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Hadas Amster: zukünftige Erinnerungen und künstliche Lebensräume im Projektraum Meinblau

von Urszula Usakowska-Wolff (17.07.2019)
vorher Abb. Hadas Amster: zukünftige Erinnerungen und künstliche Lebensräume im Projektraum Meinblau

Hadas Amster, Almost Home, Ausstellungsansicht. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

In ihrer ersten Soloschau in Berlin kombiniert die israelische Künstlerin Hadas Amster verschiedene Medien wie Augmented Reality, Video, eine begehbare Installation und Performance, und setzt sich mit kollektiven Verhaltensmechanismen in künstlichen Lebensräumen auseinander.

Sie hängen auf einer Stange zwischen zwei Wänden: Pelzmäntel und Jacken in unterschiedlichen Farben und Längen. Aus Bisam, Ozelot, Nerz, Mufflon, Kamelhaar und Straußfedern. Sie bilden einen 17-teiligen Vorhang, den man auseinanderschieben oder unter dem man gebückt gehen muss, um in die Ausstellungsräume zu gelangen. Der Kontakt mit den weichen Stoffen ist unausweichlich, hinterlässt aber auf der Haut ein angenehmes Gefühl, auch wenn im Nachhinein zu erfahren ist, dass diese Vintage-Kleidungsstücke aus Kunststoff gefertigt wurden. Für die sinnliche Wahrnehmung scheint es unerheblich zu sein, ob etwas echt oder künstlich ist.

Zwischen Wirklichkeit und Fiktion

Das ist der erste Gedanke, der beim Betreten der Ausstellung Almost Home entsteht. Die aus Haifa stammende und seit 2015 in Berlin lebende Hadas Amster verwandelt den Meinblau Projektraum in eine Bühne mit einem Kinosaal und einer statisch-dynamischen Installation, wo die Wahrnehmung veranschaulicht, hinterfragt und beobachtet wird. Was sie beschäftigt, ist das Verhalten der Menschen in Zeiten, in denen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion zunehmend verschwinden, sodass nur die Flucht in imaginäre, virtuelle, also simulierte, immersive Räume eine Lösung zu sein scheint. Und weil Hadas Amster eine urbane Künstlerin ist, bleibt es ihr nicht verborgen, dass in den real existierenden Städten, die ein künstliches Gebilde sind, alles artifiziell ist, weil von Menschenhand geschaffen: die Häuser, die Gärten, die Tier- und andere Parks. Wir leben in einem Ambiente, das uns natürlich und echt erscheint, obwohl es ein Konstrukt und eine Simulation ist.


Hadas Amster, Almost Home, Ausstellungsansicht. Foto © Hadas Amster

Im Hotel fast wie zu Hause

Kleidung und Verkleidung, Beobachten und Beobachtetwerden, Umdeutung der Begriffe, um ihnen einen positive Bedeutung zu verleihen: Das alles verbirgt sich hinter dem Vorhang der beeindruckenden, doppelbödigen und berührenden Schau, deren Tiefe und Vielschichtigkeit allmählich ins Bewusstsein dringen. Im ersten Ausstellungsraum läuft das Video Almost Home, nach dem die Ausstellung betitelt ist. Wir sehen einen Affen, eine Mischung aus Orang-Utan, Schimpanse und Pavian, in dessen Kostüm Hadas Amster geschlüpft ist und im 25hours Hotel Bikini Quartier bezogen hat. Der Affe, vielleicht ein entfernter Verwandter Rotpeters aus Franz Kafkas Erzählung Ein Bericht für eine Akademie, scheint die Eigenwerbung der Nobelherberge „open for monkey business“ ernst genommen zu haben und fühlt sich dort fast wie zu Hause. Er schläft in einem bequemen Bett, nimmt ein Schaumbad, liegt in einer Hängematte, während Telefongespräche der Hotelgäste mit der Rezeption zu hören sind. Aus dem Fenster blickt er auf den Berliner Zoo („eine grüne Oase im Großstadtdschungel“, wie auf den Reiseportalen zu lesen ist). Ob er den Affenfelsen sehen kann, wird nicht verraten. Glücklich macht ihn das Leben im Hotel wohl nicht, denn er wirkt traurig.

