19 Uhr: mit Anna Kokalanova: Inauguration Ceremony: School of Impermanence im Rahmen der Ausstellung "Ungovernable Ingredients". silent green Kulturquartier | Gerichtstraße 35 | 13347 Berlin
Ist das Kunst – oder kann das weg? Berlins Haushaltspolitiker*innen und der Koalitionsausschuss haben diese Frage am Mittwoch unmissverständlich beantwortet und das Kulturbudget der Hauptstadt radikal zusammengestrichen. Rund 130 Millionen Euro weniger als 2024 haben die Rechengenies im Roten Rathaus für die Kultur im kommenden Jahr noch übrig. Der Rotstift gleicht eher einem dicken Edding als einem Fineliner. Die Folge: Etliche Institutionen, quer durch alle Sparten, müssen schließen oder um ihr Überleben bangen beziehungsweise ihre Programme abspecken; viele Kulturschaffende sind existenziell bedroht; Hunderte von Arbeitsplätzen in der Kreativwirtschaft gehen verloren. Besonders hart trifft es – einmal mehr – freischaffende Künstlerinnen und Künstler, aber auch renommierte Ausstellungshäuser, Theater und weitere Einrichtungen sind betroffen.
„Wenn es zu der vorgesehenen Kürzung des Budgets in Höhe von zwölf Millionen Euro für Arbeitsräume von Künstler*innen kommt – und leider sieht es momentan so aus –, können wir zwar noch rund 19 Millionen Euro aus einem anderen Haushaltsposten in die Bereitstellung und den Erhalt von Atelierhäusern und Werkstätten stecken, vermieten können wir sie aber nicht mehr, weil dafür die Infrastruktur fehlt“, sagt Julia Brodauf, die gemeinsam mit Lennart Siebert das Atelier-Anmietprogramm beim berufsverband bildender künstler*innen berlin (bbk berlin) leitet. „Das klingt nicht nur absurd: Es zeigt, dass die politischen Entscheider*innen über die Auswirkungen ihrer Streichungen nicht ausreichend im Bilde waren, als sie den Haushalt verabschiedeten. Es gab zu den Streichungen im Vorfeld keine Rückkopplung mit den betroffenen Institutionen – die auf Kürzungen durchaus vorbereitet waren, aber eben nicht in diesem Maße.“
So manche, die das umstrittene Streichkonzert durchgewinkt haben, könnten sich nun wohl fragen, was sie angerichtet haben. Denn die im Rahmen der Haushaltskürzung vorgesehene Abwicklung der Kulturraum Berlin gGmbH (KRB), die mit dem Atelierprogramm des bbk berlin Teil des Arbeitsraumprogramms ist, könnte „Regressforderungen vonseiten der Immobilienbesitzer in Höhe von bis zu 70 Millionen Euro nach sich ziehen“, sagt KRB-Sprecher Daniel Jakobson. „Wir haben Mietverträge mit teils bis zu 20 Jahren Laufzeit abgeschlossen. Die können nicht mal eben kurzfristig gekündigt werden.“ Zur Erinnerung: Die KRB betreut und schafft für mehr als 3.000 Berliner Künstler*innen Arbeitsräume und hat zudem Großprojekte wie die Rettung der Uferhallen und das Kulturkataster realisiert. „Angesichts der drohenden Abwicklung zum Jahresende herrscht bei uns gerade ungläubige Fassungslosigkeit“, so Jakobson. „Es wirkt so, als hätten sich die Entscheider*innen im Koalitionsausschuss nicht ausreichend mit den Konsequenzen auseinandergesetzt. Wir versuchen alles Erdenkliche, um das Schimmste noch abzuwenden.“
Unterdessen hat der bbk berlin gemeinsam mit weiteren Künstler*innenverbänden und -initiativen zu einem Trauermarsch aufgerufen, der am heutigen Freitag, um 15 Uhr, am Neptunbrunnen beginnt und bis zum Brandenburger Tor führt. Erwartet werden Zehntausende Teilnehmer*innen. Vorab hatte Berlins Finanzsenator Stefan Evers (CDU) zwar weitere Gesprächsbereitschaft signalisiert, um eventuell einzelne Streichposten noch einmal unter die Lupe zu nehmen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen. Unterm Strich aber werde sich die Gesamtsumme nicht mehr ändern.
