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Notwendige Störungen - Eine Retrospektive von Achim Freyer im Schloss Biesdorf

von chk (15.09.2024)


Notwendige Störungen - Eine Retrospektive von Achim Freyer im Schloss Biesdorf

Raumansicht: Achim Freyer / Raum: Der Flug des Schmetterlings, Foto: art-in-berlin


“Jedes Bild kann einen Reichtum an Varianten entwickeln, aber das zu erfahren, überlasse ich dem Betrachter", sagt der 90jährige Achim Freyer, der erzählfreudig eineinhalb Stunden mit Kurator Johannes Odenthal durch seine retrospektive Ausstellung in Schloss Biesdorf führt. Und der Variantenreichtum offenbart sich nicht nur in den einzelnen Bildern, sondern erstreckt sich über sein gesamtes bildkünstlerisches Schaffen aus über 70 Jahren. Erstmals bietet das Schloss Biesdorf jetzt die Gelegenheit, das malerische Werk in einem großen Zusammenhang zu betrachten.

Achim Freyer, 1934 in Berlin geboren, studierte zunächst Malerei bei Gregor Krauskopf an der Fachschule für Werbung und Gestaltung Berlin, wurde danach Meisterschüler von Bertolt Brecht und arbeitete am Berliner Ensemble. Vor und nach seiner Republikflucht 1972 nach West-Berlin liest sich die Liste der Namen seiner Kooperationspartner wie das Who is Who der jüngeren Theater- und Operngeschichte, wohgemerkt weltweit. Längst ist der Künstler für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden.
Neben Freyers Theaterarbeit bildet die Malerei einen wesentlichen Schwerpunkt seines künstlerischen Schaffens. Freyer versteht sich von Beginn an als Maler. Der zweifache documenta-Teilnehmer (1977 + 1987) ist bis zum heutigen Zeitpunkt überaus kreativ, wie die Ausstellung zeigt.

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Achim Freyer, Steffi, 1959, Öl auf Leinwand, © Achim Freyer Stiftung

Das Ausstellungskonzept orientiert sich an Freyers unterschiedlichen künstlerischen Phasen, die sich immer wieder durchdringen. So sind die Räume nach thematischen Schwerpunkten geordnet wie beispielsweise Gefesselt in Freiheit. Die künstlerische Neuerfindung nach der Republikflucht | Köpfe als Weltbilder. Metaphysische Malerei oder Der Flug des Schmetterlings, der sich auf das Spätwerk des Künstlers konzentriert.

Zu sehen sind Hauptwerke aus der Schaffenszeit in der DDR bis 1972 wie beispielsweise Steffi (1959), das sich mit dem Menschenbild in der DDR beschäftigte und Freyers Interesse am Existenzialismus spiegelt. In diese Zeit fällt auch seine Erste Einzelausstellung im Kernforschungszentrum Rossendorf, die Freyers Interventionen gegen den staatlich verordneten Sozialistischen Realismus sichtbar macht, wie die Werkgruppe Streifen, Ordnung und die Störung von Ordnung. zeigt. Er arbeitet abstrakt. Doch Abstraktion stört das Erkennbare und lässt sich nicht vereinnahmen.

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Raumansicht: Achim Freyer, Fundstück, 1974, Gemeindekasten, Foto: art-in-berlin

Nach der Flucht aus der DDR kommt es zu einer künstlerischen Neubestimmung. Der Widerstand gegen die politische Bevormundung hat an Bedeutung verloren. Das Regelwerk ist ein anderes, subtileres: Der Kunstmarkt verlangt die Beschäftigung mit existenziellen Fragen, die Kunstgeschichtsschreibung formt neue Narrative. Freyer erweitert seinen künstlerischen Gestaltungsraum und reagiert mit dem Ausstellen von Fundstücken, mit schwarzen Gouachen, Assemblagen und sperrigen Environments. Sie lassen sich als Ausdruck des Widerstands gegen jede Form von Festschreibung lesen.
Ein Jahrzehnt später folgt die Phase eines expressiv abstrakten Farbenrauschs, der in den von ihm sogenannten Großen Bildgesängen aufgeht, um sich nach dieser Episode wieder auf die wesentlichen Bildelemente von Farbe, Fläche, Raum zu besinnen. Die Bildfläche dient als Portal zum Raum.

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Raumansicht: Achim Freyer, Nachtgesichte, 1994, Öl auf Leinwand, Foto: art-in-berlin

Achim Freyer lässt sich in keine Schublade stecken. Der Drang nach Entfaltung und künstlerischer Freiheit zieht sich kontinuierlich durch das Werk. Seine Erfahrungen unter zwei Diktaturen hinterlassen ihre Spuren, künstlerische Produktivität ist seine Antwort. Zugleich scheint in Freyers Werk immer auch die Auseinandersetzung mit anderen Künstlern und Künstlerinnen durch. Früh greift er Elemente von Bernard Buffet oder Hermann Glöckner auf, später von Beuys oder Giacometti, mal ist es Magritte. Doch Freyer kopiert nicht. Vielmehr nimmt er sich die Freiheit, in seinem Werk interpretatorische Akzente zu setzen, die zugleich sein malerisches Universum mit eigenen Mitteln festschreiben. “Es kommen Dinge zusammen, die ich nicht denken kann.”, sagt er beim Rundgang.

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Achim Freyer, Weisser Kopf, 1998, Acryl auf Packpapier, 136x100cm, © Achim Freyer Stiftung

In den 90er Jahren wendet sich der Künstler Gesichtern, Köpfen zu, die Auseinandersetzung mit Totentänzen taucht auf. Es geht um Vertikale und Horizontale, für Freyer wesentliche Merkmale zur Formung von Physiognomien. Alles mündet schließlich in den gegenstandslosen Bildern der letzten zwei Jahrzehnten. Diese meist großformatigen, zum Teil aus zerschnittenen Leinwänden zusammengesetzten Bilder strotzen vor Leuchtkraft und Dynamik. Die letzten künstlerischen Störungen, die, wie Freyer sagt, "notwendig sind, um sich zu entwickeln”, sind noch lange nicht vollendet.

Zur Ausstellung ist eine reich bebilderte und sorgfältig bearbeitete Monografie zu Freyers bildnerischem Gesamtwerk erschienen.
Achim Freyer Bilder. Eine Monografie 1934–2024, hrsg. von Johannes Odenthal, Leipzig: Spector Books, 2024. erschienen

Schloss Biesdorf | Alt Biesdorf 55 | 12683 Berlin
16. September 2024 – 23. Februar 2025

Eröffnung im Rahmen der Berlin Art Week
Sonntag, 15. September 2024, 18 Uhr

www.achimfreyer.com
schlossbiesdorf.de

chk

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