Die Gentrifizierung ist in Kreuzberg längst in vollem Gange und macht auch vor der Kultur nicht halt. Letztes Jahr wurde die Neue Gesellschaft für bildende Kunst aus ihren Räumlichkeiten in der Kreuzberger Oranienstraße "vertrieben". Durch den Verkauf des Gebäudes und dem Auslaufen des Mietvertrags nach 30 Jahren sah sich die nGbK gezwungen, ihre Geschäfts- und Ausstellungsräume an diesem Ort aufzugeben.
Ähnlich ergeht es jetzt den Künstlerinnen und Künstlern in der Adalbertstraße 9. Über zwei Jahrzehnte wurden die beiden dortigen Hinterhäuser von kleinen Unternehmen, Handwerksbetrieben und als Ateliers genutzt. Eine lebendige Vielfalt mit ihren Licht- und Schattenseiten, die das besondere Flair dieses Stadtteils ausmacht und die durch eine aggressive Immobilienwirtschaft und eine zu wenig dagegen steuernde Stadtentwicklungspolitik immer mehr verschwindet.
Vor zwei Jahren wurden die beiden Gebäude an eine Immobiliengesellschaft verkauft. Diese wiederum verkaufte die Häuser dann ein Jahr später an eine andere Immobiliengesellschaft mit dem in unserer Gegenwart nicht allzu überraschenden Ergebnis, dass die Mietverträge nicht mehr verlängert und alle Arbeitsräume bis Ende 2023 geräumt werden müssen. Ein rechtliches Vorgehen wurde geprüft, scheint aber aussichtslos.
Das überaus spannende Ausstellungsprojekt Speculative Properties, das leider nur an diesem Wochenende zu sehen ist, macht einmal mehr auf diesen Missstand aufmerksam. Über 40 Künstler:innen nehmen daran teil und thematisieren in ihren Arbeiten ganz unmittelbar die Situation vor Ort in ihren Ateliers. Entgegen der Erwartung, dass sich hier Wut und Empörung lautstark Bahn brechen, zeigt die Ausstellung Malerei, Video, Fotografie und Installation, die sehr subtil auf die katastrophale Lage aufmerksam machen.
So zum Beispiel Sophia Muriel mit ihren ´Zieglsteinen` (Ziegel, 2023) aus Stoffresten, die allesamt aus getragener Kleidung anderer Kreuzberger Künstlerinnen oder aus ihrer eigenen Vergangenheit stammen. Es geht sozusagen um das Menschliche, das jede Bausubstanz belebt.
Oder die lautlos in der Luft kreisenden Wischmopps von Katrin Caspar, die kurios auf das Putzen eines Raumes als Akt der Säuberung vor seinem Verlassen anspielen.
Auch die Installation Taubenschwarm, 2023 von Eleni Mouzourou, ein Überbleibsel aus einer performativen Intervention anlässlich einer Demonstration beim Karneval der Enteignung, überzeugt.
In unmittelbarer Nähe, im Kotti-Shop, wurde außerdem das Ergebnis der Zusammenarbeit von Künstler:innen aus den Atelierhäusern mit Grundschüler:innen der Jens-Nydahl-Schule zu gezeigt: Monotypien, die in einem Workshop entstanden sind und Transformationsprozessen im Kiez nachspüren.
Das Ganze ist eingebettet in ein umfangreiches Begleitprogramm und es bleibt zu hoffen, dass der Wille zum Protest wächst.
Übrigens: Wäre es nach den Plänen des Berliner Senats in den 60er Jahren gegangen, würde durch den Oranienkiez eine mehrspurige Autobahn führen mit riesigem Autobahnkreuz mitten auf dem Oranienplatz. Das thematisieren die Künstler:innen Gilad Baram, Tina Gebler, Bnaya Halpering-Kaddari in ihrer Arbeit hinterhof highway.
Inwieweit Gentrifizierung und Immobilienspekulation aufgehalten werden können, scheint dagegen mehr als fraglich. Ein Gespenst geht um …, nicht nur in Kreuzberg.
Treffend heißt es im Flyer zur Ausstellung:
“Speculative Properties - das ist Protest und Feier, Trauer um den Verlust unserer gemeinsam gestalteten Räume und Zusammenkunft, bei der eine gemeinschaftliche Zukunft imaginiert wird. Uns die Bedingungen des Immobilienmarktes aneignend, rufen wir zu expansiven Praktiken der Solidarität in einer Stadt und Welt auf, in der diese Möglichkeiten im Schrumpfen begriffen sind.”
Titel zum Thema Gentrifizierung:
Ein Gespenst geht um .... Berlin Kreuzberg und seine kulturelle Identität
Letztes Jahr wurde die Neue Gesellschaft für bildende Kunst aus ihren Räumlichkeiten in der Kreuzberger Oranienstraße "vertrieben". Ähnlich ergeht es jetzt den Künstlerinnen und Künstlern in der Adalbertstraße 9.
Alfred Ehrhardt Stiftung
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