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Motherhood. Annegret Soltau in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

von Ferial Nadja Karrasch (17.04.2025)


Motherhood. Annegret Soltau in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Annegret Soltau, symbiose, 1981, © VG-Bild-Kunst, Bonn 2025

10 Werke präsentiert die Ausstellung Motherhood. Annegret Soltau. 10 Werke, die es in sich haben und die auf wenigen Quadratmetern einen dichten Raum der Reflexion über das komplexe Thema Mutterschaft eröffnen: Da ist zum Beispiel die auf einem alten JVC-Monitor gezeigte Videoarbeit schwanger-SEIN (1977-78). Hier betrachtet die Künstlerin Annegret Soltau (*1946 in Lüneburg, lebt in Darmstadt) Gefühle, Zustände und Ängste, die in den unterschiedlichen Phasen einer Schwangerschaft auftreten können: Erschöpft von der körperlichen Arbeit, aus einer Samenzelle einen menschlichen Organismus zu erschaffen, sitzt sie zu Beginn des Videos an einem Tisch. Auf diese Phase der alles durchdringenden Müdigkeit folgt eine Episode heftiger körperlicher Anstrengung im Kampf gegen die Widersacher Angst und Zweifel, schließlich eine Art Häutung im dritten Akt und zuletzt die Phase der Bindung und Entbindung.
Die gedankliche Auseinandersetzung mit der Rolle als Mutter, die Veränderung des eigenen Körpers, aber auch des Selbst sowie die Angst vor dem Verlust der künstlerischen Existenz überführen Arbeiten wie schwanger-SEIN eindrucksvoll in anschlussfähige Bilder. Soltau, die 1967 mit dem Studium der Malerei und Grafik an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg begann und 1972 die Meisterklasse an der Akademie der Bildenden Künste in Wien abschloss, brachte 1978 und 1980 ihre beiden Kinder zur Welt. In einer Zeit also, in der die Vereinbarkeit von Mutterschaft und künstlerischer Arbeit nicht unbedingt selbstverständlich war. Ein Problem, das seither nicht wirklich als gelöst bezeichnet werden kann, aber das soll nun hier nicht das Thema sein.
Statt sich einer vermeintlichen, gesellschaftlich festgelegten Unvereinbarkeit zu beugen, entschied sich die Künstlerin für die Integration der sie umtreibenden existentiellen Themen. Sie machte ihre Schwangerschaften, die Geburten und das Aufwachsen der Kinder zum Inhalt ihrer künstlerischen Praxis. Das und ihre kühne Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper, der menschlichen Existenz und Individualität machen sie heute zu einer Grande Dame, einer Pionierin der feministischen Kunst und der Body Art.

Die Ausstellung Motherhood. Annegret Soltau ist eine kleine Insel inmitten der Sammlungspräsentation der Kunsthalle Karlsruhe, die aufgrund der Sanierung des eigenen Hauses derzeit im ZKM zu sehen ist. Vom Spätmittelalter bis in die späten 1940er Jahre nimmt die Schau ihre Besuchenden mit auf eine Reise durch einige Etappen der Kunstgeschichte. Dies mag in diesem Zusammenhang einige überraschen; obwohl: eine Grande Dame zwischen alten Meistern, falsch ist das nicht. Die Ausstellung ist das Ergebnis der Bemühungen der Kunsthalle Karlsruhe, Leerstellen der eigenen Sammlung zu schließen. „Wir stellen uns selber auf den Prüfstand“, erzählt Dr. Leonie Beiersdorf, Leiterin der Abteilung Sammlung und Wissenschaft und Kuratorin für neuere Malerei und Plastik des 19. bis 21. Jahrhunderts. „Wir hinterfragen unsere Strategie und wollen bewusst weibliche Positionen stärker positionieren.“ Auch das Medium Fotografie soll in Zukunft stärker in der Sammlung vertreten sein. Im Zuge dieser Bemühungen befindet sich seit kurzem ein 17 Werke umfassendes Konvolut von Annegret Soltau in der Sammlung; die meisten hat die Kunsthalle angekauft, einige sind Schenkungen der Künstlerin. Wer sich ein wenig mit der Geschichte der feministischen Kunst auskennt, weiß, welch großes Glück es ist, Annegret Solltaus Werke hier live zu sehen.