„Damit gehen die Kürzungen in der Bildenden Kunst weit über die durchschnittlichen zwölf Prozent hinaus, von denen zuvor die Rede war“, sagt Maria Linares, Vorstandssprecherin des Deutschen Künstlerbunds. „Das bedeutet das Ende vieler künstlerischer Projekte und gefährdet massiv die Infrastruktur der Bildenden Kunst – vorerst in Berlin, aber künftig womöglich weit über die Hauptstadt hinaus, falls das Beispiel Schule macht.“ Klar sei zudem, dass die Streichungen den Verlust von Arbeitsplätzen und Produktionsstandorten nach sich zögen und damit „den Kulturstandort Berlin untergraben“, so Linares. „Die Sparmaßnahmen könnten indes schnell zum Bumerang werden, denn ohne das hochgelobte und diverse Kulturangebot wird die Stadt stark an Attraktivität verlieren – und weniger Einnahmen etwa durch den Fremdenverkehr haben.“
Das weiß auch Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU). Noch vor wenigen Tagen hatte er dem Sender rbb gesagt, er wolle „die Streichungen im Kulturbereich im jetzt geplanten Umfang nicht akzeptieren“. Für ihn sei der Kampf noch nicht vorbei. „Inzwischen steht Chialo allerdings vor den Scherben seiner in diesem Bereich katastrophalen Arbeit“, urteilt DKB-Vorstandssprecherin Linares. „Wie kann man allen Ernstes akzeptieren“, fragt sie, „dass etwa bei der Kunst im Stadtraum 73 Prozent des Budgets gestrichen werden?“ Abgesehen davon, dass es aufgrund der kurzen Frist von gerade einmal einem Monat, bis die Sparmaßnahmen greifen sollen, „schwierig bis unmöglich ist, bereits begonnene Projekte zu stoppen“, ginge dadurch überdies die wichtige Breitenwirkung der Kunst im öffentlichen Raum verloren. „Das erst vor wenigen Jahren begonnene Förderprogramm für diese Sparte war sehr erfolgreich; es derart massiv zu beschneiden, ist unverantwortlich“, so die DKB-Sprecherin.
Auch die Museen und Kommunalen Galerien müssen reichlich Federn lassen. Ersatzlos gestrichen wird etwa die Förderung für den eintrittsfreien Museumssonntag, die zwei Millionen Euro betragen hatte. So wird eines der erfolgreichsten Kulturangebote Berlins abgeschafft: Dreieinhalb Jahre lang lockten große und kleine Häuser, öffentlich geförderte und private, insgesamt 42 Mal mit speziellen Begleitprogrammen, Führungen und Veranstaltungen mehr als 2,2 Millionen Besucher*innen an. Zuletzt nahmen pro eintrittsfreiem Sonntag regelmäßig mehr als 70.000 Menschen das Angebot wahr. „Im Vergleich zum Vorjahr konnte der Museumssonntag in jedem Monat deutlich mehr Gäste verzeichnen und erreichte einen Publikumszuwachs von knapp 35 Prozent“, sagt Nancy Henze, Sprecherin der Kulturprojekte Berlin GmbH, die für die übergreifende Kommunikation und Organisation des Projekts verantwortlich ist. Regelmäßig hätten etwa zweieinhalb Mal so viele Gäste wie an regulären Sonntagen die mehr als 80 teilnehmenden Berliner Museen besucht. „Unser Ziel war es, Zugangshürden nachhaltig abzubauen und möglichst vielen Bürger*innen kulturelle Teilhabe zu ermöglichen“, so Henze. „Dieses Ziel haben wir laut den Ergebnissen von Umfragen in 24 teilnehmenden Häusern klar erreicht.“ Dennoch dreht die Politik nun den Hahn zu.
