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Katastrophale Metamorphose: Menschheit zwischen Zuständen

von Hanna Komornitzyk (30.03.2021)
vorher Abb. Katastrophale Metamorphose: Menschheit zwischen Zuständen

3hd 2020: UNHUMANITY, Bild: The Institute of Queer Ecology

Hochentwickelte Technologien auf der einen, die Klimakrise auf der anderen Seite: Noch bis zum 2. Mai 2021 versucht die Gruppenausstellung “Symbiotic Agencies” in der Galerie im Körnerpark, sich unserer ambivalenten Beziehung zur Natur zu nähern.

Die Verwandlung einer Raupe zum Schmetterling ist wohl eines der beeindruckendsten Schauspiele der Natur: Die Larve verpuppt sich in einem Kokon, aus dem sich einige Wochen später ein Falter schält – was in der Zwischenzeit passiert, bleibt im Verborgenen. Abgesehen vom zentralen Nervenstrang löst sich die Raupe während der Metamorphose, gesteuert durch körpereigene Enzyme, vollständig in eine geleeartigen Flüssigkeit auf. Unglaublich scheint es, dass daraus etwas Neues, Fortgeschrittenes entsteht. Der Prozess ist Ausgangspunkt und Argumentationsgrundlage der dreiteiligen Filmserie Metamorphosis, mit welcher das Queer Institute of Ecology den Ausbruch aus kapitalistischen Strukturen fordert. Angelehnt an die drei Lebensphasen holometaboler Insekten – Larve, Puppe, Falter – ist der Übergang in den flüssigen Zustand eine Metapher für die Liquidität oder vielmehr die Verflüssigung von Kapitalanlagen. Genau wie der Falter nur durch die Veränderung seiner Form überleben kann, muss Vermögen in Zeiten der Krise aufgelöst werden, um das Fortbestehen einer Gesellschaft zu sichern.



Exhibition View, 3hd 2020: Symbiotic Agencies at Galerie im Körnerpark, image by Ink Agop, © Creamcake

Mehr als eine künstlerische Darbietung scheint die Gruppenausstellung Symbiotic Agencies, die von der multiperspektivischen Kunstplattform Creamcake in der Galerie im Körnerpark kuratiert wird, ein gemeinsames Forschungsbestreben. Zentral ist dabei die Frage, wie die Menschheit zu ihrer Umgebung steht – sowohl der künstlichen als auch der natürlichen: Mit dem gemeinsamen Kunstprojekt The Mycological Twist von Eloïse Bonneviot und Anne de Boer verhält es sich wie mit den Sporen eines Pilzgeflechts, die sich organisch und unbemerkt ausbreiten. In einem Rucksack und einer Gürteltasche sind Objekte, Flora und Fauna aus Berliner Parks und Wäldern gesammelt. Die beiden Arbeiten aus Seide, Baumwolle und Ästen sind nicht so sehr der realen Ausrüstung von Sammler*innen oder Heiler*innen aus dem Mittelalter nachempfunden, sondern wirken vielmehr wie eine verschwommene, romantische Nacherzählung jener Zeit vor einem technologische Boom. Als Vorlage hierfür dienten die fantastischen Welten von Computerspielen wie World of Warcraft, welche die dem Menschen eigene Sammelleidenschaft digitalisiert haben: Nur wer hier nach Gegenständen – wie Waffen, Schätze, Materialien und Heilpflanzen – sucht und diese auch findet, kann sich weiterentwickeln. Nur durch den Aufenthalt in der programmierten Natur können Fähigkeiten erlangt werden. Jedoch ist diese eine rein künstliche, menschliche Interpretation der Natur, die von The Mycological Twist analog wie lokal verortet wird. Gerade in der Interaktion mit dem Stadtraum weist das Projekt darauf hin, dass auch das, was wir als natürlich empfinden, zum größten Teil vom Menschen geformt und das Konzept von Natur somit ein fiktionales ist.


Sandra Mujinga, "Humans On the Other Hand Lied Easily and Often 1", 2016, 3hd 2020: Symbiotic Agencies at Galerie im Körnerpark, image by Ink Agop, © Creamcake

Sandra Mujinga macht die vom Aussterben bedrohten Berggorillas des Virunga Nationalparks in der Demokratischen Republik Kongo nicht nur zum Thema, sondern zu den Akteur*innen ihrer Arbeit: Das Video He Who Was Shared folgt einem Ranger auf der Suche nach den rund 1000 Menschenaffen in jenem Park. Es ist fast unangenehm, den Silberrücken zu beobachten, den er schließlich auf einer Lichtung findet: Die mit einer Handkamera gefilmte Perspektive macht ihn zum unfreiwilligen Objekt. Schon 1990 schreibt Douglas Adams in seinem Reisebericht Last Chance to See, in welcher der verstorbene Autor parallel zur gleichnamigen BBC-Radiosendung seine Weltreise mit Zoologe Mark Carwardine zu den gefährdeten Tierarten des Planeten Revue passieren lässt, über die Berggorillas und das Paradox, dem sie durch den Menschen ausgesetzt sind: Der Park lebt von den Tourist*innen, die ihn besuchen, um Gorillas zu sehen. Nur durch die Anwesenheit des Menschen, der sich in ihnen wiederfindet, kann die bedrohte Art fortbestehen: “They look like humans, they move like humans, they hold things in their fingers like humans, the expressions which play across their faces and in their intensely human-looking eyes are expressions that we instinctively feel we recognise as human expressions. We look them in the face and we think, “We know what they’re like,” but we don’t. Or rather, we actually block off any possible glimmering of understanding of what they may be like by making easy and tempting assumptions.“

Was die Ausstellung schafft, ist eine spürbare Ambivalenz: Die Haltung des Menschen zu seiner Umwelt ist komplexer und widersprüchlicher denn je. Niemand, so scheint es, ist im Einzelnen daran interessiert, unseren Planeten zu zerstören. Doch sind wir durch zahlreiche Bilder und popkulturelle Momente in der Wahrnehmung von Natur so geprägt, dass wir uns von der eigentlichen immer weiter entfernen. Die Natur ist jedoch kein passives Gut, das vom Menschen konsumiert und fetischisiert werden kann. Sie besteht aus diversen, für uns oft unsichtbaren Akteur*innen. Nur, wenn wir Technologien dafür nutzen, unseren Blick direkt auf diese zu richten, werden wir die wohl größte globale Krise und den Kampf für Klimagerechtigkeit überwinden können.

Künstler*innen: Claude Eigan & Johann Besse, Yein Lee, Sean-Kierre Lyons, Sandra Mujinga, Timur Si-Qin, Jenna Sutela, The Institute of Queer Ecology, The Mycological Twist
Kuratiert von Creamcake

Galerie im Körnerpark
Schierker Str. 8
12051 Berlin
Täglich 10 - 20 Uhr
Eintritt frei
www.berlin.de

Hanna Komornitzyk

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