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Über die Frage, welche Kunst wo sprechen darf

von Ferial Nadja Karrasch (13.08.2025)


Über die Frage, welche Kunst wo sprechen darf

Ken Aïcha Sy, Survival Kit, Family Archive, © Anne Jean Bart

Das Bild spricht. Das Gemälde Acrobat qui saute la lune (1987) von Amadou Bâ (*1945 in Agniam Thiodaye/Matam, Senegal) hängt im Eingangsbereich der ifa-Galerie Berlin, an einem Gitter-Panel, wie man es aus Museumsarchiven kennt. Das erste, was die Besuchenden von dieser Arbeit sehen, ist seine Rückseite. Warum, fragt sich das Bild, darf ich das Licht nicht sehen? Weil du doch sonst kaputt gehst, möchte man ihm antworten, davor müssen wir dich schützen. „Because they deemed my skin too fragile, like the memories it carries,“ (Weil sie meine Haut für zu empfindlich hielten, wie die Erinnerungen, die sie in sich trägt.) sagt das Bild.
Es ist die Kuratorin der Ausstellung Survival Kit. Between Us and History: The Hidden Archive, Ken Aïcha Sy, die die Arbeit sprechen lässt und sie zum Ausgangspunkt für einen Prozess des Verstehens und Umdenkens macht, der sich im Laufe des Rundgangs entfalten wird.

Mit der Ausstellung präsentiert die Forscherin und Kuratorin Ken Aïcha Sy zentrale Ergebnisse ihres umfassenden fünfjährigen Forschungsprojekts, für das sie in Museumsarchiven in Italien, Großbritannien und Deutschland recherchierte: Die Präsentation gibt einen Einblick in die Schlüsselmomente der zeitgenössischen senegalesischen Malerei zwischen 1960 (dem Moment der Unabhängigkeit Senegals von der Kolonialmacht Frankreich) und 1990. Dabei verfolgt sie das Ziel, einen Austausch über afrikanische Archive und kulturelles Erbe zu initiieren.
Ausgangspunkt ihrer Recherche war die Sichtung des Archivs ihrer Mutter, der Journalistin und Kulturaktivistin Anne Jean Bart. In ihren Texten formieren sich Konturen einer unabhängigen Kunstszene, die den von Präsident Léopold Sédar Senghor (1960-1980) verordneten Kulturbegriff der „Négritude“ ablehnte. Zentrale Figur war hierbei Sys Vater, der Maler, Kurator und Aktivist El Hadji Sy (*1956 in Dakar): „Der Vater der senegalischen Moderne“ (Tagesspiegel, 29.4.2022) wandte sich gegen die Malerei der von Senghor gegründeten École de Dakar, die den Beweis erbringen sollte, dass afrikanische Künstler*innen Schöne Kunst nach westlichen Maßstäben erschaffen können. Infolge seiner Ablehnung auch jeglicher anderer Labels („afrikanische Kunst“) und kunsthistorischer Kanons malte er 10 Jahre lang mit den Füßen. Seine zwischen Gegenständlichkeit und gestischer Abstraktion changierenden Arbeiten sind oft inspiriert von botanischen Formen und fangen die Stimmungen der Menschen ein. In seiner künstlerischen Praxis bemüht, die Grenzen von Klasse und Bildung zu überwinden, zeigt Sy seine Arbeiten oft im öffentlichen Raum Dakars, insbesondre in Arbeiter:innenvierteln. Er war und ist Mitglied und Gründer interdisziplinärer, sozial ausgerichteter Kollektive wie Laboratoire Agit’Art, Tenq und Huit Facettes Interaction und gründete Künstler:innendörfer in leerstehenden Kolonialgebäuden.

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Ausstellungsansicht "Ken Aicha Sy, Survival Kit, Family Archive", ifa, Berlin. © Foto: Victoria Tomaschko

1989 kuratierte Sy die erste Überblicksschau zur zeitgenössischen senegalesischen Kunst im damaligen Völkerkundemuseum in Frankfurt am Main (heute Weltkulturen Museum). Die ebenfalls von ihm herausgegebene Anthologie Bildende Kunst der Gegenwart in Senegal (1989) ist in der Ausstellung zu sehen, ebenso wie der Ausstellungskatalog seiner Retrospektive, die 2015 im Weltkulturen Museum stattfand. Originale Arbeiten von Sy sind hingegen nicht zu sehen. Lediglich drei Reproduktionen, die allerdings eine wichtige Botschaft in die Räume der ifa-Galerie transportieren: Zwei der Werke fand Ken Aïcha Sy in der Sammlung des Iwalewahaus in Bayreuth, das als eines der ersten ethnologischen Museen in Deutschland auch zeitgenössische Kunst, insbesondere aus Afrika, sammelte. Die Werke waren mit keinerlei Angaben zum Urheber versehen, „But signed with a hand I would recognize anywhere: my father’s. These works were once purchased by a collector, then slowly slipped into the oblivion of inventories“ (Aber signiert mit einer Handschrift, die ich überall wiedererkennen würde: die meines Vaters. Diese Werke wurden einst von einem Sammler erworben und gerieten dann langsam in Vergessenheit.), erklärt Ken Aïcha Sy im begleitenden Text. Aus Kosten- und Zeitgründen konnten die Werke nicht für die Ausstellung in Berlin ausgeliehen werden - ein Beispiel dafür, wie Archive und Sammlungen zu einem Kontrollinstrument werden, das darüber entscheidet, welche Kunst wo gezeigt werden kann. Das Zeigen der Reproduktionen wird hier zu einer Geste des Widerstands gegen die hegemoniale Macht, die von westlichen Museen ausgehen kann.

