18:30 Uhr: Perspektiven auf den 7. Oktober W. Michael Blumenthal Akademie | Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz 1 | 10969 Berlin
UNLEASHED UTOPIAS. Künstlerische Spekulationen über Gegenwart und Zukunft im Metaverse ist eine Gruppenausstellung über virtuelle Realität im Haus am Lützowplatz, einem zugegebenermaßen eher physisch begehbaren Ort. Das Setting zeigt in diesem Gegensatz den Kern des kuratorischen Ansatzes: Keine virtuelle Welt ohne die physische. Keine Freiheit ohne Einschränkung. Verrückt, darauf zu verzichten, aber Vorsicht. Fünf Künstler*innen laden zum Erleben ein.
Die Künstler*innen sind Nominierte für den VR KUNSTPREIS, der mittlerweile an Moshen Hazrati vergeben wurde. Gefördert werden soll durch den Preis die Auseinandersetzung mit einer digitalisierenden Gesellschaft, die zweifelsohne gravierende Veränderungen mit sich bringt. Menschen lassen Welten für Menschen entstehen, in denen sie als digitale Abbilder ihrer selbst uneingeschränkt Dinge tun können. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, wohl aber dem unmittelbaren Empfinden, Fühlen, Riechen. Begrifflichkeiten wie AR, KI, 3D Scannung oder Virtual Reality sind schon längst in unserem Sprachgebrauch verankert, und doch bleibt es beim Fremdeln. Ohne Ausprobieren geht es nicht, zumindest nicht beim Besuch in der Ausstellung. Kunst kann nahezu alle Sinnesorgane auf einmal bespielen. Die Ausstellung lebt von ihren ortsspezifischen Rauminstallationen.
Einen behutsamen Einstieg in die virtuelle Realität bietet die Arbeit von Lauren Moffatt. Die Besucher*innen lassen sich auf zwei gelb gepolsterte Liegesessel nieder, VR-Brille auf und an der Decke erscheint eine Landkarte. Zu sehen ist eine Insel, die sich erkunden lässt. Ein Fingerzeig auf die jeweils aufblinkenden Portraits katapultiert uns in eine vertraute und zugleich fremde Landschaft. Einzelne, metallisch schimmernde, weiblich gelesene Figuren beschreiben ihre Umgebung. Moffatt, die sich mit der Schnittstelle zwischen digitalem und organischem Leben auseinandersetzt, befragte vorab neun Frauen nach ihren Innenwelten. Anhand ihrer Beschreibungen visualisierte die Künstlerin mit Hilfe von KI, malte die Bilder nach und animierte sie wiederum in 3D. Die Dokumentation hin zu Animation wurde in separaten Videos festgehalten, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind. Local Binaries (2021/2023) verbindet auf einfühlsame und sensible Weise die reale mit der digitalen Welt. Die gesprochenen Gedanken über die eigenen Landschaften ermöglichen, eine emotionale Verbindung im kalkulierten und programmierten Metaverse.
GLITCHBODIES ist ein interaktives Computerspiel von Rebecca Merlic. Wie in einem Teeniezimmer versinkt man tief in einem lila Sitzsack auf einem knallig orangenen Teppich. Vor uns der Controller und drei Bildschirme – aufgeteilt wie ein Triptychon. Kopfhörer auf und los geht’s. Mit der Steuerung bestimmen wir unsere Bewegung im digitalen Raum. Geradeaus, mal schneller, mal langsamer, mal drehen. Bei einigen Figuren, die uns begegnen, können wir auf die Controllerfunktion A drücken und sie beginnen, mit uns zu sprechen. In wenigen Minuten springt man von einer Welt in die nächste, wie beispielsweise in die einer Autoralley. Ohne Wettrennen, dafür mit der Songline „Yeah ich bin ein Mann, ich kann schneller fahrn´“ unterlegt. Merlics Arbeit unterhält, aber nicht nur. Als digitale Architektin und experimentelle Filmemacherin beschäftigt sie sich mit dem Aufbrechen sozialer Prägungen. Die Künstlerin forscht zu Feminismus, LGBTQ+ und Drag-Communities und erstellt für ihre Arbeit Avatare realer Personen. Ihre verzerrten Gesichter sind überzogen mit einer wie Plastik glänzenden Schicht und stechen mit extravaganten Outfits, knalligen Haaren und lasziven Posen hervor. Wie ein übergroßes Poster präsentiert Merlic zudem alle beteiligten Avatare pyramidenförmig an der Wand hinter dem Bildschirm. Glitchbodies lädt zum Ausprobieren und Entdecken ein und setzt sich spielerisch mit gesellschaftskritischen Normen auseinander.
