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Berlin Daily 20.04.2024
Künstlerinnengespräch

17 Uhr: im Rahmen der Ausstellung Luise Marchand & Laura Schawelka »All Beauty Must Die« Villa Heike | Freienwalder Str. 17 | 13055 Berlin

Kurz vor 12 - zwischen Morgentau und Abendrot. Sun Rise | Sun Set im Schinkel Pavillon

von Maximilian Wahlich (22.08.2021)
vorher Abb. Kurz vor 12 - zwischen Morgentau und Abendrot. Sun Rise | Sun Set im Schinkel Pavillon

works from left to right: Pierre Huyghe, Cerrio Indio Muerto, 2016, 64 x 96 cm, Framed Photograph, Courtesy of the artist and Esther Schipper, Berlin
Pamela Rosenkranz, Infection (Calvin Klein Obsessi­on for Men), 2021, Terra Preta, scent, LED light, Courtesy of the artist and Sprüth Magers, Berlin.
Henri Rousseau, La Belle et la bête, c. 1908, 32 x 41,5 cm, Oil on canvas, Courtesy of bpk / Nationalgalerie, SMB, Sammlung Scharf-Gerstenberg
Precious Okoyomon, Ditto Ditto, 2020, 63 x150 x 74 cm, Rock, earthworms, moss, dirt, Courtesy of the artist
© Schinkel Pavillon and the artists, photos: Andrea Rossetti


Im Schinkel Pavillon verhandelt die Ausstellung Sun Rise | Sun Set unser Naturverständnis, unsere Vorstellungen vom tierischen Leben und befragt vor allem unseren Umgang mit den Klimawandel. Dabei wird nicht mit wissenschaftlichen Fakten operiert. Viel eher hantieren die Künstler*innen mit dem Rätselhaften, dem Zwischenraum und dem Übergang. Zwischen Sonnenauf- und -untergang ist unklar wie es um den Sonnenstand unserer Zeit nun eigentlich steht.

Die Ausstellung verteilt sich auf das Ober- und Untergeschoss des Schinkel Pavillons. Die Reihenfolge ist den Besuchenden überlassen. Noch im Foyer neben der Tür zum Untergeschoss bewegt sich die erste Skulptur von Max Hooper Schneider (*1982), ein technophiles Insekt, das an einer Stelle verharrt. Seine Oberfläche ist silbrig matt, seine Arme greifen krakenartig in den Raum und bewegen sich langsam auf und ab. Es scheint hier unten zu leben. Die Besuchenden sind nur Gäste.


Monira Al Qadiri, Divine Memory (2019), video, 4.5. minutes, Image courtesy of artist

Das Untergeschoss eröffnet mit seinem großen oktogonalen Raum. Von einzelnen Spots beleuchtet, stehen die Kunstwerke unmittelbar im Fokus, der Boden ist kaum sichtbar. Die Werke wirken mystisch, leuchten aus sich heraus und geben sich als Offenbarung: Sei es als märchenhafte Landschaft von Max Ernst (1891-1976), die frei im Raum zu schweben scheint sowie, direkt daneben, das Aquarium von Pierre Huyghe (*1962), in dem blasses Licht das Biotop kleiner Fische aufflimmern lässt, oder als Fotografie Frost no.4 von Torbjørn Rødland (*1970), die den Wald als düsteres und verwunschenes Rätsel in den Blick nimmt. Im Untergeschoss versammeln sich Werke, die sich im weitesten Sinne mit dem Unbekannten, dem Fremden in der „Natur“ befassen. Dabei wird sie als unheimlicher Ort inszeniert und ein Stück weit entfremdet. Deutlich zeigt sich dies besonders bei zwei Videoarbeiten von Monira Al Qadiri (*1983) und Jean Painlevé (1902-1989). In beiden Arbeiten sind Oktopusse zu sehen, wie sie sich an Land oder unter Wasser bewegen. Die faszinierend fließenden, schwerelosen Bewegungen der massiven Körper sind entweder von einer unheilvollen Musik untermalt oder durch schrille Farbtöne abstrahiert. Natur wird zu einer schummrigen Angelegenheit, deren Prozesse und Erscheinungen so fantastisch anmuten wie eine Tierdoku ohne Ton.


Karrabing Film Collective, Mermaids, or Aiden in Wonderland, 2019, Video, colour (27 minutes) © the artists
© Schinkel Pavillon and the artists


Einer Naturreportage ähnlich, wecken die düstere Beleuchtung und die vielen räumlichen Verzweigungen unerwartete Entdeckerlaune. Jede der Nischen, Kabinette und Gänge ist verschieden markiert, beispielsweise sind einige Wände grau gefliest und andere mit Holzpaneelen vertikal getaktet. Durch die unterschiedlichen Boden- und Wandverkleidungen wirken manche Räume schmal wie Zellen, andere weiten sich. Die ausgestellten Werke, unter anderem von Anj Smith (*1978), Neri Oxman (*1976) oder Karl Blossfeldt (1865-1932), haben jeweils ihre eigenen Kabinette und Nischen. Dabei ist die Variabilität der räumlichen Settings geschickt eingesetzt. Zudem verschärft das konzentriert eingesetzte Licht den Austausch zwischen Kunstwerk und seiner unmittelbaren Umgebung.