Responsive image Annegret Soltau, © VG-Bild-Kunst, Bonn 2025, Foto: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Auf extrem prägnante Art und Weise, die en passant noch das Medium Fotografie nach seinen Grenzen und Möglichkeiten befragt, findet Soltau auch in der Arbeit symbiose (1981) einen Ausdruck für die komplexen, existentiellen Themen, die sich aus einer Mutter-Kind-Beziehung ergeben. Die Zusammenstellung der Werke macht den Besuch der Ausstellung zu einem intensiven Erlebnis, vergleichbar dem Gespräch mit einer vertrauten Person, der man seine intimsten Gedanken und Gefühle mitteilt und die entgegnet: Ich verstehe dich. Mir ergeht es genauso.
Das ist zumindest eine mögliche Art der Reaktion auf ihre Werke. Es kann allerdings auch passieren, dass ihre Werke Anstoß erregen. Insbesondere das Werk Danach (gebären müssen) (1978/79) ist für einige Grund zur Empörung. Die große Fotovernähung - zur Technik gleich mehr - ist ein radikales Selbstbildnis der Künstlerin: Sie liegt unbekleidet auf einem Glastisch, ihr Oberkörper ist mit einem weißen Tuch bedeckt. Der Blick führt direkt auf ihren Intimbereich, der mit Garn zugenäht wurde. Auch die Beine sind von langen, vernähten Rissen überzogen. Assoziationen an Geburtsverletzungen, aber auch an die Beschneidung junger Mädchen drängen sich ebenso auf wie an Gustave Courbets Gemälde L’Origine du monde (1866), dem Soltau hier trotzig und selbstbewusst ein Pendant an die Seite stellt, das sich jeglicher erotischer Vereinnahmungentzieht.
„Wir bekommen sehr viele Reaktionen auf diesen Raum und insbesondere auf dieses Bild“, erzählt Beiersdorf. Viele ältere Besucherinnen fühlten sich im ersten Moment vor den Kopf gestoßen. Nach einer längeren Auseinandersetzung entstehe aber oft etwas Neues, ein neuer Blick auf die Arbeit. Es komme auch vor, dass Eltern, ihre Kinder aus dem Raum ziehen und sich beschweren, dass die Inhalte nicht jugendfrei seien. Das habe durchaus dazu geführt, dass das Team überlegte, wie damit umzugehen sei. „Aber wir haben uns entschieden, alles so zu lassen, wie es ist. Wir haben hier eine bedeutende feministische Position, da kommen wir nicht mit dem Deckmäntelchen“, sagt die Kuratorin. Es mache ihr jedoch deutlich, dass Werke wie Soltaus Danach (gebären müssen) immer noch Sehgewohnheiten herausfordern. Eine solche Darstellung des weiblichen Körpers sei für viele immer noch ein Tabu.

Fotovernähungen sind typisch für das Œuvre der Künstlerin. Risse, die sie der Fotografie hinzugefügt hat, werden wieder zusammengenäht, wodurch die fragmentierten Körper teilweise neue Anordnungen erfahren. Im Fall des Selbstbildnisses schwanger (1978), das ebenfalls zu sehen ist, ziehen sich die Vernähungen über den gesamten Oberkörper der nackten Schwangeren. Hier wird wieder zusammengefügt, was zusammengehört. Aber es wird nicht ganz so, wie es vorher war, Narben bleiben. Man könnte auch sagen: Aus und mit dem Alten entsteht etwas Neues.

Responsive image Annegret Soltau, permanente demonstrationen, 21. 1. 1976, © VG-Bild-Kunst, Bonn 2025

Zu sehen sind auch einige Fotodokumentationen ihrer Performances permanente demonstrationen, die sie 1975/1976 in der Galerie Kunstwerkstatt in Darmstadt präsentierte und die den Beginn ihrer Arbeit mit dem später prägenden gestalterischen Medium Faden markieren. In der Performance umwickelte die Soltau einige der Galeriebesucher*innen mit einem schwarzen Faden. Eingeschnürte Köpfe und Hände sind auf den Schwarz-Weiß-Fotografien zu sehen. Es macht durchaus einen schmerzhaften Eindruck. Mit permanente demonstrationen setzte Soltau sich mit menschlichen Beziehungen auseinander, die auch etwas Schmerzhaftes, Einengendes haben können sowie mit Abhängigkeiten, die uns aneinander binden. Wieder so ein Moment, in dem man sich von diesem Werk wunderbar gehalten fühlen kann.
Während in dieser Arbeit vor allem auch die Zusammenarbeit mit anderen Menschen im Fokus steht, machte Soltau sich früh, ab 1976 selbst zum Modell und zur Reflexionsfläche ihrer Performances, Fotografien und Videoarbeiten: „Mit mir selbst kann ich am weitesten gehen.“

Die kompakte Ausstellung behandelt große existentielle Themen, die nicht nur Mütter, sondern auch alle anderen Menschen betreffen können. Weiterhin gibt sie anhand weniger Werke einen Einblick in die verschiedenen Stadien, Themen und Medien ihres Werkes. Willkommen in Karlsruhe, Annegret Soltau, mögen ihre Werke viele Besucher*innen halten und begeistern.

Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Hermann-Veit-Straße 6
76135 Karlsruhe
kunsthalle-karlsruhe.de

Ferial Nadja Karrasch

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Titel zum Thema Staatliche Kunsthalle Karlsruhe:

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