Die Erfahrung, die Werke ihres Vaters unbenannt in einem Museumsarchiv vorzufinden, muss für Sy schockierend gewesen sein. Als brutal beschreibt sie auch das schiere Ausmaß ihres Funds. Ein wichtiger Teil der senegalesischen Kunstgeschichte wird in deutschen Archiven gelagert, wo die Arbeiten - Teil des kulturellen Erbes Senegals - fernab ihres Entstehungsorts für die Herkunftsgesellschaft unzugänglich bleibt. Teile des senegalesischen Gedächtnisses und Wissens sind somit „zersplittert“, lagern stumm in dunklen Depots. Dabei, so stellt Ken Aïcha Sy in einem in der Ausstellung zitierten Interview klar, ist es insbesondere für Länder mit einer kolonialen Vergangenheit wichtig, vollen Zugang zu ihrer Vergangenheit zu haben: „Only by connecting to the past can a society shape its future and profoundly impact people's consciences and perspectives.“(Nur durch die Verbindung mit der Vergangenheit kann eine Gesellschaft ihre Zukunft gestalten und das Bewusstsein und die Perspektiven der Menschen tiefgreifend beeinflussen.)

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Ausstellungsansicht "Ken Aicha Sy, Survival Kit, Family Archive", ifa, Berlin. © Foto: Victoria Tomaschko

Die Präsentation der Forschungsergebnisse soll also im wahrsten Sinne des Wortes zu einem survival kit für die senegalesische Gesellschaft werden, anhand dessen sie ihre Vergangenheit und Gegenwart verstehen und die Zukunft formen können. Ihre Kunst und ihr kulturelles Erbe nehmen hierbei wichtige Aufgaben bei der Herausbildung von Resilienz und Identität ein. Mit ihrem Projekt verdeutlicht Ken Aïcha Sy wie sehr persönliche und gemeinschaftliche Geschichte miteinander verbunden sind. Andererseits hebt sie ihr persönliches Anliegen, sich die Erzählungen und Erinnerungen ihrer Heimat wieder anzueignen, auf eine kollektive Ebene. Zu diesem Zweck hat Sy ihre Forschungsergebnisse auch in einem „Magalogue“ (eine Mischung aus Magazin und Katalog) zusammengefasst, das in Zukunft als Recherche-Tool eingesetzt werden kann.

Neben den Reproduktionen der Arbeiten von El Hadji Sy ist jeweils eine Arbeit weiterer bedeutender senegalesischer Künstlern zu sehen: von Amadou Bâ (*1945), Théodore Diouf (*1949), Fodé Camara, Oumar Katta Diallo (*1946), Souleymane Keïta (*1947) und Chérif Thiam (*1951). Ausserdem geben Interviews mit dem Künstler und Professor Abdoulaye Ndoye sowie mit dem Kritiker, Kurator und Historiker Massamba Mbaye vertiefende Einblicke in den Umgang mit dem kulturellen Erbe Senegals. Das abgedruckte Gespräch zwischen Ken Aïcha Sy und dem Schriftsteller, Musiker und Professor für Wirtschaftswissenschaften, Felwine Sarr (*1972 in Niodior, Senegal) verdeutlicht die Bedeutung von Restitution nicht nur als Übertragung von Gegenständen, sondern insbesondere als „symbolische, politische und spirituelle Rückeroberung“. Im Kontext der Ausstellung ist die Rückgabe nicht als Restitution unrechtmäßig entwendeter Objekte verstehen. Es geht um die Rückkehr der Kunstwerke an den Ort ihres Entstehens, um den Menschen dort zu ermöglichen, „sich mit sich selbst zu versöhnen, wieder eine entspannte Beziehung zur Welt aufzubauen und unterbrochene Lebenswege zu rehabilitieren.“ (Sarr)
Das Gespräch widmet sich aber auch der Problematik der „Resozialisierung“ (Sarr) heimgekehrter Kunst und der Frage, wie die Werke und die Menschen zusammenkommen können. Denn: Begegnungen mit Kunst finden im Senegal und in Westafrika nicht vorrangig in Museen statt, so Sy in einem Interview mit Anna Helfer. Um Begegnungen mit den Menschen zu ermöglichen, müsse Kunst die Institutionen verlassen, den Menschen in ihrem Alltag begegnen. Ein afrikanisches Museum könne nicht einfach das europäische Modell übernehmen, da diese Orte keine Berührungspunkte mit der Lebenswirklichkeit der Menschen haben. Die Künstler:innengruppe Laboratoire Agit’Art fordert daher, Kunst auf der Straße zu zeigen - so wie El Hadji Sy das immer wieder tut - und das Kollektiv Huit Facettes will die Kunst zum Teil des Alltags der Landbevölkerung werden lassen.

All das sind Ansätze zur Beantwortung der Frage, wie afrikanische Museen gedacht werden müssen, um Teil der „Dekolonialisierung afrikanischer Vorstellungswelten“ (Sarr) zu werden.
Im besten Fall waren viele der hier vermittelten Dinge bereits vor dem Besuch der Ausstellung Survival Kit: Between Us and History: The Hidden Archive bekannt. Im zweitbesten Fall geht man anders aus der ifa-Galerie heraus, als man hinein gekommen ist. Wenn auf dem Weg nach draußen der Blick noch einmal an Amadou Bâs Werk hängen bleibt, findet man vielleicht eine neue Antwort auf die Frage, warum es das Licht nicht sehen darf.

noch bis 31. August 2025

ifa-Galerie Berlin
Linienstraße 139/140
D-10115 Berlin

Telefon: +49.30.284491.40
www.ifa.de

Ferial Nadja Karrasch

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