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„Eine Galerie ist ein besonderer Ort für einen Hilfsbuchhalter“

von Frank Lassak (02.05.2025)


„Eine Galerie ist ein besonderer Ort für einen Hilfsbuchhalter“

Julius Deutschbauer, "Bibliothek ungelesener Bücher" in Wien, Foto: efacts photography

Seit gefühlt drei Ewigkeiten ist Julius Deutschbauer im Kunstbetrieb aktiv: als Maler, Autor von Theaterstücken, Plakat- und Performance-Künstler – zumeist mit politischen Inhalten. Im Gespräch mit Frank Lassak verrät der 64-jährige Österreicher, was ihn seit Langem nach Berlin zieht, wo ab 2. Mai seine „Bibliothek ungelesener Bücher“ in der Galerie Ebensperger zu sehen ist.

Frank Lassak: Niemand kommt als Künstler zur Welt. Welches Erweckungserlebnis hat bei dir dazu geführt, Julius?

Julius Deutschbauer: Nachdem ich eine Ausbildung zum technischen Zeichner und Kanalvermesser in Klagenfurt abgeschlossen hatte, zog es mich hinaus in die Welt. Die begann damals in Lienz, Osttirol. Nach zwei Jahren nahm ich dann an, dass die Welt in Wien noch interessanter sein könnte, also übersiedelte ich dorthin und begann als Hilfsbuchhalter in einer Kunstgalerie.

Lassak: Eine prägende Zeit?

Deutschbauer: Auf jeden Fall eine Weichenstellung. Eine Galerie ist ja ein besonderer Ort für einen Hilfsbuchhalter.

Lassak: Inwiefern?

Deutschbauer: Die Zahlen, mit denen man für gewöhnlich als Buchhalter zu tun hat, treten allmählich in den Hintergrund, und das Wichtige steht dann vorn: die Kunst und jene, die sie erschaffen. Das waren Leute wie Franz West, Oswald Wiener, Martin Kippenberger oder Gerhard Rühm, mit dem ich noch heute gut befreundet bin.

Lassak: Und der schon mehrmals in deiner Bibliothek ungelesener Bücher zu Gast war, die seit vielen Jahren an diversen Orten zu sehen ist.

Deutschbauer: Ja, mit den Büchern bin ich schon seit 1997 unterwegs. Rühm hat in der Bibliothek öfters vorgelesen, etwa in Stuttgart und Köln. Nach Berlin kann er leider nicht kommen.

Lassak: Autorinnen und Autoren oder auch andere Literaturbegeisterte kommen also in deine Bibliothek – eine Art mobile Installation – und lesen dem Publikum aus Büchern vor, die zuvor ungelesen waren?

Deutschbauer: Genau. Sie erbarmen sich des Druckwerks, das seinem Dasein als Staubfänger im Wohnzimmerregal auf die eine oder andere Weise entkommen konnte, und hauchen ihm neues Leben ein. Zumindest für die Dauer der Lesung.

Lassak: Gibt es dafür eine Anleitung?

Deutschbauer: Nur im Notfall. Die Lesenden haben ja lesen gelernt. Und fast alle Gäste können zuhören.

Lassak: Manche müssen sich parallel mit Handarbeiten beschäftigen. Reichen Lesen und Zuhören nicht aus?

Deutschbauer: Die Schnittmenge von Lesekreis und Handarbeitszirkel ist größer, als man gemeinhin vermutet. Manche nutzen die Veranstaltung auch als Gelegenheit, ihre Multitasking-Fähigkeiten zu testen. Das Konzept ist übrigens eher zufällig in einem Museum in Bergisch Gladbach entstanden. Als die Bibliothek dort gastierte, trafen sich regelmäßig Leute, setzten sich zwischen die Bücherregale und begannen zu stricken: Socken, Handschuhe und allerlei andere Dinge.

Lassak: Kleine Fluchten …

Deutschbauer: ... die obendrein die Möglichkeit boten, sich mit eigenen Texten einzubringen, nicht nur mit Strickutensilien.

Lassak: Die Gäste lesen auch vor?

Deutschbauer: Wer will, darf. Ich lege allerdings vor den Veranstaltungen ein Motto fest, etwa ein bestimmtes Wort. Neulich war es das „Ach“. Da kam dann viel von Kleist, der das Wort in seinen Stücken sehr oft verwendet hat. Es gibt ohnehin kaum Lyriker, die ohne Ach auskommen.

Lassak: Ach so?

Deutschbauer: Nicht jedes Ach ist lyrisch.

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Julius Deutschbauer, Foto: efacts photography 2025

Lassak: Wenn alle ungelesenen Bücher der Bibliothek gelesen sind – was passiert dann mit ihnen?