Messen konnte man diesen Erfolg übrigens dank des sogenannten Kultur-Monitorings. Das vom Institut für Kulturelle Teilhabeforschung (IKTf) entwickelte Instrument bietet seit 2008 die Datengrundlage für kulturpolitische Entscheidungsträger*innen in Berlin und darüber hinaus. Nun soll das Institut entweder aufgelöst oder in die Senatsverwaltung integriert werden. „Fiele die inhaltliche Unabhängigkeit des IKTf über eine Eingliederung in die Verwaltung weg, wie es gerade diskutiert wird, sind die Daten für politische Entscheidungen untauglich“, sagt Institutsleiterin Vera Allmanritter. Das hätte fatale Folgen: „In Zeiten knapper Haushalte wäre es geradezu zynisch, auf die vom Kultur-Monitoring erhobenen Marktdaten zu verzichten. Denn wie wollen die für Förderungen Verantwortlichen ohne diese Daten herausfinden, ob sich die von ihnen bewilligten Gelder überhaupt ausgezahlt haben?“ Die Kulturpolitik könne dann im schlimmsten Fall „die völlig falschen Angebote fördern, weil sie im Nebel stochert“.
Der Rotstift hinterlässt bei den Ausstellungshäusern freilich noch schlimmere Spuren: „Rund 80 bis 90 Prozent der Fixkosten von Museen ergeben sich aus der Pflege und Bewahrung von Sammlungen“, heißt es vonseiten des Berliner Museumsverbands. Diese Ausgaben seien unantastbar, wenn der Bestand gesichert werden soll. Die Kürzungen hätten daher für viele Einrichtungen zur Folge, dass für Ausstellungen und Veranstaltungen ab 2025 nicht mehr genügend Geld zur Verfügung stehe. „Damit sind die Museen in der Wahrnehmung ihrer Kernaufgaben des Ausstellens und Vermittelns drastisch eingeschränkt.“ Langfristig folge daraus ein Rückgang der Einnahmen, der die Abwärtsspirale noch weiter verschärfe. Kleinere Institutionen, die von den Streichungen überproportional stark getroffen sind, hätten wenig bis keinen Handlungsspielraum. „Es wird zu Stellenabbau kommen, der angesichts der ohnehin prekären Personalsituation schwer zu verkraften sein wird.“ Auf dem Spiel stehe nicht weniger als die sichere Bewahrung und der Erhalt der Sammlungen, die zum kulturellen Gedächtnis Berlins gehören.
„Auf dem Spiel stehen aber auch“, so Werner Tammen, Vorsitzender des Landesverbands Berliner Galerien (LVBG), „diverse Projekte, die nicht vom Kulturetat der Stadt abhängen, sondern von Kürzungen an anderer Stelle des Haushalts betroffen sind, etwa die Messeförderung oder die Förderung internationaler künstlerischer Projekte.“ So hatte der Verband für kommenden Mai eine Veranstaltung mit hochkarätigen Teilnehmer*innen zum Thema „Künstliche Intelligenz und Kunst“ geplant, doch „die Finanzierung ist auch nach monatelangen Gesprächen noch immer nicht gesichert“. Und für die Messeförderung „sehe ich inzwischen relativ schwarz“, so Tammen. Die Kürzung der Projektförderung habe zudem massive Konsequenzen für kunstmarktnahe Projekte wie das Palais Populaire. „Wenn solche Häuser geschlossen werden müssen, weil die Förderung wegbricht, verlieren Künstler*innen wichtige Plattformen, auf denen sie ihre Arbeiten präsentieren können“, gibt der LVBG-Chef zu bedenken. „Das Image Berlins, auch im Ausland, hat maßgeblich mit der Galerien- und Museenlandschaft zu tun. Wenn deren Mittel gekürzt werden, wird absolut an der falschen Stelle gespart. Der Schuss geht nach hinten los.“
Titel zum Thema Kürzungen:
Nicht mehr sexy, nur noch arm (dran)
Gastbeitrag: Auf Neustart folgt Kahlschlag. Wie der Berliner Senat den Kulturbetrieb kaputt spart – und damit ein wichtiges wirtschaftliches Standbein der Stadt amputiert.
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