12 Uhr: Lesung, Film, Happening mit Kerstin Hensel & Karin Sander (Begrüßung), u.a. Akademie der Künste | Pariser Platz 4 | 10117 Berlin
An der Ausstellung Micro-Era. Medienkunst aus China in den Sonderhallen des Kulturforums nehmen die Künstlerinnen Cao Fei und Lu Yang teil, die sich als „Dialogpartner“ Fang Di und Zhang Peili wählen durften. Die generationsübergreifende Gruppenschau ist ein Beitrag zum 25. Jubiläum der Partnerschaft zwischen Berlin und Peking.
Für Kunstjogging eignet sich diese Schau nicht. Um sie zu sehen, reichen vier Stunden nicht aus. Micro Era ist ein opulentes Spektakel, das Augen, Ohren und an vielen Stellen auch die Konzentration und Geduld auf die Probe stellt. Nicht nur die optischen und akustischen Reize sind überwältigend, auch die Inhalte liegen so weit auseinander, dass es am Anfang schwer fällt zu verstehen, worin der Sinn der „Dialogpartnerschaften“ – eine Idee des vierköpfigen kuratorischen Teams – besteht. Was haben die sorgfältig komponierten Filme von Cao Fei, die fiktives und dokumentarisches Material vermischt, und die Überforderung eines Teils der chinesischen Gesellschaft als Folge der Urbanisierung, Industrialisierung und Digitalisierung zeigt, mit denen von Fang Di zu tun, der mit seiner Kamera Folkloregruppen und politische Massenveranstaltungen in Papua Neuguinea begleitet? Was verbindet die überbordenden, knalligen 3-D-Animationen der Künstlerin Lu Yang mit den asketischen, vorwiegend schwarzweißen Installationen von Zhang Peili, außer dass sie, wie zu lesen ist, Studentin dieses Pioniers der chinesischen Videokunst war?
Logistik und Politik
Die in Peking lebende Cao Fei (* 1978) macht zum Schauplatz ihrer Videoinstallation Asia One (2018) ein riesiges, fast vollständig automatisiertes Logistikzentrum, in dem niedliche Roboter die Pakete sortieren und auf die Fließbänder stellen. Im ergänzenden Dokumentarfilm 11.11. (2018) lässt die Künstlerin real existierende Menschen zu Wort kommen: Schlecht bezahlte Kuriere, die am Ende der E-Commerce-Kette stehen und die Pakete an die Kunden fahren und aushändigen müssen. Am 11. November, dem chinesischen Black Friday, arbeiten sie häufig 18 Stunden am Tag. Es sind moderne Arbeitssklaven, die alles in Kauf nehmen, da sie sich für ihre Kinder eine bessere Zukunft erhoffen. Der im Shenzhen und Port Moresby beheimatete Fang Di (* 1987) ist Künstler und Angestellter der Belt-and-Road-Initiative in Papua Neuguinea. Er zeigt aus der Perspektive eines Insiders mit wessen Hilfe die chinesischen Wirtschaftsinteressen durchgesetzt werden. In seinem Film Minister dokumentiert er die bizarren Auftritte eines zynischen, aus Australien stammenden weißen Politikers, der von autochthonen Männern auf Händen getragen wird, während eine Folkloregruppe in Baströckchen singt, trommelt und tanzt: Viel hopphopp im Loop.
Welcome in Luyang Hell!
Auch in den Videoinstallationen von Zhang Peili (* 1957) aus den 1980er und 1990er werden politische und gesellschaftliche Fragen nur angedeutet. Sein Thema ist das Individuum, die individuelle, intime, häufig zwanghafte Geste. Wenn das Individuum sich vom Staat bedrängt fühlt, beginnt es, seinen Körper zu berühren und zu kratzen, um sich zu vergewissern, ob es noch etwas hat, das ihm einzig und allein gehört. Das ist ein Irrtum, denn nach dem Betreten seines Opposite Space (1995) wird klar, dass man sich in einer Art Gefängniszelle befindet: Das Licht geht plötzlich an, und auf dem bisher dunklen Fernsehschirm erscheint das eigene Gesicht. Die Überwachung ist allgegenwärtig, niemand kann ihr entgehen. Da schafft sich die Lu Yang (* 1984) aus Schanghai lieber eine eigene digitale Anime-Hölle, die von ihr regiert, bespielt, beseelt und kontrolliert wird. Was es dort alles nicht gibt: ihr Alter Ego, den allgegenwärtigen geschlechtslosen Uterus Man, wahnsinnige Mandalas, irre Verbrechen und Strafen, Exorzismen, wandelnde Gehirne, Lolitas, Leichenwagen, tanzende Buddhas und grinsende Skelette. Über ihnen schweben aufblasbare Plastikfiguren mit glühenden Augen. Oweia! Welcome in Luyang Hell! Das ist eine effekthascherische Kunstwelt, die sich wie ein PC-Spiel gebärdet. Hyperaktiv, kitschig, mit auf die Spitze getriebenen Narzissmus und dem Halbwissen zu jedem Thema aus der Fundgrube des Internets, feiert sie sich selbst, um die Leere, die in den zuckenden Bildern, schrillen Farben und Tönen lauert, zu vertreiben.
Micro Era ist eine Ausstellung, in der Medienkunst aus China gezeigt wird. Eine hochtechnisierte und entpolitisierte Kunst, die gesellschaftliche Probleme weitgehend außen vor lässt. Ist das typisch für die chinesische Kunst, dass sie komplizierte Themen meidet, um unbehelligt artige Medienspektakel zu produzieren? Oder ist die chinesische Wirklichkeit zu wenig „cineastisch“ für solch ein großes Kino?
Micro Era. Medienkunst aus China
Bis 26. Januar 2020
Kulturforum
Matthäikirchplatz, 10785 Berlin
Sa-So 11-18 Uhr; Di, Mi, Fr 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr, Mo geschlossen
Katalog: 30 Euro
www.smb.museum
Titel zum Thema Kulturforum :
Großes Kino: Medienkunst aus China im Kulturforum
Ausstellungsbesprechung: An der Ausstellung Micro-Era. Medienkunst aus China in den Sonderhallen des Kulturforums nehmen die Künstlerinnen Cao Fei und Lu Yang teil, die sich als „Dialogpartner“ Fang Di und Zhang Peili wählen durften.
Verein Berliner Künstler
Alfred Ehrhardt Stiftung
nüüd.berlin gallery
a.i.p. project - artists in progress
Haus am Lützowplatz