Im Rahmen dieses Tages bieten viele Berliner Moscheen Führungen, Vorträge, Ausstellungen, Folklore, Informationsmaterialien und Begegnungsmöglichkeiten an.
Godori - Kampf der Blumen heißt die neue Ausstellung im Rahmen des Dieter-Ruckhaberle-Förderpreises in der GalerieETAGE im Museum Reinickendorf. Gezeigt werden Arbeiten der Künstlerin Surya Gied, die den Preis 2021 erhielt. Kuratorin ist Suza Husse.
Schon im Eingangsbereich der GalerieETAGE hängt ein Schlüsselbild der Ausstellung. All das Kommende nimmt hier formal und inhaltlich seinen Ausgangspunkt und stimmt multimedial auf das biografisch und politisch geprägte Themenfeld von Surya Gied ein. Auf einer großflächigen Leinwand ist ein helles Haus unter blauen Himmel mit Tongefäßen vor einer Wand, einem Garten und einem prächtigen Baum zu sehen. Die äußeren Umrisse sind kontrastreich hervorgehoben, Details grob skizziert. Das Besondere an dem Bild mit dem Titel “Status” ist, dass es durch eine Videoprojektion subtil ergänzt wird. Rechts am oder im Haus, nahe an einem angedeuteten Fenster sitzt eine menschliche Figur mit einer traditionell koreanischen Maske. Sie strahlt Unruhe aus, steht auf, bewegt sich tänzelnd und murmelt mehrstimmig vor sich hin. Das helle Tageslicht im Eingangsbereich betont das Transparente und geisterhaft Wirkende der Figur. Das irritiert und lässt innehalten. So wird der schwach auf das Bild projizierte Text wahrnehmbar und die leisen Stimmen im Hintergrund lauter. Erst später in der Ausstellung wird klar, dass es sich um die Stimmen der Großmutter und der Tanten handelt, die über ihre mit dem Haus verbundenen Erinnerungen sprechen.
Das Haus wird uns durch die Ausstellung begleiten, mal als genähter Grundriss, mal durch die Stimmen seiner Bewohnerinnen, mal durch die Geschichte der Künstlerin.
Die in Berlin lebende Künstlerin Surya Gied (*1980 Köln) spielt auf verschiedenen Bedeutungsebenen: Sie verknüpft geschickt ihre individuelle Erzählung mit einer gesellschaftlich-politischen und transformiert diese in ein komplexes Ganzes, das sie durch ihre Werke in eine ästhetische Erfahrung vor Ort überführt.
Zum einen ist da die Geschichte des Hauses ihrer Großeltern in Hwaho-Ri, Jeongub, einem Dorf in Südkorea. Gieds Mutter, die Anfang der 70er Jahre als sogenannte Gastarbeiterin nach Deutschland kam, ermöglichte durch ihren Lohn als Krankenpflegerin, das ehemalige kleine Elternhaus aus Lehm in ein großes neues Steinhaus umzubauen. Durch ein Audio im ersten Ausstellungsraum sind die Erinnerungen der Mutter im ganzen Raum zu hören. Sie berichtet ihrer Tochter von den damaligen Erlebnissen, über ihr Heimweh, die unendliche Einsamkeit in dem fremden Land und die fehlende Anerkennung ihrer Arbeit in Südkorea. Denn trotz ihrer finanziellen Unterstützung haben Frauen aufgrund eines patriarchalen Erbrechts in Südkorea keine Rechte an dem Familienhaus.
Wer will, kann das Audio sitzend auf drei großen Kissen hören, die vor einem raumhohen, in traditioneller koreanischer Nähweise angefertigten Vorhang aus Ramie-Stoff auf dem Boden liegen. Die verschiedenfarbigen Rechtecke geben den Grundriss des Wohnhauses wieder. Doch auch sitzend will Behaglichkeit nicht aufkommen, dagegen spricht eine den Raum durchtrennende Wand von der Künstlerin in grellgelber Farbe gestrichen. Auf der Vorderseite ist sie bestückt mit einem abstrakten Objekt und einem Bild, das entfernt an Brüste erinnert. Das Bild reicht weit über die Wand hinaus und lenkt den Blick ins Nirgendwo.
Diese Hängung bricht mit der konventionellen Trägerschaft der Wand und wandelt sie stattdessen in eine Skulptur. Von skulpturaler Malerei spricht die Künstlerin an anderer Stelle über ihre Arbeiten. Ein möglicher roter Faden, der sich formal durch das Werk zieht.
