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19 Uhr: mit dem Klangkünstler und Performer Antti Tolvi aus Turku, Finnland im Rahmen der Ausstellung "Sound, light, silence" Galerie Pleiku | Eugen-Schönhaar-Str. 6a | 10407 B

Der Porträtist und Performer Witkacy. In der Galerie des Polnischen Instituts Berlin

von Urszula Usakowska-Wolff (26.02.2019)
vorher Abb. Der Porträtist und Performer Witkacy. In der Galerie des Polnischen Instituts Berlin

Witkacy, Gefaehrlicher-Bandit, J.Głogowski, ca. 1931, © + courtesy Tatra Museum in Zakopane

Stanisław Ignacy Witkiewicz, der sich Witkacy nannte, war ein mit vielen Talenten gesegneter Künstler: Maler, Fotograf, Schriftsteller, Bühnenautor und Philosoph. Die Ausstellung unter dem etwas merkwürdigen Titel Witkacy. Ein genialer Psychoholiker im Polnischen Institut Berlin zeigt ihn als einen Vorläufer der Konzeptkunst.

Bekannt wurde Stanisław Ignacy Witkiewicz, am 24. Februar 1885 in einer Künstlerfamilie in Warschau geboren, vor allem als Bürgerschreck und Provokateur. Seine amourösen Affären mit einer viel älteren und etlichen viel jüngeren Frauen sorgten für Aufsehen. Diese turbulenten Beziehungen waren der Stoff, aus dem seine Romane sind. Lebenslang konsumierte er Drogen, um sich von ihrem positiven Einfluss auf die Kreativität zu überzeugen. Witkacy war sein eigenes Versuchskaninchen, allerdings kein Suchtkranker, denn er nahm sie immer unter ärztlicher Aufsicht. Er war ein mäßiger Trinker und ein starker Raucher. „Die Kunst ist eine Flucht, die edelste Droge, welche uns in andere Welten ohne schlechten Folgen für Gesundheit und Intelligenz versetzen kann“, schrieb er. Nachdem die deutschen Truppen am 1. September 1939 in Warschau einmarschierten, flüchtete er mit seiner Geliebten nach Ostpolen. Als er erfahren hatte, dass die Rote Armee am 17. September Ostpolen besetzte, nahm er sich einen Tag später das Leben.

Künstler und Offizier
Seine ersten Ölbilder malte Witkacy in Australien, wohin er Anfang 1914 nach dem Selbstmord seiner Verlobten Jadwiga Janczewska zusammen mit dem Anthropologen Bronisław Malinowski reiste. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zog er nach Sankt Petersburg, wo er an der Offiziersschule studierte. Als Offizier eines Regiments der zaristischen Leibgarde wurde er an der Front in Wolhynien verwundet, kehrte nach Petersburg zurück und besserte seinen Sold mit Porträtmalerei auf. Dazu benutzte er Kohle und Pastellkreiden. Er war Zeuge des Bürgerkriegs in Russland und lehnte seitdem Revolutionen ab. Im Verschwinden des Individuums in der fanatisierten, von Demagogen verführten Masse sah er die Grundlage für Totalitarismen, die neue, noch skrupellosere Diktatoren an die Macht bringen.


Witkacy, Nena Stachurska (1930), © Tatra Museum Zakopane

Auftragskunst hält in Form
1918 kehrte Witkacy nach Warschau zurück, im Gepäck sein philosophisch-ästhetisches Werk Neue Formen in der Malerei und die daraus resultierenden Missverständnisse, wo er die Konzeption der Reinen Form in der Kunst darlegte: Der Inhalt der Kunst spielt keine Rolle mehr, wichtig ist die Form, die weder naturalistisch noch realistisch sein darf, um den durch die Massenkultur stumpf gewordenen Betrachter aufzurütteln und zum Denken anzuregen. Weil es dem Künstler aber nicht gelang, in der Malerei die Reine Form auszudrücken, und er davon seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten konnte, malte er 1925 sein letztes Ölbild unter dem Titel Die letzte Zigarette. Danach gründete er die Ein-Mann-Porträtfirma S. I. Witkiewicz, welche Konterfeis auf Bestellung und gegen Vorkasse fertigte. „Das Zeichnen ähnlicher und relativ gut gezeichneter Porträts hält mich in Form und bringt mir darüber hinaus Geld. Bisher war ich (wie sich meine Frau ausdrückte) ein Winkelporträtist“, schrieb er Jadwiga Unrug, mit der er seit 1923 verheiratet war. Witkacy malte fast 5000 solcher Porträts, drei Viertel davon wurden bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes 1944 durch die deutschen Besatzer vernichtet.

