19 Uhr: Sophie Esslinger im Gespräch mit Durs Grünbein im Rahmen der Ausstellung "Tox Indigo" Contemporary Fine Arts Galerie | Grolmanstraße 32/33 | 10623 Berlin
Maks Dannecker und Ralph Tepel haben aus ihren Überlegungen zu Naturwissenschaften und Metaphysik eine Ausstellung zur Polarität entwickelt. Im Museum Schloss Mitsuko in Thürkow-Todendorf sind ihre Arbeiten vom 2. bis 10. März zu sehen. In der Schau „Special X Polarity“ geht es um Gegensätze, Anziehung und Abstoßung. Frank Lassak hat die Kunstschaffenden interviewt.
Frank Lassak: Wie entstand die Idee zu der Juxtaposition Dannecker vs. Tepel?
Ralph Tepel: Am Anfang unserer Arbeit stand für uns beide die Neugier: die Neugier auf interessante Materialien und Werkstoffe und ihre Beziehung zueinander sowie die Freude an Formen und Strukturen. Es ist eine Passion, die wir teilen. Daher handelt es sich nicht um eine Juxtaposition im engeren Sinn, sondern um eine Dialog-Ausstellung. Schnell merkten wir, dass unsere Auffassung von Kunst nicht nur harmonierte, sondern dass wir menschlich und künstlerisch auf Augenhöhe miteinander arbeiten konnten.
Frank Lassak: Seit wann arbeiten Sie zusammen?
Ralph Tepel: 2021 hatte ich Maks Dannecker zur Teilnahme an der Ausstellung „Wege zur Schlichtheit – Awase“ im Museum Schloss Mitsuko eingeladen. Ein Jahr später haben wir die Zusammenarbeit bei den „Lichtern und Irrlichtern“ (mehrmonatige Lichtkunst-Installationen und Land Art im Japanischen Hain des Museums) genutzt, um in Dialogform Wege zu gehen, die ich seit 2018 mit fluoreszierender Lichtkunst begonnen hatte. Wir haben dabei weitere Projekte geplant, von denen „Special X Polarity“ als erstes realisiert wurde.
Frank Lassak: Haben Sie jemals gemeinsam an Werken gearbeitet?
Ralph Tepel: Über Werke und deren Beziehung zueinander haben wir uns oft ausgetauscht. In „Special X“ zeigen wir zum ersten Mal ein gemeinsames Werk, das mindestens ein Jahr im Museum zu sehen sein wird: ein Mural im Treppenhaus, das unsere beiden Positionen verdichtet.
Frank Lassak: Polarität – das klingt nach Gegensätzen? Doch beim genauen Hinschauen sind in den Arbeiten eher verbindende Elemente zu erkennen. Wie definiert sich Polarität für Sie?
Maks Dannecker: An den Begriff der Polarität gehe ich nicht in erster Linie philosophisch heran. Es ist ein Thema, das mich zunächst fragen und überlegen lässt, welche Elemente und Werkstoffe ich für meine Arbeiten verwende. Sie sind durch einen konzeptuellen Umgang mit fotografischen und malerischen Themen bestimmt. Durch Einschleusen von Farbpartikeln, Formen und Flächen sowie deren Anordnungen assoziiere ich Hintergrundgeschichten, die ihrerseits der Ausgangspunkt von Betrachtungen und Interpretationen von Inhalten sind, die über die haptische Erarbeitung des Themas Polarität hinausgehen. Polarität enthält vieles, zum Beispiel: Anziehung und Abstoßung, Ordnung und Verschiebung, Kombination und Vervollständigung. Durch die von mir verarbeiteten Elemente und Stoffe können Betrachter einen individuellen Zugang zum Thema Polarität finden, der unterschiedliche Aspekte beinhalten wird – was ebenfalls eine Form der Polarität ist.
Ralph Tepel: Alles fing für mich mit der Entdeckung von Lichtschachtabdeckungen aus Glas im Hinterhof von Rainer Junghanns raumfuerraum an. Sie trugen Plus- und Minus-Zeichen, die Gitter formten. Sie waren dort angebracht, um bei Nässe nicht auf dem Glas auszurutschen. Für mich war das eine Struktur und Formenwelt mit Botschaft, aus der sich Geschichten bilden ließen und Kunst entwickeln ließ. Ich druckte sie ab, prägte sie ab und fotografierte sie. Dann begann die Transformation. Das Spiel mit der Polarität, das Spiel mit dem Binären, dem Dualen und dem Antithetischen. Die Verlockung der simplen Weltsicht von Schwarz und Weiß, Gut und Böse, der Welt der einfachen Lösungen und Sündenböcken, in der „tertium non datur“ zu gelten scheint und Gemeinsamkeit und Einheit verschwinden. Ich projizierte Polarität ins All: in Form von Überblendungen mit Bildern, die der Reaumstation Skylab entstanden waren. Doch auch das All kennt nicht die absolute Polarität. Energie ist in Masse und Masse in Energie wandelbar. Sterne kollabieren und bilden Schwarze Löcher. Es gibt das Neutron neben dem Proton und dem Elektron – selbst die Welt der kleinen und kleinsten Teilchen ist nicht absolut polar. Überaus spannend für die künstlerische Auseinandersetzung.
