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Berlin Daily 28.04.2024
Künstlerinnengespräch + Performance

14 Uhr: mit Yalda Afsah und Sati Zech. Mod.: Julia Meyer-Brehm. Performance von Rozhina Rastgoo im Rahmen der Ausstellung "A Home for Something Unknown"(Kooperation: Haus am Lützowplatz / n.b.k.) Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, 10785 Berlin

Elite, zeigt mir eure Hände!

von Lisa Rocke (17.09.2023)
vorher Abb. Elite, zeigt mir eure Hände!

Verena Brakonier, Jivan Frenster und Greta Granderath, Hände, 2021, Comic, Foto: Nihad Nino Pušija

Die Galerie Saalbau in Neukölln zeigt noch bis 17. September 2023 in der Ausstellung GLÄSERNE BARRIEREN Perspektiven von 6 Künstler*innen und Kollektiven, die sich visuell und auditiv mit ihren Klassenzugehörigkeiten auseinandersetzen. Dabei machen sie die hierarchischen Strukturen in unserer Gesellschaft und auch im Kunstsektor sichtbar.

Klassismus ist ein Begriff, der sich immer weiter in die aktuellen kulturwissenschaftlichen Diskurse schleicht. Er beschreibt die strukturelle Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres sozialen und ökonomischen Status. In GLÄSERNE BARRIEREN klopft Klassismus an die Tore der Bildenden Kunst. Wer schreibt hier den Kanon vor? Ist die Bildende Kunst zugänglich für Menschen unabhängig von Einkommen, Status oder Bildung?

Betrachte ich meine Hände, sehe ich drei silberne Ringe und apricotfarbenen Nagellack, der drei Tage alt ist. Diese Hände kennen die Tastatur, sie schreiben, kochen ab und zu und verdeutlichen täglich meine gesprochenen Worte mit Gestik. An meinen Händen lässt sich ablesen, dass sie keine schweren handwerklichen Tätigkeiten ausüben. Sie sind zum Beispiel nicht zu trocken durch die Arbeit mit Wasser. Sie sind faltenlos. Meine Hände zeigen nicht nur mein Alter und meine Vorlieben, sondern auch meine soziale Klassenzugehörigkeit. Ich bin privilegiert.

Andere Hände – zarte, raue, schmale, breite, große und kleine - begegnen mir in der Videoinstallation von Hände (2021) Verena Brakonier, Jivan Frenster und Greta Granderath, in der die Künstler*innen verschiedene Menschen interviewen. Diese teilen ihr Verhältnis von Arbeit und Klasse und ihre Erfahrungen aufgrund ihrer sozialen Herkunft in unserer Gesellschaft. Während ihre Stimmen sprechen, erzählen ihre Hände. Der Kurzfilm macht schmerzhaft deutlich, dass diese Klassenerfahrungen direkt in unsere Körper eingeschrieben sind.


Julischka Stengele, ... der Mehraufwand, der sich für Menschen aus niederen Klassen oft ergibt ..., 2017, Comic, Foto: Pušija

Die Künstlerin Julischka Stengele hat einen Klassenwechsel vollzogen und beschreibt ihre Erfahrung am Beispiel einer Interviewanfrage der Zeitschrift Bildpunkt von 2017. In ihrer Arbeit ... der Mehraufwand, der sich für Menschen aus niederen Klassen oft ergibt ... setzt sie sich künstlerisch mit der Unverständlichkeit der Anfrage auseinander. Selbst als Person, der die akademische Sprache vertraut ist, verbringt sie mehrere Stunden damit, den Text zu dekodieren. Die von ihr entwickelte Foto-Comicstrecke beschreibt diesen Prozess. Wir sehen Stengele mit ihrem Handy in der Hand, Sprechblasen über ihrem Kopf. "Wenn du es noch 3x laut liest, wird es sicher einen Sinn ergeben. Du weißt ja, ohne Fleiß kein Preis!" Interessant ist die Wahl des künstlerischen Mediums. Comics wurden laut Stengele erst durch ihre Umbenennung in "Graphic Novels" salonfähig. Auch die verwendete Schriftart Comic Sans, die mittlerweile ironisch für coole Memes oder Designs verwendet wird, hat eine klassistische Tradition.


