15 Uhr: gegen den Ateliernotstand. Endgültiges Aus des Ateliergebäudes in Berlin-Kreuzberg. Adalbertstr. 9.| 10999 Berlin
Manche unter uns werden sich an ihn erinnern: Der Künstler, Ausstellungsmacher und Kulturpolitiker Dieter Ruckhaberle(1938-2018) streute - wenn man so will - seit den 1960er Jahren immer wieder Sand ins Getriebe des etablierten Kunstbetriebs. Er war an der Durchsetzung der Künstlersozialkasse beteiligt oder initiierte 1968 in Kassel die sogenannte Anti-Documenta. Vor allem in Berlin hat Ruckhaberle seine Spuren hinterlassen, etwa als Mitbegründer der Druckwerkstatt im Künstlerhaus Bethanien oder der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK). Sein Anliegen war es, für Künstlerinnen und Künstler ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das ihre Unabhängigkeit gewährleistet.
Ende der 90er Jahre gründete der umtriebige Kunstaktivist zusammen mit anderen den Künstlerhof Frohnau. Auf dem Gelände eines ehemaligen Krankenhauses sind seitdem nicht nur bezahlbare Ateliers entstanden, seit sechs Jahren lobt der Künstlerhof gemeinsam mit dem Bezirksamt Reinickendorf auch den Ruckhaberle-Förderpreis aus. Ein Preis, der ganz im Sinne von Dieter Ruckhaberle sein dürfte: Er umfasst neben einer Ausstellung ein Preisgeld, eine Künstlerresidenz und eine Publikation.
Aktuell findet die von Sandra Teitge kuratierte Shortlist-Ausstellung zum Förderpreis in der GalerieETAGE im Museum Reinickendorf statt. Für die fünfte Auflage des Preises wurden von einer Jury Emma Adler, Arijit Bhattacharyya, Rob Crosse, Anna Ehrenstein, Iden Sungyoung Kim, Ronak Moshtaghi und Beatrice Moumdjian nominiert.
Beim Rundgang durch die Ausstellungsräume lässt sich trotz der verschiedenen künstlerischen Positionen ein roter Faden erkennen. Gezeigt werden Arbeiten, überwiegend multimediale Installationen, die komplexe gesellschaftliche Themen vor dem Hintergrund verschärfter politischer Debatten verhandeln. Es geht um die Aufarbeitung von Erinnerung in unterschiedlichsten Formen, wie bei Arijit Bhattacharyya in seinen kleinen, sparsam über die Wand verstreuten Farbzeichnungen mit Verweisen auf die NSU-Mordserie, auf Rassismus, seine Biografie und rechte Symbolik. Verstärkt durch ein Audio mahnt die Arbeit, die Vergangenheit nicht zu verdrängen, auch nicht die eigene. Der ausgestopfte Hirschkopf in der Mitte des Raumes, die auf einer Stange sitzende Krähe und andere Fundstücke verleihen dem Ganzen eine zusätzliche Symbolik, die mit Macht, Tod und Wissen spielt. In die Vergangenheit taucht auch die in Teheran geborene Künstlerin Ronak Moshtaghi mit “Gaps in my reading” (2017) ein. Ein Papiervorhang mit aufgedruckten Gewehrmotiven und ausgeschnittenen Trapezen, die den Blick irritieren, durchschneidet den Raum. Der Ausstellungstext erläutert, dass die Gewehrmotive von der Titelseite der persischen Ausgabe von Frantz Fanons “Die Verdammten dieser Erde” (1961) stammen. Fanon setzte sich in diesem Buch mit Kolonialismus auseinander und pochte auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Das Buch erschien im Iran vor, nach und während der Revolution. Moshtaghis Vorhang, der zunächst durch seine ästhetische Form fasziniert, erhält durch den historischen Kontext eine zutiefst politische Dimension.
