Drogen und Gewalt geprägte Gegend, auch wenn nur für einen Augenblick, in ein Paradies verwandeln kann.


Robin Rhode
UNDER THE SUN
2017
36 individual C - prints
each: 50 cm x 50 cm / 52,6 cm x 52,6 cm (framed)
© Courtesy: The Artist


Eine alles verbindende Ordnung

Robin Rhode staunt immer wieder über die Schönheit der Vergänglichkeit. Die Risse in den Fassaden sind wie die faltige Haut alter Menschen. Das ist der Lauf der Dinge. So sieht sie aus, die Endlichkeit, auch wenn die heutige orientierungslose und hektische Welt das vergessen zu haben scheint. Dem Chaos, das auch in den Köpfen herrscht, setzt er Formen und Farben entgegen, die er bei den Koryphäen der Kunst- und Geistesgeschichte wie Albrecht Dürer, Johann Wolfgang von Goethe, Claude Monet, Piet Mondrian und Johannes Itten findet. Sie können dabei helfen, dem um sich greifenden Wirrwarr für eine Weile zu entfliehen. „Die zeitlosen Werke Robin Rhodes lesen sich mit ihrem globalen Vokabular wie eine große Gesamtmetapher für die Möglichkeiten einer Weltkultur der Gegensätze, hinter der sich eine alles verbindende Ordnung verbirgt. Er verleiht wohldosierten soziopolitischen Themen eine Ästhetik und Leichtigkeit, die sie verdaulich macht. In diesem Sinne haben seine eskapistischen Werke auch immer etwas Versöhnliches. Sie sind menschlich“, schreibt Uta Ruhkamp im inhaltlich wie grafisch vorbildlich gestalteten Katalog der von ihr kuratierten Ausstellung. „Künstlerisch raffiniert, politisch gewandt, aber humorvoll genug schenkt Robin Rhode dem Betrachter ´kleine` und ´große` Freuden des Alltags.“

Robin Rhode: Memory Is The Weapon
bis 9. Februar 2020
Kunstmuseum Wolfsburg
Hollerplatz 1, 38440 Wolfsburg
Di-So 11-18 Uhr
www.kunstmuseum-wolfsburg.de

Urszula Usakowska-Wolff

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