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Berlin Daily 29.03.2024
CARDIAC; the heart is a muscle

19 Uhr: eine Performance, konzipiert und präsentiert von Katrina E. Bastian. Uferstudios_Studio 1 | Uferstr. 8/23 | 13357 Berlin

Was Sex so alles bedeuten kann

von Urszula Usakowska-Wolff (27.07.2019)
vorher Abb. Was Sex so alles bedeuten kann

Andrea Sunder-Plassmann, „Pas de deux“, 2010, Video, 5:52 min, Foto: Pilz Fotodesign

Die Gruppenausstellung Sex in der Galerie des Vereins Bildender Künstler nähert sich dem Thema aus der Perspektive von elf Künstlerinnen und sieben Künstler unterschiedlichen Alters.

Das Erste, was nach dem Betreten der Galerie ins Auge fällt, ist ein großes Tableau. Wie ein Mosaik bedeckt es fast die ganze rechte Wand; es besteht aus Fotografien offener Münder mit glänzenden roten Lippen, die etwas unheimlich und beunruhigend wirken. Für die 98-teilige Arbeit unter dem Titel Die Regensburger Domspatzen hat Jürgen Baumann (* 1958) singende Chorknaben jener Institution aufgenommen, die 2010 in die Schlagzeilen geriet, weil dort seit mehr als einem halben Jahrhundert Kinder und Jugendliche psychisch, körperlich und sexuell misshandelt wurden. Baumanns Domspatzen stehen stellvertretend für die über 500 Opfer, die lange Zeit über die ihnen angetane Gewalt geschwiegen haben oder nicht sprechen durften, denn die Reputation des Chores war wichtiger als ihr Wohlergehen.

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Sibylle Hoessler, „Anime Doll“, 2019, Fotomontage, 3-teilig, Ed. 2, je 29,7 cm x 42 cm mit Rahmen, Foto: Pilz Fotodesign

Sex mit vielen Fragen

Die Ausstellung Sex setzt sich mit diesem immer noch brisanten Thema auf vielfältige Art und Weise auseinander. Subtil, sensibel, zurückhaltend und manchmal nur in Form einer Andeutung zeigen die teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler die Lust und den Frust der Sexualität, sexuelle Traumatisierungen und Fantasien, den Cyber-Sex, den Sexismus, die sexuelle Dominanz als Machtausübung, den Hermaphroditismus und die Prostitution. Sie stellen Rollenklischees infrage und plädieren für ein gleichwertiges Miteinander.
Die sich über drei Räume erstreckende Sex-Schau ist mit 22 Arbeiten bestückt. Sie stehen sich nicht im Wege und erzählen Geschichten, denen man folgen kann, auch wenn sie manchmal vage erscheinen. Das ist nicht verkehrt, denn sie regen zum Denken an und provozieren Fragen. So zeigt die Gouache Im Hafen von Klaus Kossak (* 1954) ein Kind mit Bubikopf und entblößtem runden Bauch: Ist das ein Strichjunge oder ein schwangeres Mädchen? Was haben die Figuren der Zeichnerin Inge H. Schmidt (* 1952) erlebt, dass sie so verschwommen, defragmentiert und albtraumhaft erscheinen? Sind die Frauen, Männer und Kinder in der Videoinstallation Im Becken von Sandra Becker (* 1967) Symbole „sexistischer Rollenprägungen“ oder haben sie einfach Spaß beim Baden? Darf ein dem Schönheitsideal oder der eindeutigen geschlechtlichen Definition nicht entsprechender menschlicher Körper wie ihn Schlangenbader (* 1953) in der Zeichnung Reybö of DaDa und auf dem Bild Zwitter darstellt, sich selbstbewusst präsentieren? Ist die Hure, die Michael Augustinski (* 1946) mit Acryl und Kreide auf Hartfaserplatte unter dem Titel pórnē ars amatoria verewigt hatte, stolz darauf, dass sie in Ovids Kunst der Liebe einziehen darf oder ist das der rauchenden Nackten egal? Die analoge Fotografie Mary, make a date von Simone Kornfeld (* 1954) ist düster und beunruhigend, denn neben der telefonierenden Frau steht ein Rollstuhl, aus dem Beine einer Babypuppe herausragen. Unheil deutet sich an, weil nicht zusammengehörende Elemente, die zugleich symbolischen Charakter haben, nebeneinander stehen.