Haare und Gedächtnis

Bei der Besichtigung der Meinblau-Haupthalle entsteht im ersten Moment der Eindruck, als sei dort eine ethnografische Sammlung untergebracht. Die Exponate muten wie afrikanische Holzmasken mit Haaren an. Beim genauen Hinschauen entpuppen sie sich als Holzbürsten, alte Taschenspiegel aus Metall und Klappmesser mit Holzgriff, die Hadas Amster mit ihren eigenen Haaren und denen, die sie ihren Freundinnen und Freunden selbst abgeschnitten hat, bestückte. Für die begehbare Installation Future Memories brachte sie sich die Bürstenherstellung bei. Die an unsichtbaren Fäden im Raum hängenden Mobiles interagieren mit dem Publikum; sie geraten bei jedem Schritt und Atemhauch in Bewegung, schwingen oder drehen sich. In ihrer Mitte liegt weißer, halbdurchsichtiger Stoff, unter dem Haarsträhnen und dünne Zöpfe erkennbar sind. Ist das bloß eine etwas ausgefallene, sinnliche, haptische Installation – oder ein temporärer Ort der zukünftigen Erinnerungen an die in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ermordeten Jüdinnen und Juden, denen vor dem Eintritt in die „Duschen“ Haare abrasiert wurden? Woher stammen die Mäntel und Jacken, die am Anfang der Ausstellung Almost Home hängen? Sind es harmlose Kleidungsstücke oder wurden auch sie den Opfern geraubt?


Hadas Amster, Future Memories. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Simulierte Wirklichkeit, reale Überwachung

Auch wenn Hadas Armsters Ausstellung unterschiedlich interpretiert werden kann, wirkt das Gezeigte beunruhigend. Dieses Gefühl steigert sich auf der oberen Ebene des Projektraums, wenn man den unteren Ausstellungsbereich – einem Jäger im Hochsitz ähnlich – durch eine Art Fernglas beobachtet. In der Arbeit unter dem Titel Looking at me looking at you setzt Hadas Amster die Augmented Reality (AR) ein, die es möglich macht, die Zuschauerinnen und Zuschauer im Erdgeschoss zu beobachten. Dazwischen flaniert eine real wirkende Gestalt im Affenkostüm, die ihnen in die Augen schaut und sie ihre Blicke erwidern. Wer beobachtet da wen und von wem wird er oder sie beobachtet? Wird durch die AR die Wahrnehmung des Menschen erweitert oder wird er nicht mehr dazu fähig sein, die Wirklichkeit von der Simulation der Wirklichkeit zu unterscheiden und die Hyperrealität als sein wahres Zuhause gedanken- und widerstandslos hinzunehmen? Hadas Amster zeigt in ihrer Soloschau im Projektraum Meinblau, dass wir uns in der vorgetäuschten und immer undurchsichtiger werdenden Realität schon fast wie zu Hause fühlen und nicht merken, dass wir manipuliert und überwacht werden. „Meine Arbeiten sind ein politischer Versuch, die kulturellen Mechanismen, welche unsere Realität und unseren Umgang mit ihr strukturieren, zu hinterfragen. Indem ich diese künstlichen Lebenswelten unter die Lupe nehme, positioniere ich mich als eine Gegenkraft, die aus dem kollektiven Traum erwacht und es den Zuschauern ermöglicht, ihre eigene Position zu entwickeln“, so die Künstlerin.


Hadas Amster, Future Memories (Detail). Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Hadas Amster: Almost Home
bis 21. Juli 2019
Meinblau Projektraum
Pfefferberg, Haus 5, Christinenstraße 18-19, 10119 Berlin
Do-So 14-19 Uhr, Performance 20./21. Juli , 19 Uhr

20.+21.07.2019 jeweils
18h Rundgang durch die Ausstellung mit // exhibition tour with Hadas Amster 19h Future Memories – Performance by Ma´ayan Gur

www.meinblau.de

Urszula Usakowska-Wolff

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