Deutschbauer: Viele bleiben tatsächlich ungelesen. Die gelesenen wandern zurück ins Regal und warten darauf, dass jemand sie erneut herausnimmt. Wie oft das geschieht, weiß ich nicht, denn über solche Vorfälle führe ich nicht Buch. Es gibt zwar Kunstschaffende, die alles notieren. Aber der Gedanke, alles aufzeichnen zu müssen, ermüdet mich. Ich lese stattdessen lieber einen Roman.

Lassak: Vom Bücherretten und Romanlesen allein lässt es sich vermutlich nicht leben. In erster Linie befasst du dich seit Langem mit Plakatkunst. 2023 waren alle in den vorangegangenen 30 Jahren von dir produzierten Plakate im Museum für Angewandte Kunst in Wien zu sehen. Was fasziniert dich an dem Medium?

Deutschbauer: Die meisten dieser inzwischen 217 Plakate sind Selbstporträts – oder Porträts, auf denen ich mit meinem damaligen Künstlerkollegen Gerhard Spring, gelegentlich auch mit anderen Personen abgebildet bin. Da sie mehr oder minder alle einen zeithistorischen Kontext haben und politische und gesellschaftliche Themen behandeln, fungieren die Plakate gleichsam als Chronik meines Schaffens im Wandel der Zeiten.

Lassak: Oder als Chronik der Zeiten im Wandel deines Schaffens?

Deutschbauer: Absolut. Wobei sich mein Schaffen im Lauf der Jahre tatsächlich gewandelt hat. Was damit zu tun haben könnte, dass ich – entgegen allen Erwartungen – inzwischen ein paar Jahre älter geworden bin. Mag sein, dass ich deshalb zu den Aussagen einiger früherer Plakate heute nicht mehr stehe. Manche halte ich auch nicht mehr für besonders gelungen.

Lassak: Und die verschwinden dann still und heimlich?

Deutschbauer: Im Katalog sind alle zu sehen – auch die, mit denen ich mir Ärger eingehandelt habe.

Lassak: Wie konnte das passieren?

Deutschbauer: Nicht alle Leute sind mit der Art und Weise einverstanden, wie ich Themen – oder auch Personen – parodiere. Erwin Wurm etwa grämte sich über das 2002 entstandene Plakat „Wurmfortsatz“ so sehr, dass er Klage einreichte, sie aber am Ende wieder zurückzog. Und auch der „Antifaschismus Vergnügungspark“, der 2005 in den Sophiensaelen zu sehen war und von der Bundeszentrale für Politische Bildung unterstützt wurde, sorgte für heftige Kritik. Dabei hatten wir den Gästen nach der Schau sogar Antifaschistennachweise ausgestellt. Trotzdem gab es massive Proteste, und die Jüdische Kultusgemeinde setzte schließlich durch, dass die Ausstellung vorzeitig abgebaut wurde.

Lassak: Seither sind 20 Jahre vergangen, aber das Thema Faschismus ist nicht vom Tisch – im Gegenteil. Arbeitest du dich weiterhin daran ab?

Deutschbauer: Selbstverständlich. Ich habe jedoch festgestellt, dass es heute schwieriger ist als vor 20 Jahren, dieses Thema, wie auch einige andere, mit derselben Schärfe und Ironie zu bearbeiten. Bisweilen kommt es vor, dass Werke in Ausstellungen verdeckt werden, weil sich Besucherinnen oder Besucher beschweren. In Österreich geschieht das seit rund 25 Jahren immer öfter. Während der Nullerjahre gab es sogar eine Anweisung des Kulturstaatssekretärs, dass Ausstellungen von Gerhard Spring und mir keine öffentliche Förderung mehr bekommen sollten. Das habe ich aber erst viel später erfahren.

Lassak: War es die ungemütlicher werdende Atmosphäre, die dich aus Wien nach Berlin getrieben hat?

Deutschbauer: Nicht wirklich. Außerdem lebe ich ja weiterhin in Wien. Aber als Patrick Ebensperger, in dessen damaliger Galerie in Graz ich lange Zeit ausgestellt habe, nach Berlin ging, war es die Treue zum Galeristen, die mich ihm folgen ließ. So zeige ich nun seit vielen Jahren regelmäßig meine Arbeiten in Berlin. Zudem bin ich hier mit einigen Leuten gut befreundet.

Lassak: Also keine politischen Gründe?

Deutschbauer: Nein. Letztlich sind politische oder gesellschaftliche Entwicklungen, wie sie gerade in Österreich stattfinden, für meine Kunst eher befruchtend: Ich werde morgens wach, schaue in die Zeitung – und im Nu habe ich ein Thema für ein neues Plakat entdeckt.

Lassak: Auch eine Art von Künstlerförderung.

Deutschbauer: Ach.


Ausstellung:
Julius Deutschbauer – Bibliothek ungelesener Bücher

3. Mai – 13. Dezember
Eröffnung: 2. Mai, 18–20 Uhr

Ebensperger
Fichtestraße 6
10967 Berlin
www.ebensperger.net

Frank Lassak

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