Gerd Pilz, „Cyber sex“, 2019, digitaler Bilderrahmen in Holzbox, 30 cm x 40 cm x 24 cm, Handys, Puppen, Sprüche, Foto: Pilz Fotodesign

Andere im ersten Raum der VBK-Galerie ausgestellten Arbeiten erklären sich fast von selbst. Da gibt es zwei künstlerische Positionen zum Thema Sex in Zeiten der Digitalität. Aus zwei Handys unterschiedlicher Größe, deren Bildschirme sich im Cyber Sex vereinen, besteht das Werk von Gerd Pilz (* 1957). Die dreiteilige Fotomontage Anime Doll von Sybille Hoessler (* 1960) zeigt, dass sich immer mehr Männer für den risikofreien Sex mit Puppen entscheiden. Echt ist das Geschlecht des Paares in der Videoinstallation Pas de deux von Andrea Sunder-Plassmann (* 1959), obwohl ihre Körper nur von der Nasenspitze bis zum Bauchnabel reichen. Sie atmen und dampfen wie in einer Sauna, während sie die leise engelhafte Stimme eines Countertenors begleitet. Franziska Rutishauser (* 1962) zeigt die Leuchtkasten-Installation It´s a boy mit der Fotografie der blonden und langbeinigen Barbie-Puppe, die gerade einen Jungen zur Welt gebracht hat. Hinter ihr wächst der Atompilz, verursacht durch den „Little Boy“, wie der Codename der ersten von den Amerikanern (über Hiroshima) abgeworfenen Atombombe lautete. Die den Geschlechtern zugeschriebenen Rollen konterkariert Ute Deutz (* 1970) in der Installation Kitchen Tails mit Sprüchen auf Küchenhandtüchern und Neonschriften: Dort ist die Frau zumindest verbal die treibende und dominierende Kraft, die aus den Männern Sexualobjekte macht.


Karla Woisnitza, „Einladung zum Essen“, 1985/2019, Objekt, (mixed media auf Pressspanplatte, Gold), 32 cm x 43 cm, VGBildkunst, Foto: Pilz Fotodesign

Bratensaft und Blumen des Bösen

In dem zweiten und dritten Raum der Gruppenschau sind Arbeiten versammelt, in denen Geist und Fleisch eine beglückende Beziehung eingehen, obwohl das auch, wie in dieser Ausstellung üblich, nicht immer eindeutig ist. Positive (sexuelle?) Energie strahlen die Bilder Jus de viande (Bratensaft) von Ute Faber und Bild 012 o. T. von Susanne Knaack (beide * 1962) aus. Sie scheinen harmonisch und sanft, wie Landschaften der Erinnerung oder innere Landschaften. Ebenfalls weitgehend abstrakt ist das Bild Vereinigung von Larissa Nod (* 1964), das wie das Symbol des sinnlichen und zärtlichen Liebesaktes wirkt. Um das Spiel zwischen den Geschlechtern, um das Verführen und verführt werden und um die zerstörerische Macht der Triebe geht es in der Installation Dunkles Blühn von Jens Reulecke (* 1960), zu der er von Baudelaires Gedichtzyklus Les Fleurs du mal inspiriert wurde. Große Wirkung hat das kleine Wandobjekt Einladung zum Essen von Karla Woisnitza, einer Künstlerin, die über eine genaue Beobachtungsgabe und eine gehörige Portion Humors verfügt, um treffend die Folgen langjähriger zwischenmenschlicher Beziehung darzustellen.

Schlichte Zeichnungen und Gedichte

Die von Franziska Rutishauser kuratierte Ausstellung über Sex und was er so alles bedeuten kann, ist nicht nur Genre-, sondern auch Generationsübergreifend: eine begrüßenswerte Entscheidung. Ihr ältester Teilnehmer, H. H. Zwanzig, Jahrgang 1943, zeigt die Arbeit Susanna im Bade. „Die ausgestellten Gedichte sind wie seine Bilder schlicht in ihrer Erscheinung und überraschend in ihrer ironischen Vielschichtigkeit“, informiert der Wandtext. Die Betrachterinnen können darüber nur den Kopf schütteln, es sei denn, sie mögen solche (und viele ähnliche) Verse aus dem Repertoire des „konzeptionell arbeitenden Künstlers“: „Das Mädel war ein fesches Ding, / das immer ohne Höschen ging, / das immer ohne Höschen ging / und mit dem Hintern Fliegen fing“, heißt es am Ende dieses lyrischen Ergusses unter dem Titel Nachts im Walde zu singen.

Sex
bis 11. August 2019
Galerie Verein Berliner Künstler
Schöneberger Ufer 57, 10785 Berlin
Di-Fr 15-19 Uhr, Sa-So 14-18 Uhr, Eintritt frei
Sonntag, 28. Juni, 17 Uhr: Vortrag Sex Sells von Inge Bell
www.vbk-art.de

Urszula Usakowska-Wolff

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