Josephine Riemann, Tier-Mensch-Übergangsfeld, 2023

HUMAN Humus. Brücke - Stoffwechsel ist der etwas sperrige Titel der ersten Ausstellung in der Galerie der GEDOK Berlin in diesem Jahr. Neun Künstlerinnen setzen sich in den Medien Fotografie, Malerei und Installation mit dem Begriff der Metamorphose auseinander. Kuratiert von Karin Dammers, Petra Lehnardt-Olm und Josephine Riemann, thematisieren die Künstlerinnen verschiedene Deutungsebenen der Verwandlung, wie die Veränderung von Lebensumständen, Zyklen, Vergänglichkeit oder Auferstehung. Dabei richtet sich der künstlerische Blick nicht nur auf die Gesellschaft, sondern auch auf die Natur, in der Humus im ständigen Wandel begriffen zentral für Veränderung steht.

Zwischen vielen Antiquitätenläden, schräg gegenüber der Charlottenburger Feuerwache, hat die GEDOK Berlin, die zum Bundesverband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstfördernden e. V. gehört - dem ältesten und größten Netzwerk für Künstlerinnen in Europa, ihren Vereinssitz mit Galerie.
Abends leuchtet der helle Raum durch seine großen Schaufenster zur Straße. In einem dieser Schaufenster liegt ein Fuchs, ganz flach, mit langem Fell beziehungsweise Haaren.

Auf einzelnen weißen Stelen befinden sich im Eingangsbereich eine Lederjacke mit Pelzkragen, eine Kleiderbürste mit Schweineborsten und eine Uschanka mit Kaninchenfell – alle durch wallende Haarlocken ergänzt. Und der platte Fuchs ist eigentlich eine Stola... Josephine Riemann zeigt in ihrer Werkgruppe Tier-Mensch-Übergangsfeld Objekte, die Hybride sind. Durch die Locken wirken sie lebendig wie eigenständige Wesen. Riemann spielt mit der Beziehung zwischen Mensch und Tier und irritiert zugleich durch die Verfremdung. Die Felle erwarb sie aus zweiter Hand, die Haare stammen von Familienangehörigen und Geschäften für Friseurbedarf. „Die von mir verwendeten familiären Haare erfahren durch die Kunstwerdung eine symbolische Erhöhung, die Person(en) fast eine Form der liebevollen Unsterblichkeit und Vereinigung mit einer Tiernatur.“ Der Werkgruppentitel beschreibt einen erdgeschichtlichen Zeitabschnitt, in dem sich Menschen im Laufe der Evolution von ihren tierischen Vorfahren gelöst haben. So sind Haare nicht nur Schutz und Zierde, sondern auch ein Verweis auf unsere Natur.


Karin Dammers, O.T. (Platane), 1990/2023, Fotografie / Installation, 210 x 120 x 40 cm

Während Josephine Riemann Schnittstellen von Tier und Mensch untersucht, beschäftigt sich Karin Dammers mit den Entwicklungs- und Veränderungsprozessen im Pflanzenreich, das sinnbildlich für das Leben stehen. „Mit Human verbinde ich Lebendigkeit, definiert durch Geburt und Tod (…) Der Baum verbindet, für mich, den Himmel mit der Erde. Indem er jedes Jahr Blätter abwirft, sorgt er für frischen Nährstoff. Sein Laub verwandelt sich zu Humus, einem Nährboden für Vegetation. Es ist ein Kreislauf von Geben und Nehmen.“, so die Künstlerin.
In der Ausstellung präsentiert sie ihre Installation ohne Titel (Platane) von 1990/2022. Zu sehen ist der fotografierter Baumstamm einer Platane verteilt auf drei untereinander hängenden, durch einen Draht verbundene Bilder. Zusammengestückelt und etwas versetzt, rufen die Fotografien dieses typischen Stadtbaums Erinnerungen an einem schönen sonnigen Tag im Park wach. Die Baumkrone und die Wurzeln lassen sich nur erahnen, stattdessen ist die Rinde deutlich sichtbar. An vielen Stellen ist sie bereits abgeplatzt und legt den hellen Stamm frei. Ein Zeichen des Wachtums bei Platanen.
Die Bilderreihe endet auf dem Boden in einem flachen Behälter, gefüllt mit dunkler Erde wie in einem Blumenbeet. Unscheinbar klein sitzt auf dem Behälterrand, nahe dem Stamm, ein Fleckchen grünes Moos. Wie bei einem Baukasten fügen sich die Einzelteile der Installation zu einem ästhetisch stimmigen Ganzen zusammen. Prozesshaft fragmentiert beschreibt „Platane“ den Kreislauf von Leben und Vergehen.


Paola Telesca, Series On Nature, 2020, digital Photography, 60 x 60 cm

Neben Dammers hängen zwei quadratische Fotoarbeiten, schwarz-weiß, in weißen Rahmen. Paola Telesca, die mit Digitalfotografie, Zeichnung und Installation arbeitet, untersucht in ihrer Serie On Nature ebenfalls Baumstrukturen. Doch hält die gebürtige Italienerin sehr präzise Linien, Netze und Strukturen in ihren Aufnahmen fest: Sie findet diese beispielsweise in Wasserspiegelungen eines Teichs oder im Walddickicht. 01 der Serie zeigt zarte Verzweigung und Verästelungen, die im Dunklen des Bildgrundes versinken. Sie erinnern an Adern, Wurzelwerke oder organische Netze, rhizomartig, ohne Anfang oder Ende. Beim Betrachten des Bildes versinkt man, verliert sich in seiner Tiefe, was die poetische Wirkung verstärkt. Bloß einzelne feine Blättchen geben Aufschluss darüber, dass es sich um verfremdete Abbildungen von Baumkronen handelt. Auch hier geht es um einen Wandel, der das Ursprüngliche einer künstlerisch technischen Transformation unterzieht, um neue Sichtweisen zu erproben.

Die Ausstellung HUMAN Humus. Brücke - Stoffwechsel schafft es, eine große Bandbreite an existentiellen Fragen zu vereinen. Spielerisch bewegen sich die Besucher*innen vom großen Ganzen ins individuell Kleine. Die übersichtliche Anordnung der verschiedenen Werkgruppen fördert zudem die Möglichkeit einer intensiven Auseinandersetzung der unterschiedlichen Herangehensweisen. HUMAN Humus eröffnet Raum für Interpretation, sowohl auf Seiten der Künstlerinnen als auch auf der Besucher*innen. Die Schau lässt es zu, sich seinen Platz zu suchen, sei es auf dieser Erde oder beim Hinausschauen an einem großen Fenster.

Künstlerinnen: Annett Schlichting, Burghild Eichheim, Carolin Linge, Jenny Schon, Josephine Riemann, Karin Dammers, Katja Hochstein, Paola Telesca, Simone Westphal.

HUMAN Humus. Brücke Stoffwechsel
bis 12.02.2023
Galerie GEDOK Berlin
Suarezstraße 57, 14057 Berlin

Mi–So 14–18 Uhr und nach Vereinbarung
Eintritt frei
gedokberlin.de