Der Bezug auf Vergangenes und die damit verbundenen Geschichten, die durch Machtstrukturen geformt wurden und bis heute unser kollektives Gedächtnis prägen, scheint in den meisten ausgestellten Arbeiten durch. So konzentriert sich Anna Ehrenstein in ihrer Arbeit “Bitches on their deen” (2024 / das Video entstand in Kooperation), die ein Video und verschiedene Textilbilder umfasst, auf kulturelle Bildpolitiken, die neu erzählt werden. Zu sehen sind in dem Video durch Künstliche Intelligenz animierte Amateur-Erotikbilder aus dem Osmanischen Reich des frühen 20.Jhs. In Kombination mit queeren Geschlechtertheorien muslimischer Denker, die als Texte durch die Bilder laufen oder erzählt werden, entsteht eine Bezug zum Hier und Jetzt. Die farbigen Stoffobjekte an der Wand, die den Hijab (Haarbedeckung muslimischer Frauen) in Verbindung zur Farbfeldmalerei setzen, greifen in ihrer subtilen Ästhetik den Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf.
Auf das Osmanische Reich bezieht sich auch die Installation “Forensic Excavations Inventory or The Total Destruction of an Armenian Family” (2017-2024) von Beatrice Moumdjian, die aus Fotodrucken an der Wand und Papiercollagen auf einem Regal besteht. Sicherlich eine der persönlichsten Arbeiten in der Ausstellung, in der die Künstlerin anhand von Fotografien aus dem Privatarchiv ihrer Familie den Völkermord in Armenien analysiert und den einzelnen Schicksalen nachspürt. Anhand des Alltäglichen und Unverfänglichen kommt plötzlich Verborgenes zum Vorschein, vielleicht sogar neue Narrative. Zugleich sind Vergangenheit und Erinnerung hier wie bei Arijit Bhattacharyya wichtige Bausteine für die Rekonstruktion einer vielstimmigen Geschichte.
Auch Emma Adler hinterfragt vermeintliche Gewissheiten und kehrt diese in ihrer Rauminstallation “Die Wahrheit” um. So nehmen es ihre Handskulpturen aus Aluminium mit der Anzahl der Finger nicht ganz so genau. Dem Ausstellungstext ist zu entnehmen, dass es sich bei den Händen um Details aus KI-generierter Propaganda der AFD handelt. Eine Lüge ergänzt sozusagen die andere, Wahrheit wird zu einem wandelbaren Begriff. Und die sich in Zombies verwandelnden Menschen eines Grillfestes in Adlers Videoarbeit STRG-Z (2024) deuten an, dass Unwahrheit verknüpft mit Populismus die Wiederkehr des Faschismus befeuert.
Weniger beklemmend wirkt die Rauminstallation “Wood for the Trees” (2023) von Rob Crosse. Thematisiert wird die generationenübergreifende Verantwortung und Fürsorge in einem queeren Mehrgenerationen-Wohnprojekt. Dem gegenüber stehen Filmaufnahmen eines beeindruckenden alten Waldes. Wissenschaftler:innen untersuchen hier das Alter der Bäume und kommunizieren darüber. Die Visualisierung des Älterwerdens bleibt nicht auf das Menschliche beschränkt, sondern eröffnet neue Perspektiven.
Einziger Wermutstropfen der Ausstellung: Die Videoarbeit von Iden Sungyoung Kim funktionierte trotz aller Bemühungen des Museumspersonals nicht. Kein Grund, die Ausstellung nicht zu besuchen, wahrscheinlich ist das Problem längst behoben.
Jedenfalls dürfte es die Jury bei der Preisvergabe nicht ganz leicht haben, eine Entscheidung zu treffen.
Ausstellungsdauer:
5. Dezember 2024 – 2. März 2025
Öffnungszeiten:
Mo-Fr und So 9-17 Uhr
GalerieETAGE im Museum Reinickendorf,
Alt-Hermsdorf 35,
13467 Berlin
www.museum-reinickendorf.de
Titel zum Thema Museum Reinickendorf:
Macht, Erinnerung und Transformation: Die Shortlist Ausstellung zum Ruckhaberle-Förderpreis
Ausstellungsbesprechung
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Heute letzte Gelegenheit, die Ausstellung Godori - Kampf der Blumen von Surya Gied in der GalerieETAGE im Museum Reinickendorf zu sehen.
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