Es gibt Ausstellungen, die laden geradewegs zur Betrachtung einzelner Werke ein. Und es gibt Ausstellungen, die einen Moment des Innehaltens auslösen. Und dann gibt es Ausstellungen, die einen Moment des Innehaltens auslösen und einen starke Wirkung auf die Wahrnehmung entfalten.
Mariechen Danz‘ (*1980 in Dublin, lebt in Berlin) Ausstellung edge out gehört zu Letzteren: Gerade hat man die große Eingangshalle der Berlinischen Galerie betreten, da muss man erst einmal haltmachen. Das alles will zunächst als Ganzes erfasst werden, bevor sich der Blick aufs Kleine richtet. Phase eins der Betrachtung der Kunst von Mariechen Danz: Orientierung.
Die Komposition edge out umspielt den Raum – seine hohen Wände, den Boden und seine Ecken – nimmt ihn geradezu ein und lässt Licht und Schatten für sich arbeiten. Die einzelnen Werke stehen für sich und sind hier doch Fragmente eines größeren Ganzen, das es zu entdecken gilt. Dabei wird der Wahrnehmung immer wieder ein Schnippchen geschlagen – Phase zwei: Desorientierung. Was auf den ersten Blick zu sein scheint, ist doch nicht und was ist, wird schließlich infrage gestellt. Vermeintliche Schattenwürfe entpuppen sich als graue Wand- und Bodenzeichnungen, und was vorgibt, ein Objekt zu sein, ist nur dessen Abbildung.

edge out versammelt wesentliche Elemente der künstlerischen Praxis von Mariechen Danz und gibt einen Einblick in ihre ganz eigene Bildsprache, die Anleihen in der Kartografie, Geologie, Technologie, Anatomie und Astronomie macht. In der raumgreifenden Inszenierung ist der menschliche Körper allgegenwärtig: Abformungen seiner Fußsohlen laufen die Wand entlang, sein Umriss erscheint in stark abstrahierter Form als Aluminiumplatte und immer wieder tauchen einzelne Organe auf: Als Negativform in Ziegelsteinen, als skulpturale Formen, grafische Darstellungen und Schattenspiele. Und dann sind da noch die Körper der Besuchenden, die Teil dieser Installation werden.
Ja, der Körper spielt hier die Hauptrolle, hat seinen Doppel-Auftritt als Objekt wissenschaftlicher Untersuchung und als Instanz der Wissensaneignung und -vermittlung. Als fehlbare Instanz allerdings, denn sein erfahrungs- und kommunikationsbasiertes Wissen, das er gerne als objektive Wahrheit weitergibt, ist subjektiv und anfällig für Missverständnisse, Falschannahmen und Fehler.
Dass sich Wissen nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene ständig verändert, demonstriert Danz beispielsweise in den Arbeiten der Serie Ore Oral Orientation: Modular Mapping System (2017-2024). Die Aluminiumplatten wurden nach dem Vorbild existierender Schablonen aus der elektronischen Informations- und Datenübertragung gestanzt und mit Details historischer Weltkarten und anatomischer Zeichnungen bedruckt. Auf diese Weise rekurrieren die Arbeiten auf sich transformierende Weltbilder und entlarven vermeintlich objektives Wissen als dynamischen Prozess, der immer wieder Veränderungen hervorbringt. Phase drei, Erkenntnis eins: Wissen verändert sich durch das Einnehmen neuer Perspektiven. Phase drei, Erkenntnis zwei: Wenn wir das über unser Wissen wissen, dann wissen wir viel.
Die Ausstellung findet im Rahmen der Verleihung des GASAG Kunstpreises 2024 an Mariechen Danz statt. Der Preis wird alle zwei Jahre an eine künstlerische Position vergeben, die an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Technik arbeitet.
Ausstellungsdauer: 13.9.24 – 16.6.2025
Öffnungszeiten
Mi – Mo 10 – 18 Uhr
Dienstags geschlossen
Berlinische Galerie
Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur
Alte Jakobstraße 124 – 128
10969 Berlin
berlinischegalerie.de