Mit jeder Treppenstufe ins erste Geschoss nähern wir uns dem Tageslicht. Oben angelangt bewegen wir uns auf der Erdoberfläche. Die verwinkelten Gänge und Zwischenräume gibt es hier nicht mehr. Im ersten Raum stehen auf hohen Sockeln Plastiken von Rachel Rose (*1986). Die Formensprache erinnert an Muscheln oder Schnecken, indes sind die steinige Schale und das angeschmolzene Glas bloß unterschiedliche Aggregatzustände von Sand. Assoziativ ließe sich von der Eiform an die Anfänge des Lebens denken und ebenso an die Zerbrechlichkeit eines Ökosystems, in das wir Menschen rücksichtslos eingegriffen haben.


Rachel Rose, Borns, 2019, Rock and glass, Courtesy of the artist and Pilar Corrias Gallery, London
Henri Rousseau, La Belle et la bête, c. 1908, 32 x 41,5 cm, Oil on canvas, Courtesy of bpk / Nationalgalerie, SMB, Sammlung Scharf-Gerstenberg
Pamela Rosenkranz, Infection (Calvin Klein Obsessi­on for Men), 2021, Terra Preta, scent, LED light, Courtesy of the artist and Sprüth Magers, Berlin>
© Schinkel Pavillon and the artists, photos: Andrea Rossetti


Der nächste Raum entspricht wieder dem oktogonalen Grundriss des Gebäudes, aus mehreren Seiten fällt Licht herein. Es riecht eigenwillig, und trotz Helligkeit fühlt sich der Raum gedrungen an. Mittig im Raum ist Erde zu einem hohen Turm aufgeschüttet. Darauf leuchtet grünliches Licht herab. Der Geruch stammt von dem Parfum Infection (Calvin Klein), das künstlich hergestellte Pheromone von Katzen enthält und tatsächlich auch als Lockmitteln verwendet wird. In diesem geschlossenen und musealen Raum weitet sich das Testfeld vom Tier auf den Menschen. Wie sehr verflüssigen sich die Grenzen zwischen Tier und Mensch, wenn wir unsere sexyness mit tierischen Duftstoffen aufwerten wollen?
Der ironische Kommentar hängt vor dem Erdberg, das Gemälde La Belle et la Bête von Henri Rousseau (1844-1910). Es porträtiert eine amouröse Liaison zwischen „Natur“ (Wolf) und Mensch (Belle) und zeugt vom erotischen Traum exotisch wilder Tiere.
Diese Phantasien scheinen wie Irrlichter – obsolet geworden, wenn alles Leben vernichtet ist. Pierre Huyghes Fotografie zeigt das Schlusslicht dieser Vision: Ein Skelett rastet inmitten einer endlosen Wüste. Ausgehungert und tot, hier ist alles Lebendige vorbei und selbst die letzten Überreste werden von nichts mehr in den Kreislauf zurückgeführt.
Was unten noch als fernes Meeresleuchten einsetzte oder als Klippe mit surreal anthropomorphen Gebilden vorkam, entwickelt sich im Obergeschoss zur menschengemachten Ödnis. Diese Erzählung ist dramaturgisch schlüssig und trotz albtraumhafter Klimax manchmal auch humorvoll.
Und wie ist es nun um den Sonnenstand beschaffen? Vermutlich nähern wir uns rasant ihrem Höchststand zur Mittagsstunde. Es bleibt nicht viel Zeit. Vielleicht sollten wir uns mal wieder bewusst machen, wie wenig wir eigentlich wissen und wie riskant jeder weitere Eingriff in die natürlichen Prozesse ist.

Künstler*innen: Monira Al Qadiri, Karl Blossfeldt, Dora Budor, Max Ernst, Joan Fontcuberta, Karrabing Film Collective, Max Hooper Schneider, Pierre Huyghe, Emma Kunz, Richard Oelze, Precious Okoyomon, Neri Oxman, Jean Painlevé, Pamela Rosenkranz, Rachel Rose, Henri Rousseau, Torbjørn Rødland, Ryuichi Sakamoto und Anj Smith

Kuratorinnen: Nina Pohl und Agnes Gryczkowska sowie Assistenzkuratorin Kerstin Renerig

Ausstellungstrailer

Sun Rise | Sun Set
27. Februar 2021 – 22. August 2021
Freitag – Sonntag
12 – 19 Uhr
Ausstellungsbesuch per Voranmeldung.

Schinkel Pavillon
Oberwallstraße 1
10117 Berlin

www.schinkelpavillon.de

Maximilian Wahlich

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