Mit Fantasie, Esprit und Humor
Die Ausstellung Witkacy. Ein genialer Psychoholiker im Polnischen Institut Berlin zeigt Pastellkreiden-Porträts der Firma S. I. Witkiewicz und die fotografischen Selbstporträts des Künstlers, die meisten Anfang der 1930er Jahre entstanden. Die knapp 40 Arbeiten zeugen von Fantasie, Esprit und Humor des Kunstunternehmers und Fotografen. Der Werbeslogan seiner Firma war: „Der Kunde muss zufrieden sein. Missverständnisse ausgeschlossen.“ In der Geschäftsordnung stand unter anderem, dass die Porträtierten beim Zeichnen nicht zuschauen, keine Zeugen mitbringen und das Erzeugnis nicht kritisieren dürfen. Sie müssen aber pünktlich zur Sitzung erscheinen, denn „das Warten hat einen schlechten Einfluss auf die Laune der Firma und kann für das Endprodukt negative Folgen haben.“ Es gab fünf Typen von Porträts: Typ A, vor allem für schöne Frauen, die vor einem fantastischen Hintergrund abgebildet wurden; Typ B – mit vielen Strichen und etwas abstrakten Gesichtszügen, Typ C – keine Auftragsarbeiten, Porträts aus Witkacys Freundeskreis; Typ E – vor allem für Kinder und kindliche Gemüter; Typ U – „Untergang des Talents des Künstlers“. Die meisten dieser Bilder sind mit Kürzeln versehen, die für die vom Künstler während des Porträtierens konsumierten Drogen stehen: Kokain, Meskalin, Morphin, Alkohol, Kaffee und Zigaretten.

Vorläufer der Konzeptkunst
In seinen fotografischen Selbstporträts schneidet Witkacy 21 Mienen, schlüpft in die Rolle eines guten oder schlechten Banditen, lächelt schelmisch oder bläst seine Backen auf. „Aus Enttäuschung über die Ölmalerei und aus materieller Not wird Witkacy ein kapitalistischer Unternehmer. Er verpasst seiner Porträtmalerei ein Organisationskonzept, womit er ein Vorläufer der Konzeptkunst ist“, so Anna Maria Potocka, Kuratorin der Ausstellung. „Während seine Porträts allgemein bekannt waren, verheimlichte er seine fotografische Tätigkeit. Dabei sind seine Fotografien heute sehr gefragt und erzielen viel höhere Preise als die Porträts. In seinen fotografischen Selbstporträts erkundet er die Geheimnisse und Abgründe seiner Psyche. Die Art, wie er vor der Kamera agiert, zeigt ihn als einen Vorläufer der Performance.“

Genialer Visionär
Obwohl alle Arbeiten aus konservatorischen Gründen nur als Fotokopien an den Wänden hängen, ist die Ausstellung in der Galerie des Polnischen Instituts sehenswert. Sie präsentiert einen kleinen Ausschnitt aus dem Werk eines Künstlers, der auf Anerkennung lange warten musste, denn er war seiner Zeit voraus. Nicht als Psychoholiker, was das auch bedeuten mag, sondern als genialer Visionär. „Wir leben nämlich in einer schrecklichen Epoche, wie sie die Menschheitsgeschichte bisher nicht kannte, die derart mit gewissen Ideen maskiert ist, dass der heutige Mensch sich selbst nicht kennt, er wird in der Lüge geboren, lebt und stirbt in ihr, ohne zu merken, wie tief er gefallen ist.“ Dieser immer noch aktuelle Satz, den Witkacy 1919 schrieb, steht wie ein Menetekel an der Galeriewand.

Galerie des Polnischen Instituts Berlin
Burgstraße 27, 10178 Berlin
bis 29. März 2019
Di-Fr 10 bis 18 Uhr
berlin.polnischekultur.de

Urszula Usakowska-Wolff

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