Arbeitszyklus Working Class Daughters, KaDeWCD, 2021, Installation aus einer T-Shirt Kollektion und Kabineneinrichtungen, Hörraum, Foto: Beatris Wakaresko

Wo zeigt sich soziale Klasse in der Kunst- und Kulturarbeit? Das Kollektiv Arbeitszyklus Working Class Daughters (Karolina Dreit, Kristina Dreit, Anna Trzpis-McLean) nähert sich dieser Frage in ihrer multimedialen Installation KaDeWCD; (2021). In einem separaten Raum sind 4 auseinandergelegte Umkleidekabinen aufgebaut. Weiße T-Shirts, mit den Initialen des Kollektivs bedruckt, hängen an Stangen und vor den Fenstern. 5 Kopfhörer liegen verteilt auf Hockern und Fensterbänken. In dem fiktiven Kaufhaus KaDeWCD sind Stimmen von Frauen* zu hören, die über ihre individuellen Lebensgeschichten berichten: von Klassenaufstiegen und der damit einhergehenden Zerrissenheit zwischen zwei Welten. In einer Kabine steht ein überdimensional großes Parfum – ein gläserner Kubus aus Glas, gefüllt mit einer orangenen Flüssigkeit. Der Deckel auf dem goldenen Sprühventil ist mit Strasssteinen besetzt, von denen einige fehlen, und an der Seite kleben Schmetterlingsaufkleber auf dem Glas. Wie würde ein Working Class Daughters Parfum riechen? "Wild anziehend", nach "Whiskey, so bitter süß", nach der Arbeit auf dem Feld, aber – und da sind sich alle einig - vor allem eins: stark.

In GLÄSERNE BARRIEREN sehe ich mich als Ausstellungsbesucherin konfrontiert mit unterschiedlichen Gefühlen: Ich sehe die Ohnmacht, nicht alle Machtstrukturen auflösen zu können. Ich höre Wut in den Stimmen der Betroffenen. Ich bemerke Scham - einerseits bei den Menschen, die einen Klassenaufstieg vollzogen haben und gleichzeitig auch bei mir selbst, der diese Welten fremd sind. Die Ausstellung ist ein Anstoß in Richtung eines sich öffnenden Kunst- und Kulturbetriebs. Sie arbeitet sehr reduziert mit Text und wenn, gibt es diesen auch in einfacher Sprache. GLÄSERNE BARRIEREN ist räumlich klar strukturiert und lässt inhaltlich Betroffene sprechen.

Barrieren sind nicht immer sichtbar, und dasselbe gilt für Privilegien. Diese anzuerkennen ist unangenehm, aber es ist an der Zeit, dass sich auch der Kunstsektor endlich kritisch reflektiert. Dafür sollte jeder Mensch bei sich und den eigenen Händen anfangen und diese Ausstellung besuchen.

1. Juli - 17. September 2023
GLÄSERNE BARRIEREN

Künstler*innen:
Arbeitszyklus Working Class Daughters (Karolina Dreit, Kristina Dreit, Anna Trzpis-McLean)
Nadine Fecht
Gülbin Ünlü
Rachel Monosov
Verena Brakonier/ Jivan Frenster/ Greta Granderath
Julischka Stengele

Galerie im Saalbau
Karl-Marx-Str. 141
12043 Berlin
galerie-im-saalbau.de

Lisa Rocke

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Titel zum Thema Galerie im Saalbau:

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Noch bis Sonntag: Die Ausstellung Wut mit Arbeiten von Gunilla Jähnichen in der Galerie im Saalbau Neukölln.

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