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Berlin Daily 12.12.2024
Lebensbild. Die Künstlerin Hannah Höch

18 Uhr: Dialogische Bildbetrachtung mit Friederike Proksch und Claudia Wasow-Kania. Museum Reinickendorf | Hannah Höch Raum | Alt-Hermsdorf 35, 13467 Berlin

Intim öffentlich inszeniert. Anne Schönharting im Haus am Kleistpark

von Katja Hock (10.12.2022)
vorher Abb. Intim öffentlich inszeniert. Anne Schönharting im Haus am Kleistpark

© Anne Schönharting, „Loretta Würtenberger und Daniel Tümpel mit Tochter“, aus der Arbeit „HABITAT“, entstanden zwischen 2012-2022

Anne Schönhartings Arbeiten aus über zehn Jahren Dokumentationsfotografie Charlottenburger Wohnungen zeigen in der aktuellen Ausstellung „HABITAT“ im Haus am Kleistpark: Die Wohnung ist unverletzlich. Wer sie nach außen öffnet, inszeniert sich – ob gekonnt bewusst oder nicht. Schönhartings Fotografien sind Ausschnitte des Privaten in einer Mischung aus Selbstdarstellung und ästhetischer Inszenierung.

Steril, nahezu klinisch rein wirken die Ausstellungsräume im Haus am Kleistpark. Weiße Wände, anthrazitfarbene Fliesen mit hellen Fugen, an den Decken grelle Neonröhren. In dieser White Cube Atmosphäre gehört den Fotografien die ganze Aufmerksamkeit. Diese wiederum bieten intime Einblicke in Lebenswelten zumeist unbekannter wohlhabender Charlottenburger Bewohner*innen. Einzelne Frauen, Männer, Paare, Kleinfamilien mit Kindern und Haustieren oder fast menschenleere Wohnräume sind zu sehen. Die Räume sind bestückt mit hochwertigen Möbeln, ausgewähltem Design, edlen Teppichen, Parkett und Kunstwerken an den Wänden. Wirklich nahe kommt man den Menschen auf den Bildern jedoch nicht. Die Fotografierten nutzen die Gelegenheit zur Selbstdarstellung, blicken dabei abweisend oder schauen aus dem Bild ins Nirgendwo. Obwohl sie Einblick in ihr wohnliches Umfeld gewähren, möchten sie offensichtlich nicht in ihren Leben gestört werden. Ganz versunken scheinen sie in ihrem Habitat.

Schönhartings Fotografien zeigen keine WGs, keine Ein-Raumwohnungen oder beengtes Leben auf kleinstem Raum. Ein kurzer Blick auf Angebote bekannter Immobilienvermittlungsseiten zu Wohnungen in Charlottenburg bietet Vorschläge wie „Hochrepräsentative Stuckaltbauwohnung mit Aufzug nahe Kurfürstendamm, 4 Zimmer, 172,54 m² Wohnfläche - 3.105,72 € Kaltmiete zzgl. NK“. In Charlottenburg zu leben bedeutet besser finanziell aufgestellt, wohlhabend, vielleicht reich zu sein? Ein Traum von Raum, Licht und Stuck. Ein Wunschbild, das sich nicht jede*r leisten kann oder will. So erwecken die Fotografien der privaten Wohnräume bei manchen vielleicht Sehnsucht, bei anderen Neid. Ein Besuch im Haus am Kleistpark ist mit 49 Fotografien in fünf Räumen hingegen umfangreich, kostenlos und für alle zugänglich.


© Anne Schönharting, aus der Arbeit „HABITAT“, entstanden zwischen 2012-2022

Anne Schönharting (*1973 in Meißen) ist seit 1999 Mitglied der Ostkreuz Agentur und verbindet Elemente künstlerischer Dokumentarfotografie, Sozialstudie und Mode. Ihre Arbeiten erinnern an Szenen und aufwendige Bühnenbilder wie in einem Film. Ein Moment des Stillstandes mit mystischer, kaum greifbarer Atmosphäre ruft Assoziationen zu Edward Hoppers Gemälden hervor. Gleichzeitig sind sie inszeniert. Die sehr häufig eingesetzte Licht-Schattenspielerei lässt an altniederländische Malerei denken. Schönharting lädt uns ein, die fotografierten Räume gedanklich zu betreten.