Auf der Rückseite der Wand befinden sich drei kleine Gemälde, kombiniert mit zwei Fotografien der Mutter: eine im Rahmen ihrer südkoreanischen Familie, die andere zwischen zwei katholischen Schwestern in Deutschland. Die abstrakt gemalten Bilder wirken wie eine intuitive Ergänzung über das nicht zu Sehende und das nicht zu Hörende. “Malerei fungiert als ein Vehikel, um zum Nicht-Gesagten zu gelangen …”, so die Künstlerin. Die kleinen Formate lassen viel Freiraum auf der gelben Fläche. Surya Gied wuchs, wie sie erzählte, die ersten Jahre in Südkorea auf, kam dann mit ihrer Mutter nach Deutschland und lernte innerhalb weniger Monate perfektes Deutsch. Dabei vergaß sie nicht nur ihre Muttersprache, sondern sperrte sich auch gegen ihre Erinnerungen. Sie wollte dazugehören.
Ein zweites Audio, das im Wechsel zu dem Gespräch mit der Mutter läuft und auf einen weiteren Ausstellungsraum hinweist, nimmt unmittelbar Bezug auf den Ausstellungstitel Godori - Kampf der Blumen. Godori ist ein koreanisches Karten- bzw. Glücksspiel. Es kommt originär aus Japan, dort heisst es Hanafuda. Die zu hörenden Stimmen stammen von Mutter, Großmutter und Tanten, die offensichtlich Spaß am Spielen haben. Ihre Stimmen sind lebendig ineinander verwoben und deuten an, dass das Spiel im Haus einen speziell weiblichen, sozialen Ort markiert. Zugleich spiegelt die japanische Herkunft des Spiels einen Moment der kulturellen Prägung Koreas durch die japanische Kolonialmacht in den ersten Jahrzehnten des 20. Jhs.
Eingebunden in dieses muntere Stimmengewirr sind Surya Gieds Malereien im zweiten Ausstellungsraum. Acht Bilder, die während ihres Residenzstipendiums im Rahmen des Dieter-Ruckhaberle-Förderpreises entstanden, zeigen Gieds Interpretationen zu dem Kartenspiel. Zu sehen sind in kräftig bunten Farben stilisierte Mensch-, Tier- und Pflanzenfragmente. Durch die Konstellation der Bilder, die als Module der Installation fungieren und scheinbar ungeordnet auf Möbelteilen im Raum stehen, wird erneut sichtbar, wie Surya Gied den Begriff der Malerei ausdehnt und diese in den Raum trägt. Auf einem Wandtext erklärt sie: “Die Verlängerung des malerischen Gedankens in den architektonischen Raum, wo er sich weiter in Performances manifestiert, dient mir als Strategie, die Aufsplitterung der biografischen Elemente neu zusammenzufügen.” Und so scheint es nur schlüssig, dass der Bilderraum zur Eröffnung durch die Raum-Klang-Performance Liebst du um ... bespielt wurde. SHIN Hyo Jin und Otto Oscar Hernández Ruiz mit der Künstlerin selbst und ihren Werken interagieren.
Wieder treffen Tradition und Gegenwärtiges aufeinander. Ein Begriffspaar, das in der Ausstellung Godori - Kampf der Blumen von Surya Gied als aktuelles Thema genauso wie das Feministische, Koloniale, Schamanische und Nicht-Westliche verhandelt wird. Bewusst decodiert die Künstlerin dabei konventionelle Ausstellungskonzeptionen, indem sie die Malerei neu inszeniert und durch das Skulpturale und Performative erweitert.
Ein Weg ins Museum Reinickendorf lohnt sich also auf jeden Fall …
Veranstaltung:
28. April 2022 | 18 Uhr:
Gespräch und Lesung mit Kook-Nam Cho-Ruwwe, Suza Husse und Werken von Surya Gied
Ausstellungsdauer: 01.04. - 22.05.2022
Öffnungszeiten: Mo-Fr 9–17 Uhr | So 9–17 Uhr
GalerieETAGE im Museum Reinickendorf,
Alt-Hermsdorf 35
13467 Berlin
www.museum-reinickendorf.de
Titel zum Thema Museum Reinickendorf:
Töne des Nicht-Gesagten. Surya Gied im Museum Reinickendorf
Heute letzte Gelegenheit, die Ausstellung Godori - Kampf der Blumen von Surya Gied in der GalerieETAGE im Museum Reinickendorf zu sehen.
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