Detailansicht: Céline Condorelli, Play for Today
Foto: Camille Blake


Der Gropius Bau will sich zukünftig dem Spielen in seiner gesellschaftspolitischen Dimension widmen. Als Auftakt der Neuausrichtung ist ein großzügiges Spielfeld – Spielgrund – Spielplatz neben dem imposanten Ausstellungshaus installiert worden. In einem Programmheft wird der Kurswechsel damit erklärt, dass unsere Gesellschaft experimentelle Orte braucht. Der Kunsttempel benötigt also eine Erklärung und begnügt sich nicht mit guter Laune und quietschfideler Stimmung.

Es gibt einen Überbau. Politisch. Gesellschaftlich. So betreten wir das offene Feld. Keine Beschilderung, keine Grenzziehung, kein Zaun und vor allem: Kein Eintrittsgeld. Jede*r ist willkommen.

Zwischen den Bäumen befinden sich über 10 Stationen, teils in eigenen Holzpavillons. Céline Condorelli baut für „Play for Today“ (2021/2024) eine Tribüne, davor ein Feld, wo sich bunte Spielfeldlinien überlagern, die unterschiedliche Sportarten markieren. Daneben notiert sind Jahreszahlen, wann Frauen an diesen Sportarten erstmals in offiziellen Turnieren teilnehmen durften. Der Status von Trans-Athlet*innen ist bis heute ungeklärt. Wer darf also mitspielen?

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Detailansicht: oracio Cadzco, Hamedine Kane, Boris Raux, Stéphane Verlet-Bottéro und Stella Flatten,The School of Mutants
Foto: Camille Blake


Kinder rennen von A nach B. Die Pavillons sind luftig offene Holzgerüste und möblieren den Ort – temporär, improvisiert und es wirkt, als seien die Stationen vollkommen frei angeordnet. Das steckt an. „The School of Mutants“ von Horacio Cadzco, Hamedine Kane, Boris Raux, Stéphane Verlet-Bottéro und Stella Flatten (2024) ist ein kreisförmiger Bau in dessen Mitte eine Ausgrabung stattfindet. Tiefe Löcher im Boden, an den rosa Wänden sind Schaufeln und Werkzeuge. Einige Leute beginnen mit den Gerätschaften zu buddeln, die Kinder sind entzückt. Speaker – zu erkennen an farbenfrohen T-Shirts – stoppen die muntere Inbetriebnahme: Das sei nicht erlaubt. Die Werkzeuge müssen an den Wänden bleiben, die Löcher dürfen nicht tiefer gehen. Das Setting schafft Atmosphäre, doch buddeln und graben können die Leute nur in einem vergleichsweise kleinen Sandhaufen am Rand. Radical Playground war von den Künstler*innen wohl mutiger gedacht, Auflagen von Stadt, Land, Regierung, Museum haben viele Ansätze ausgebremst. Somit laden die Stationen zum Spielen ein, ähneln aber plötzlich einem musealen Exponat. Speaker erklären, was wie genutzt werden darf und schon ist der Spieltrieb wieder domestiziert. Ein hartes Urteil, doch vor allem beobachte ich das Ausbleiben einer Reaktion, einer Zielsetzung, eines Anreizes: Da ist ein riesengroßer Sandkasten. Ich darf an einer Stelle rumbuddeln. Unklar ist jedoch, warum ich das eigentlich machen soll.

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Detailansicht: Yvan Pesstalozzi, Lozziwurm
Foto: Camille Blake


Gabriela Burkhalter veranschaulicht in ihren Recherchen zur Geschichte des Spielplatzes seit 1880 in Kurztexten und historischen Fotografien, wie sich der Spielplatz als "soziales Labor" entwickelt hat. In dem ringförmigen Bau wird erzählt, dass Kinder einstmals über mehr Freiflächen verfügten. Mit dem Auto und Straßenverkehr haben sie ihre Orte verloren und Planer*innen konzipierten künstliche Spielstätten.
Mittig des Ringes befindet sich der „Lozziwurm“ von Yvan Pesstalozzi (1972), einer gelb-roten Röhre, durch die Besucher*innen krabbeln können. Vereinzelt tritt hier diese wundersame Stimmung auf, wenn Menschen frei und ohne Regeln beginnen zu spielen. Besonders gelingt dies bei einem meterhohen Haufen Heuballen mit Maya-Symbolen von Edgar Calel. In „Jun Juyu Juxui / Ein Berg von Zeichnungen“ (2024) geht es zwar um einen achtsamen Umgang mit Material und Natur. Doch vor allem motiviert die feste, aber instabile Struktur zum Hochklettern. Ganz ähnliche Vibes schafft die Tanzfläche von Alice Chauchat und DJ Manuela, wo immer wieder Menschen spontan zusammenkommen und tanzen. Die gesamte Ausstellung wirkt wie ein farbenfrohes Frühlingsfest unter Schirmherrschaft des Gropius Bau. Ausgelassen und offen, familienfreundlich. Schlagworte wie Radikalität oder Aktivismus scheinen wie eine Rechtfertigung vor den grassierenden politischen Katastrophen. Spielen, einfach so ist wohl zu dünn. Warum eigentlich?

Radical Playgrounds: From Competition to Collaboration
Ein Kunstparcours am Gropius Bau

Künstler*innen: Edgar Calel, Alice Chauchat, Céline Condorelli, Massimo Furlan, Florentina Holzinger, Ingela Ihrman, Martin Kaltwasser, Agnieszka Kurant, Joar Nango, Vitjitua Ndjiharine, The Playground Project, Tomás Saraceno, Mariana Telleria, The School of Mutants, Irad Verkron, Raul Walch

Kuratiert von Joanna Warsza und Benjamin Foerster-Baldenius
Architektur: raumlaborberlin

www.berlinerfestspiele.de

27. April - 14. Juli 2024

Parkfläche am Gropiusbau
Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin
Öffnungszeiten: Mi - So 11:00 bis 20:00 Uhr