Ein Fest für die Lyrik: Lesung und Gespräch im Berliner Haus für Poesie Kulturbrauerei | Knaackstr. 97 | 10435 Berlin
Fotos: Andreas Schimanski
Zwei Monate lang sind im Haus am Lützowplatz (HaL) drei Rauminstallationen von Ralf Ziervogel zu sehen. Bekannt geworden ist der Künstler mit großformatigen, sehr fein skizzierten und detailreichen Zeichnungen brutaler Szenen. Der Ausstellungstitel Wir sollen wie Hunde sein prangt in roten Lettern selbstbewusst im Foyer.
Vom Foyer gehen drei Räume ab, die jeweils ein Arrangement an Werken fassen.
Die erste Zusammenstellung besteht aus einem schmalen Gang zwischen Metallgattern, der uns Besuchende durch den Raum treibt – Kontext Tierhaltung. Der Weg führt vorbei an einer beiläufig abgelegten Spule Stacheldraht – Kontext Flüchtlinge(?) und der Zeichnung as if (2018).
Auf rund zwei Quadratmetern Papier entfaltet sich eine Szenerie reiner Gewalt. Aus der Ferne sehen wir Cluster wie große Farbflecken, verbunden durch dünne Linien. Erst aus der Nähe wird deutlich, diese sind langgestreckte Leiber, immer wieder zu Konglomeraten geballt. Wir sehen zerfetzte Körper, nackte Beine, Arme werden gezogen, manche zerreißen. Das Blut spritzt wie elektrisiert. Die Gesichter sind verzerrte Grimassen des Wahnsinns.
Die Verbindung zwischen diesen drei Werken ist – abgesehen vom Topos der Gewalt – nicht weiter ausformuliert: Grauenhafte Tierhaltung, sich selbst quälende Menschen, Stacheldraht als repressive Selbstverteidigung. Das Arrangement scheint lose Enden zusammenfügen zu wollen – die Verbindungen erschließen sich nur mit großer Anstrengung.
Fotos: Andreas Schimanski
Im Raum nebenan befindet sich der zweite Teil der Ausstellung mit einer frühen Videoarbeit. Wir schauen Ziervogel beim Zähneputzen zu. Anfangs schrubbt er, dann scheuert er den bereits rötlich verfärbten Schaum über seine Zähne, schließlich greift er in aggressiver Rage zur Klinge – und rasiert sich den Unterlippenbart. Die Arbeit versteht sich als kritischer Kommentar zur Selbstoptimierung, ausgereizt bis zur Selbstzerstörung.
Besonders hervorgehoben wird die dritte Werkgruppe mit den aktuellen Arbeiten: D:N:A-Portrait und Südjapanisches Selbstportrait. Gerade die zweite Arbeit birgt kritisches Potential. Ziervogel, so seine Aussage, befasst sich mit der „hauchdünnen Freiheit“ – dünnhäutig, weil fragil und stets bedroht von äußeren Einflüssen.
Mit diesem Werk verweist Ziervogel auf Hiroshima, wo Menschen durch die atomare Strahlung bis auf schemenhaften Einbrennungen an den Wänden ´verdunstet` sind. In Anlehnung daran hat der Künstler seinen eigenen Körperabdruck hinterlassen – als graugelbliche Silhouette. Das „Selbstporträt“ ist makaber und grenzwertig. Glücklicherweise ist unser Freiheitsbegriff - auch in der Kunst - so weit gefasst, dass wir solche Werke als ästhetische Spielerei oder als künstlerische Notiz zum Weltgeschehen dechiffrieren könnten.
Gegenüber befindet sich eine kleine Zeichnung, eingelassen in die Wand des HaL. D:N:A-Portrait ist ein welliges Papier, darauf stehen kryptische, kleine Buchstaben. Sie codieren gemeinsam mit der Flüssigkeit, die über das Papier gestrichen wurde, Ziervogels DNA und sein künstlerisches Werk. Beides zusammen ist sozusagen sein Vermächtnis, wie ein Porträt seines eigenen Lebens. Die Zeichnung, gerahmt in einem massiven Metallrahmen und extra durch einen Ziegelsturz geschützt, wird nach der Ausstellung dort hängen bleiben, die Wand wird verschlossen. Die Informationen sollen auch der Nachwelt erhalten bleiben. Vollkommen selbstverständlich scheint, dass Menschen in 100 Jahren diese Informationen haben wollen oder Ziervogel noch in 100 Jahren erinnert werden möchte?
Fotos: Andreas Schimanski
Bei jedem Raumwechsel in der Ausstellung sieht man den Titel. Wir sollen wie Hunde sein. Der Titel mahnt wohl zur Tierwerdung. Nach der letzten Arbeit stellt sich mir die Frage, ob wir Menschen vielleicht „bescheidener“ werden sollten. Sollten wir von unserem Wunsch nach Unsterblichkeit und Erinnerung Abstand halten? Uns einfach wie ein Tier/Hund einfach dem Schicksal ergeben? Uns frei machen vom Ballast der Generationen und der Vergangenheit? Vielleicht wie Hunde sein?
Ausstellungsdauer: 31. März - 29. Mai 2023
Haus am Lützowplatz
Lützowplatz 9
10785 Berlin
ralfziervogel.com
www.hal-berlin.de
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