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Podiumsdiskussion: KOLOT – Stimmen

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Auf der mexikanischen Seite des Flusses

von chk (22.07.2018)
vorher Abb. Auf der mexikanischen Seite des Flusses

Blick in die Ausstellung »Sutura«, Installation Die Anderen , Detail, @ kuag

Beim Betreten des Ausstellungsraumes der daadgalerie, in der aktuell die Ausstellung »Sutura« von Teresa Margolles zu sehen ist, empfängt den Besucher ein leicht stechender Geruch – eine ungute Mischung aus Verbranntem und Fischigem. Reflexartig werden Erinnerungen an ältere Werke der Künstlerin wach, bspw. an die Installation En el aire (2003), bei der Seifenblasen aus einer Flüssigkeit, mit der Leichen gewaschen worden waren, vermeintlich beschwingt durch die Luft flogen.

Zunächst bleibt festzuhalten, dass im aktuellen Fall der Geruch nichts mit dem Werk von Teresa Margolles zu tun hat. Er ist ein Überbleibsel aus der letzten Ausstellung "Aquaria",... hängen geblieben an den Wänden, wie die auch ansonsten gut informierte Galeriemitarbeiterin lächelnd erklärte. Der Blick kann sich somit entspannter auf die Ausstellung konzentrieren. Zu sehen sind zwei Installationen der mexikanischen Künstlerin: Die Anderen, bestehend aus einem Holzgestell mit einem befleckten Tuch darüber und 14 in die Wand eingelassenen Lautsprechern sowie die Wandinstallation La Gran América aus handgeformten Tonfliesen. Die Arbeiten sind 2017 während Margolles Daad-Aufenthalts in Berlin entstanden.

Werkabbildung
Blick in die Ausstellung »Sutura«, Installation Die Anderen, Detail, @ kuag

Mit dem Tuch über dem Holzgestell, das in seiner Konstruktion entfernt an einen Altar erinnert, wurde das Blut einer auf der Straße in Guadalajara ermordeten Frau aufgewischt – wie aus dem Informationsblatt zu erfahren ist. Schmutzig, fleckig und durchlöchert liegt es da und bildet einen Kontrast zu diesem clean gestylten White Cube. Bei genauer Betrachtung lassen sich auf dem Stoff feine gestickte Linien erkennen. Margolles hatte 14 lateinamerikanische Migranten, denen sie in Berlin begegnete, gebeten jeweils eine gerade Linie in das Tuch zu sticken. Anschließend sollten sie ihre eigene Migrationsgeschichte erzählen. Leise murmelnde Stimmen, zu hören beim Herantreten an die Lautsprecher. Leider erst zu verstehen (sofern man des Spanischen nicht mächtig ist) durch das Lesen der dreisprachigen Begleitbroschüre. Dramatische Geschichten, die beklemmend vom Unheil, der Gewalt und der Ungerechtigkeit in dieser Welt erzählen. Ebenso erzählen die Befragten über ihre Gefühle, die sie beim Sticken der Linie auf das Tuch empfunden haben, was – wie zu erwarten - nicht weniger bewegend ist.

Werkabbildung
Blick in die Ausstellung» Sutura«, Installation La Gran América, Detail, @ kuag

Die Wandinstallation La Gran América mit ihren handgeformten Tonfliesen, systematisch verteilt über eine ganze Galeriewand, verzichtet hingegen auf eine offensichtlich gefühlsbetonte Ansprache. Sie besticht formal durch ihre minimalistische Anordnung. Fast andächtig hängen die braunen Fliesen an der weißen Wand und erinnern an Skulpturen von Carl Andre. Doch zu ihren minimalistischen Anklängen erklärte die Künstlerin bereits 2014 (im Gespräch mit dem Kurator Raphael Gygax): «Der historische Minimalismus hat keine Emotionen. Alle meine Arbeiten sind jedoch stark mit Emotionen besetzt. Die Menschen konzentrieren sich bei minimalistischen Formen besser auf ihre Emotionen." Insofern geht es natürlich auch bei La Gran América um die politische Dimension sowie um die menschlichen Schicksale, die eng mit dem Ort der Entstehung der Fliesen verbunden sind: Der Ton wurde aus dem Rio Bravo, dem Grenzfluss zwischen Mexiko und den USA, gewonnen und in Ciudad Juárez, einer Stadt auf mexikanischer Seite des Flusses, weiterverarbeitet. Verheerende Schicksale von Geflüchteten sind auch in Europa präsent.

Immer wieder thematisiert Teresa Margolles in ihrem Werk die in Mexiko vorherrschende Gewalt, oft bedingt durch Drogenkrieg und mafiöse Strukturen, die nicht nur Menschenleben vernichten, sondern eine ganze Gesellschaft destabilisieren. So wird auch in den beiden aktuellen Installationen auf diesen Zustand aufmerksam gemacht, wenngleich weniger drastisch als in früheren Arbeiten. Trotzdem verfehlen Die Anderen und La Gran América ihre Wirkung nicht. Das Machtpotential von Kunst in ihrer Verknüpfung zu Politik und Gesellschaft liegt nicht unbedingt im Tabubruch.

Teresa Margolles »Sutura«
daadgalerie, Oranienstraße 161, 10969 Berlin

2.6.- 22.7.2018
Di-So 12:00–19:00 Uhr
Eintritt frei / admission free
daadgalerie.de

chk

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