Frank Lassak: Polarität führt ferner in den gegenwärtig – vor allem in der Politik – immer öfter genutzten Begriff der Multipolarität. Die erscheint vielen chaotisch. Schwingt in den Werken der Ausstellung so etwas wie Sehnsucht nach geordneten, überschaubaren Verhältnissen mit?
Ralph Tepel: Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war durch eine bi-polare Weltsicht bestimmt, in der Vielen der Blick für die globale und multi-polare Welt verstellt war, obwohl schon seit Jahrhunderten (wie Peter Sloterdijk in seinem Buch „Im Weltinnenraum des Kapitals“ beschrieben hat) eine globale Weltsicht existierte. Die schiere Komplexität und die ständigen Transformationen in vielfältigen parallelen Prozessen mögen von verschiedenen polaren Kraftfeldern ausgehen, interagieren aber mannigfach und überlagern sich. Es braucht Demut, sich mit der Welt und mit Anderen in dieser Welt zu beschäftigen. Ein Thema, das Maks und mich bewegt.
Frank Lassak: Plus/Minus – nicht nur in Physik und Mathematik sind dies Zeichen von Gleichungen, also ins Verhältnis gesetzten Dingen. So nüchtern, so reduziert und minimalistisch ist die reale Welt indes eher nicht. Wo bleiben die Zwischenräume, die Grauzonen? Wo bleibt das Chaos?
Ralph Tepel: Wir leben in einer Welt der von integrierten Schaltkreisen gesteuerten Computer – es fließt Strom, es fließt kein Strom, 0 und 1. Wir benutzen ein binäres Hardware-System, dessen Welt denkbar simpel ist. Die Software macht es möglich, unendlich komplexe Systeme abzubilden. Auch die Künstliche Intelligenz arbeitet auf simpler, binärer Basis, wahrscheinlich fußen sogar viele unserer menschlichen neuronalen Prozesse darauf. Wir können Graustufen durch Addition und Subtraktion von Licht erzeugen. Die Belichtungsmesser unserer Kameras sind auf 18 Prozent Lichtreflexion geeicht, sogenanntes Neutral-Grau, – erschaffen aus Plus und Minus. Wir leben also mit einer binären Weltsicht und -gestaltung. Mit der Umsetzung von Orten in der realen Welt in fließende Graustufen beschäftigen sich unter anderem die „Anscheins-Orte“ von Maks Dannecker. Der Frage, wie positive und negative Energie vielleicht eine Einheit bilden könnten, gehe ich selbst mithilfe von Videokunst nach – und mit einer Rauminstallation um das japanische „Inyo“.
Frank Lassak: Pluspol und Minuspol sind im Magnetismus einander anziehende Entitäten, erscheinen in vielen der Arbeiten aber weit voneinander entfernt. Dahinter könnte man die Metapher vermuten, dass die Kraft des Magnetismus nicht ausreicht, um Dinge dauerhaft zu verbinden.
Maks Dannecker: Magnete können extreme Kräfte ausüben. Jeder Magnet hat selbst zwei Pole, die jeweils den am weitesten entfernten Ort zueinander einnehmen. Magnetische Kraft kombiniert Anziehung und Abstoßung, je nach Polarität. Magnetismus steht für Ordnung und Anordnung. Im Wesen des Magnetismus ist aber immer zugleich auch dessen Verfall, die Auflösung von Ordnung und das Eintreten von Unordnung und Chaos angelegt. Magnetismus ist nämlich zeitlich eine nur begrenzte Kraft, die teils sehr lange hält, aber irgendwann doch endet. Um dann neuen Ordnungen Platz zu machen.
Schloss Mitsuko
Kastanienallee 21
17168 Thürkow, Ortsteil Todendorf
Telefon: +49 (0) 173 – 9 65 88 11
E-Mail: mail@schloss-mitsuko.org
schloss-mitsuko.org
Titel zum Thema Schloss Mitsuko:
Japanische Tiergeister treffen im Museum Schloss Mitsuko auf den Klang des Lichts
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Ins Verhältnis gesetzt
Gastbeitrag: Ein Interview von Frank Lassak mit Maks Dannecker und Ralph Tepel zu ihrer Ausstellung "Special X Polarity" im Museum Schloss Mitsuko in Thürkow-Todendorf.
Alles auf und aus Papier
Ralph Tepel, Direktor des Museums Schloss Mitsuko, stellt die Highlights der aktuellen Ausstellung „paper works“ vor – und erläutert, warum das Museum ausgerechnet an einem so entlegenen Ort zu finden ist. Interview: Frank Lassak.
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