19 Uhr: Sophie Esslinger im Gespräch mit Durs Grünbein im Rahmen der Ausstellung "Tox Indigo" Contemporary Fine Arts Galerie | Grolmanstraße 32/33 | 10623 Berlin
Wir kennen alle dieses Gefühl, das hochschnellt wie explodierendes Mineralwasser. Dann kribbelt es, am liebsten haut man auf eine Tischfläche, lässt die Türe zuknallen: Affekte, die wie Blitzableiter wirken.
Doch am Ende sitzen wir verloren da. Die Hände liegen im Schoß, alle Wut erscheint plötzlich lächerlich. Reue und schlechtes Gewissen plagen. Wir erkennen uns im Gegenüber wieder und beteuern, es nicht so gemeint zu haben.
Wut und alle Facetten dieses Gefühls sind Thema in Gunilla Jähnichens Ausstellung „@wut“ in der Galerie im Saalbau Neukölln. Bei der Künstlerin spielt das Gegenüber eine bedeutende Rolle. Auf ihren Gemälden sehen wir androgyne Wesen, sie erinnern an Gespenster und scheinen an sich friedlich. Ihre niedlichen Knopfaugen liegen verloren im weiten Gesicht. Ihr Mund ist knapp und wirkt ratlos.
Wir lernen die kartoffelförmigen Wesen in mehreren Stimmungen kennen. Werden sie wütend, mutieren sie zu grellen Monstern. Sie bersten vor Zorn, scheinen wie besessen. Andere Male sind sie kleinteilig, fies und beißen scharfkantig zu. Die Miene ist nicht verdutzt, sondern offen. Mit spitzen Zähnen weiten sich ihre Körperöffnungen, der Mund wird zum tiefen und riesengroßen Strudel ins Innere, die Augen formieren sich spitzwinklig und angriffslustig. Leuchtende Farben machen sich breit. Die Leinwand ist vollflächig bemalt und das kleine Etwas scheint plötzlich sehr nahe. Entweder ist der Kopf wie bei einem Anime auf das 5-Fache angeschwollen oder wir zoomen ganz nah ans Gesicht. Das kleine schüchterne Wesen ist präsent, bekommt eine Stimme. Doch hören wir sie nicht. Wir wissen auch nicht, warum es so wütend ist.
Und so fällt die auftürmende Emotion wie ein Klappzylinder in sich zusammen.
Das Wesen ist nun auf sich geworfen, allein mit sich selbst.
Parallel dazu hat Jähnichen den Wesen ihr jeweiliges Spiegelbild zur Seite gestellt. Meist in ähnlicher Form, etwas sackartig, erscheinen sie wie das Negativ gleichsam als Ausdruck der inneren Verfasstheit. Wut kehrt sich damit in Zweifel und Scham, Trauer in Gehässigkeit. Das Schattenwesen tritt verschiedenen auf. Es ist schwarz oder nur ein Schemen unter dem Zeichenblatt, aber vielleicht auch ein neonorangener Streifen am Rand der Leinwand.
Das Ebenbild hat keine feste Gestalt und wirkt noch gespenstischer. Das liegt auch daran, dass es beispielsweise nur als Linie auf der Rahmenverglasung zu sehen ist. Diese erscheint wie eine zweite Bedeutungsebene, kontaktlos und doch mit dem dahinter liegenden Bild verbunden. Klassische Bild- und Rahmengrenzen werden verlassen, in immer wieder überraschenden Varianten spielt Jähnichen auch mit gespraytem Farbauftrag und knalligen Kontrasten.
Doch, was ist nun das Gegenüber?
Ist das Gegenüber so etwas wie eine Seele der Wesen?
Oder sind wir es, die Besuchenden der Ausstellung. Vor uns verhallt all die Wut. Wir können weder helfen, noch der Wut etwas entgegnen. Wir werden angeschrien, wissen aber nicht weshalb. Das, wiederum, könnte uns wütend machen. In Folge schreien wir uns gegenseitig an, immer lauter, doch der Schrei verhallt.
Gunilla Jähnichen - @wut
9.10. – 28.11. 2021
Galerie im Saalbau Neukölln
Karl-Marx-Straße 141
12043 Berlin
Täglich 10 - 20 Uhr
Eintritt frei
Ein Besuch ist derzeit ohne die Buchung eines Zeitfensters
und ohne Registrierung möglich.
galerie-im-saalbau.de
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