Beim Ausstellungsbesuch fiel auf, dass manche Arbeiten einen besonderen Reiz auf die Besuchenden ausübten. Zum Beispiel: „Johanna Polley“ - eine junge Frau, die im Hochformat in einem düster-dämmrigen Raum sitzt. Als Brustportrait angeschnitten erscheint sie den Betrachter*innen sehr nahe. Ihr Gesicht mit langem braunem Haar wird von Streiflicht erfasst. Der Faltenwurf des gemusterten Stoffs, der sich an ihren Oberkörper schmiegt, erinnert an Textilstudien alter Ölgemälde. Ihre großen grünen Augen leuchten. Polleys fokussierender Blick und ihre Nähe zieht in den Bann, so dass es schwer fällt, ihm den Rücken zu kehren.
In der Flucht gegenüber, im Querformat, steht „Loretta Würtenberger und Daniel Tümpel mit Tochter“ an ihrer großen Fensterfront. Im Vordergrund ein breites, cremefarbenes Sofa, das die Distanz zwischen Betrachter*innen und Protagonist*innen bildet. Dahinter die kleine Familie. Das Mädchen im luftigen Blumenkleid sitzt auf der linken Seite des Fensterbretts. Die Frau im blau-beige gestreiften Kleid lehnt sich an die Fensterbankkante. Ihr Körper bildet eine Dreieckskomposition. Ihr Blick ruht auf ihrem Partner rechts neben ihr, als führen die beiden ein stilles Gespräch. Im Businessschick gekleidet im weißen Hemd, schwarzer Anzugshose, die Hände lässig englisch in den Hosentaschen. Er blick zu seiner Frau und wendet uns den Rücken zu. Das Band der Familie scheint eng zu sein, klar und geordnet. Mit der Frau in der Mutterrolle und Partnerin als bindendes Glied. Nicht zuletzt wird dieser Eindruck durch die klare Gliederung von Horizontalen, Vertikalen und Diagonalen der Bildkomposition bestärkt.

Wir sehen ein anderes Bild Berlins, ihrer Bewohner*innen. Nicht nur laut, bunt und rasend. Die Fotografien wirken wie eine soziale Bühne einer Bevölkerungsschicht, die einwilligte, ihr prächtiges Zuhause zu zeigen. Obwohl es diese Räume gibt, scheinen sie so irreal, so weit entfernt. Laut auf keinen Fall. Eher ein ersehnter Rückzugsort, das Habitat, das sie und die Besucher*innen vom rasenden, öffentlichen Berlin flüchten lässt – und das selbst inszeniert wird. Denn die Wohnung ist unverletzlich. Dass Einblicke gewährt werden, geschieht demnach mit Vorsatz, ausschnittsweise und in einem besonderen Spannungsfeld: Die Fotografin inszeniert aus ihrem Interesse, die Protagonist*innen sich aus dem ihren, an einem Ort, der privat und geschützt ist. In den Werken treffen Selbstbestimmung, Symbolik, Entlarvung und Momentaufnahme aufeinander. Die Fotografien scheinen wie ein Kondensat der Social-Media-Welt in der analogen, sehr real, aber ein kuratierter Ausschnitt. Das Private öffentlich zu machen, musst du dir leisten wollen und können.

Anne Schönharting
HABITAT
14.10. bis 11.12.2022

Finissage
Ausstellungsrundgang mit Anne Schönharting und Barbara Esch Marowski
Sonntag 11. Dezember 2022 | 16 Uhr

Öffnungszeiten:
Di–So 11–18 Uhr
Donnerstag bis 20 Uhr

Sonderöffnungszeiten
Do 3.11. bis 16:30 Uhr
Fr 4.11. & Sa 5.11 bis 20 Uhr

Eintritt frei
Kein barrierefreier Zugang

Haus am Kleistpark
Grunewaldstraße 6-7, 10823 Berlin
www.hausamkleistpark.de

Katja Hock

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