Im Gegensatz dazu steht bei Moshen Hazrati nicht die menschliche Figur im Vordergrund. Ein separater Raum, in phosphoreszierendes dunkelviolettes Licht getaucht, präsentiert die VR-Station auf spiegelartigen Kreisen. Im Zentrum des Raums hängt ein riesiger Handyscreen an der Wand, der fortwährend kryptische Textnachrichten anzeigt. Daneben ein Brunnen, der giftgrün leuchtet. Durch das Scannen mit einem Tablet, in das man seinen Namen einträgt, beginnt er zu plätschern. Mit Hilfe der KI werden zufällig Worte aus dem Gedichtband zu Versen verknüpft, die uns kryptische Ratschläge für unsere Zukunft geben. In FAL PROJECT (None-al) von 2023 benutzt Hazrati den Diwan, ein Gedichtband des persischen Dichters Hafis aus dem 14. Jahrhundert, für seine persönlichen Weissagungen. Durch das Aufsetzen einer VR-Brille befindet man sich plötzlich in einer Welt umgeben von schwebenden Fischen und Drachen aus dunklem Metall, die mit ihren Flügeln quietschen. Fal Project erinnert an eine Märchenwelt, die sich laut Künstler aus Symbolen der Prophezeiung und dem Algorithmus der künstlichen Intelligenz zusammensetzt. Literatur aus vergangener Zeit prallt auf die Kunst der Zukunft.
UNLEASHED UTOPIAS ermöglicht in kürzester Zeit, zwischen unterschiedlichsten Welten zu wandeln, innezuhalten oder ihnen schnell wieder zu entfliehen. Nur der Strom, der sollte an bleiben. Oder anders gesagt: Ohne einen funktionierenden Planeten können wir uns die virtuelle Realität schenken. Utopien hatten schon immer eine gewisse Macht, aber vor entfesselten Utopien sollten wir uns in Acht nehmen.
Beteiligte Künstler*innen: Marlene Bart, Anan Fries, Mohsen Hazrati, Rebecca Merlic und Lauren Moffatt. Kuratiert von Tina Sauerländer (künstlerische Leiterin).
UNLEASHED UTOPIAS - Künstlerische Spekulationen über Gegenwart und Zukunft im Metaverse
09.09.–05.11.2023
Öffnungszeiten: Di–So, 11–18 Uhr
Eintritt frei (außer Sonderveranstaltungen)
Haus am Lützowplatz
Fördererkreis Kulturzentrum Berlin e.V.
Lützowplatz 9
10785 Berlin
www.hal-berlin.de
Titel zum Thema VR Kunstpreis:
Mehr Freiheiten in abhängigen Welten. UNLEASHED UTOPIAS im Haus am Lützowplatz
Am Sonntag endet im Haus am Lützowplatz UNLEASHED UTOPIAS. Künstlerische Spekulationen über Gegenwart und Zukunft im Metaverse. Und hier unsere Besprechung
GEDOK-Berlin e.V.
GalerieETAGE im Museum Reinickendorf
Galerie 15
Galerie Alte Schule im Kulturzentrum Adlershof
Galerie Johannisthal