Von der philosophischen Disziplin der Erkenntnistheorie bis hin zu den bildwissenschaftlichen Überlegungen eines Hans Belting oder Gottfried Boehm - das >Sehen< wird seit der Antike in verschiedenen Kontexten thematisiert und analysiert. Als eine der wichtigsten Sinneswahrnehmungen, bildet es nicht nur die Grundvoraussetzung für die durch Bildkonsum gekennzeichnete Mediengesellschaft, sondern steht ebenso im Zusammenhang mit der Kunst und Kunstgeschichte. Das von Matthias Bruhn (Humboldt-Universität zu Berlin) und Kai-Uwe Hemken (Kunsthochschule Kassel) herausgegebene Buch >Modernisierung des Sehens. Sehweisen zwischen Künsten und Medien< skizziert, wie sich die Geschichte des Sehens ab dem 19. Jahrhundert entwickelt hat.
Ursprünglich als Ausstellungsprojekt angedacht, haben die beiden Herausgeber einundzwanzig Aufsätze rund um die Thematik des Blicks und des Sehens zusammengetragen. Das 374 Seiten starke Buch ist in die Kapitel >Modernisierungsprozesse<, >Blicke, Perspektiven<, >Bildauffassungen< und >Mediale Sehweisen< unterteilt und beinhaltet Texte von Kunsthistorikern, Literaturwissenschaftlern, Medienphilosophen, Ethnologen und Medienwissenschaftlern. Neben Matthias Bruhn und Kai-Uwe Hemken haben sich auch Jörg Jochen Berns, Hubert Locher, Wolfgang Kaschuba, Harald Wolter-von dem Knesebeck, Beate Fricke und Tanja Klemm, Pablo Schneider, Erna Fiorentini, Alfred Messerli, Stefan Greif, Victor I. Stoichita, Vera Dünkel, Ulrike Gärtner, Dirk Pörschmann, Kritsin Marek, Sabine Flach, Lorenz Engell sowie Stefan Heidenreich als Autoren an dem Buch beteiligt.
Ausgangspunkt für das Buch und den einleitenden Aufsatz von Matthias Bruhn ist eine Schrift des New Yorker Kunsthistorikers Jonathan Crary. Dieser hatte 1990 in >Techniken des Betrachters< untersucht, wie sich der visuelle Diskurs im 19. Jahrhundert durch Nicéphore Niépces Erfindung der Photographie im Jahre 1823 sowie durch die Entwicklung optischer Instrumente, durch medizinische und psychologische Forschung oder Licht- und Strahlen-Experimente zu verändern begann und das Sehen selbst zum Thema wurde. Neben der Beschreibung verschiedenster optischer Apparaturen und deren Auswirkungen auf das wahrnehmende Individuum, ging es Crary auch um die gesellschaftlichen Implikationen, welche die Modernisierung des Sehens mit sich brachte. So erläutert Bruhn: "Wenn die Entwicklung von und Gewöhnung an neue Medien des Sehens einen Modernisierungsschritt darstellt, dann wäre die Geschichte des Sehens, seiner Bedingungen und Techniken ein Teil einer Zivilisationsgeschichte, die aus Unterdrückungen und Befreiungsschlägen, Aufklärungen und Verdunklungen besteht." Kurzum: nicht nur die rein optischen Möglichkeiten bestimmen das, was gesehen und wahrgenommen werden kann - ebenso müssen bestimmte gesellschaftliche und kommunikative Voraussetzungen gegeben sein. Nur das was gerade für das diskursive Bewusstsein relevant ist, kann auch gesehen werden.
Ziel des Buches ist es nun, Crarys Befund durch epochenübergreifende Fallstudien weiterzuführen und zu hinterfragen. Die Aufsätze widmen sich verschiedenen Kunstformen und Darstellungstechniken wie z.B. denen von Olafur Eliasson (Sabine Flach) oder des ZERO-Künstlers Otto Piene (Dirk Pörschmann), thematisieren beispielsweise die Genese wahrnehmungsverändernder Apparaturen von der Camera Obscura bis hin zum Bildschirm (Jörg Jochen Berns) und schildern wissenschaftliche Forschungsergebnisse wie die anatomischen Untersuchungen Leonardo da Vincis (Beate Fricke und Tanja Klemm). Das Buch beleuchtet die komplexe Thematik des Blicks und des Sehens sehr ausgiebig und aus den verschiedensten Perspektiven und kommt so dem hauptsächlichen Anliegen der Herausgeber nach, denen vor allem daran gelegen ist, zu verdeutlichen, dass jede "Zeit ihre eigene Vielfalt an Sehweisen" besitzt und ihre eigenen Arten des Sehens oder Nichtsehens“.
>Modernisierung des Sehens. Sehweisen zwischen Künsten und Medien<
Hg. Matthias Bruhn, Kai-Uwe Hemken
transcript Verlag
ISBN 978-3-89942-912-1
374 Seiten, Paperback,
Preis: 29,80 EUR
Berlin Daily 03.12.2025
Gespräch über die Relevanz von Kunstpreisen
18 Uhr: im Rahmen des Marianne-Werefkin-Preis und UdK Berlin Art Award. Kommunale Galerie Berlin | Hohenzollerndamm 176 | 10713 Berlin
Ein Blick auf den Blick: "Modernisierung des Sehens. Sehweisen zwischen Künsten und Medien"
von Stefanie Ippendorf
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