Der Preis der Nationalgalerie existiert seit dem Jahr 2000 und richtet sich an Künstler:innen, die in Deutschland leben und arbeiten. Zum Zeitpunkt der Nominierung dürfen sie nicht älter als 40 Jahre sein. Bisher wurde eine Person aus einer Vorauswahl von vier Künstler:innen ausgewählt. Ab 2024 werden alle vier Nominierten ausgezeichnet und in einer Gruppenausstellung im Hamburger Bahnhof mit jeweils einer neuen Arbeit präsentiert. Diese wird dann für die Sammlung der Nationalgalerie angekauft.
Die vier Preisträger:innen 2024 sind Pan Daijing. Dan Lie. Hanne Lippard. James Richards.
Vier Positionen statt einer – das ist eine gute Entscheidung. Es scheint notwendig, um die aktuelle Situation adäquat abzubilden.
Alle gezeigten Arbeiten verorten den Menschen in einem System seiner Umwelt: dem Sprachsystem, dem audiovisuellen System, dem ökologischen System und dem Medien- oder Bildsystem.
Jeden Morgen, wenn ich in meiner täglichen Routine an der Synagoge am Kanal vorbeigehe, sehe ich die in Schutzhüllen präsentierten Fotografien der am 7. Oktober 2024 entführten israelischen Geiseln. Es sind Portraitfotografien von Israelis, wie man sie sich vielfältiger, unterschiedlicher, lebensbejahender und fröhlicher kaum vorstellen kann. Und jedes Mal hinterlassen die Bilder einen tiefen Eindruck.
Eine Arbeit von Hanne Lippard besteht aus einem Klangstück aus sieben Lautsprechern, in dem sie Texte spricht und diese gleichzeitig, z.B. in Wiederholungen, untersucht. Token, Wörter, Grammatik und Bedeutung werden thematisiert, und damit ist diese Arbeit für westliche Verhältnisse sicher die interessanteste in einer Zeit, in der Sprache in großen Systemen, den Large Language Models, auf ihre Welthaltigkeit und Konstitution geprüft wird. Hier zeigt sich eine künstlerische, menschliche Sicht auf Sprache, die den Unterschied zu computergestützten Systemen deutlich macht.
Pan Daijing ist eine chinesische Künstlerin, Komponistin und Performerin, die eine immersive Raum-Klanginstallation „After Fugue“ präsentiert, in der sich die Betrachtenden sehend und hörend in Grenzbereichen neu erfahren. Minimalistisch, beeindruckend wie ihre Arbeit in München: Pan Daijing. Mute www.art-in.de
Drei weitere Arbeiten von James Richards beschäftigen sich mit der allgegenwärtigen Bilderflut und ihren Auswirkungen auf das menschliche Dasein. Sie hinterfragen die permanenten visuellen und auditiven Reize. Es gehört zu James Richards Praxis, mit anderen Künstler:innen zusammenzuarbeiten. In dem Video und Collagen werden Archivmaterial aus verschiedensten Quellen, z.B. dem Internet oder historischen Quellen, mit selbst geschaffenen Inhalten kombiniert.
Dan Lies großformatige Installation „The Reek“ besteht aus organischen Materialien und schafft ein künstlerisches ökologisches System im Museumsraum. Während derzeit vor allem in angloamerikanischen Podcasts intensiv wissenschaftlich über Stoffwechsel, Proteine, Aminosäuren im Sinne eines langen, gesunden Lebens diskutiert wird, veranschaulicht Dan Lie Zeit und Vergänglichkeit anhand von Wachstums- und Zerfallsprozessen. The Reek ist eine von Lie's „living-and-dying installations“. Die Installation arbeitet auch auf olfaktorischer Ebene. Gerüche, die bei bestimmten Prozessen entstehen, sind Teil der Installation und sollen beim Betrachten Erinnerungen und Gefühle hervorrufen. Die Installation arbeitet auf mehreren Ebenen gegen die Erwartungen an museale Objekte, sie präsentiert natürliche und kulturelle Materialien in einem Kontext, der an kultische Praktiken erinnert.
Der Kunstpreis selbst, als Ereignis und biographische Notiz, wird sich sicherlich auch in Zukunft weiter verändern.
Preis der Nationalgalerie 2024. Pan Daijing, Dan Lie, Hanne Lippard und James Richards
7. Juni 2024 – 5. Januar 2025
Eine Sonderausstellung der Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin
Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart
Invalidenstraße 50/51, 10557 Berlin-Mitte
www.smb.museum








