16 Uhr: zwischen der Künstlerin Cornelia Herfurtner und David Polzin im Rahmen der Ausstellung "Die Kids sind nicht alright!". Galerie Adlershof im Kulturzentrum Alte Schule | Dörpfeldstraße 54-56 | 12489 Berlin
Buchcover
Die Kunst muss kein Hort stiller Ergriffenheit sein. Merlijn Schoonenboom jedenfalls musste lachen, als er vor einigen Jahren auf eine Reproduktion von „Nymphes et Satyre“ stieß. Aus seiner damaligen Sicht, so der niederländische Kunsthistoriker und -kritiker, hatte er einen Ölschinken vor sich, „kunstgeschichtlich ein klares No Go“.
Doch das monumentale Gemälde von William Adolphe Bouguereau aus dem Jahr 1873, das sieben nackte Nymphen zeigt, die einen Satyr ins Wasser ziehen, ließ Schoonenboom nicht los. Nachdem er Werk und Künstler gegoogelt hatte, war seine Neugierde erst recht entfacht.
Vor allem die wechselvolle Rezeptions- und Rezensionsgeschichte von „Nymphes et Satyre“ faszinierte Schoonenboom. Während das Werk über Jahrzehnte verschollen war, hängt es heute im Clark Art Institute in Massachusetts.
Anfang der Sechziger inspirierte es Salvatore Dali zu einer spektakulären Aktion in New York. Dali, nicht eben ein Freund des abstrakten Expressionismus, versuchte die progressiven Strömungen der Zeit ad absurdum zu führen, indem er Bouguereau ¬in seinem Stil kopierte. Jackson Pollock imitierend, klatschte er binnen zehn Minuten Farbe gegen eine Leinwand – im Tausch gegen das Monumentalbild in altmeisterlicher Manier – bei dem es sich allerdings um eine Reproduktion handelte.
Inzwischen hat sich William Adolphe Bouguereau aus seiner Randposition innerhalb der Kunstgeschichte gelöst. Im bestimmten Internet-Gemeinden tobt ein regelrechter Hype um sein Werk. Vor allem in den USA hat er eine große Fangemeinde - sehr zum Befremden von Kunstliebhabern in Bouguereaus Heimatland Frankreich. Zu den Prominenten, die Werke von Bouguereau ihr Eigen nennen, zählen Sylvester Stallone, Mel Gibson und Demi Moore.
Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, doch umso mehr Schoonenboom sich mit der wechselhaften Wahrnehmung von „Nymphes et Satyre“ in den jeweiligen kulturellen Kontexten auseinandersetzte, desto mehr begann er, seinen eigenen Geschmack und seine akademische und kulturelle Prägung zu hinterfragen. Diese Reflektionen und Recherchen mündeten schließlich in seiner Publikation „Was ist schön? Wie unser Geschmack sich wandelt“.
Eine Buchpräsentation am 8. Oktober in der Niederländischen Botschaft mit anschließender Gesprächsrunde, moderiert von Anja Herzog (Kulturradio RBB), sollte diese Frage noch vertiefen. Gemeinsam mit Andreas Blühm, dem Direktor des Groninger Museums, und Renate Flagmeier, der leitenden Kuratorin des Berliner „Werkbundarchiv - Museum der Dinge“ diskutierte Schoonenboom darüber, wie und warum sich der Geschmack in der Kunst und Kultur ändert. Und wer letztendlich entscheidet, was Kunst ist und was Kitsch.
Von einem spannenden Versuch berichtete Andreas Blühm: Zwei Tage lang hatte das Groninger Museum die Jeff Koons Arbeit „Christ and the Lamb“ – gut bewacht – in der Parfümerieabteilung eines Kaufhauses aufhängt. Nachdem in den 1980iger Jahren Kitsch zur Kunst geworden war, sollte Kunst nun versuchsweise als Kitsch fungieren. „Voller Spannung haben wir gewartet, ob ein Kunstkenner das Original erkennt“, berichtete der Direktor. Doch zwischen Lippenstiften und Eau de Toilette blieb das millionenschwere Kunstwerk unbeachtet.
Während de Koons mit großem Publikumserfolg als Kitsch empfundene Objekte zu Kunstwerken inszeniert, löst sich das Werk des Künstlers Bouguereau zunehmend aus diesem Betrachtungsmuster. Der Kanon ist im Wandel, lässt Vielfalt zu. In der wissenschaftlichen Betrachtung, auf dem Kunstmarkt und in der öffentlichen Wahrnehmung.
Was also ist schön? Eine verbindliche und ewig gültige Antwort auf diese Frage erwartet heute kaum noch jemand. Vielleicht ist ja gerade das schön.
MERLIJN SCHOONENBOOM
WAS IST SCHÖN?
Wie unser Geschmack sich wandelt
Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas
21 × 13,5 cm | 264 Seiten
EUR 19,80
Argobooks 2018
ISBN: 978-3-942700-96-2
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