Anzeige
Boris Lurie

logo art-in-berlin.de
Berlin Daily 26.04.2024
Lesung mit Jan Kollwitz

19 Uhr: An­läss­lich des To­des­ta­ges von Käthe Kollwitz liest ihr Urenkel aus den Brie­fen und Ta­ge­bü­chern seiner Ur­groß­mut­ter. Käthe-Kollwitz-Museum | Spandauer Damm 10 | 14059 Berlin

Grüne Kontaktaufnahme: Pflanzen gegen das Anthropozän

von Hanna Komornitzyk (11.11.2020)
vorher Abb. Grüne Kontaktaufnahme: Pflanzen gegen das Anthropozän

Zheng Bo, Garden (Lane 62, Zhaojiabang Road), 2015, Zheng Bo, Courtesy: der Künstler; Edouard Malingue Gallery

Pünktlich zur temporären Schließung spricht Künstler und Theoretiker Zheng Bo im Rahmen seines Residenzprojekts “Botanical Comrades 植物同志” für den Gropius Bau mit den Biolog*innen Regine Hengge, Roosa Laitinen und Matthias Rillig über das politische Potenzial von Pflanzen in einer menschgemachten Welt.

Der Südplatz hinter dem Gropius Bau im August 2020: Entlang zweier schräg aufeinander zulaufenden Hochbeete wachsen Wildkräuter, Salat, Gräser und Gemüse im Akkord. Die Flächen sind anlässlich des Sommerprogramms Down to Earth auf zwei Bänken etwa in Höhe eines Bartresens angebracht – es fällt leicht, die wild durcheinander wachsenden Pflanzen auf Augenhöhe eingehend zu betrachten, ihre Merkmale zu studieren, Vertrautes zu entdecken. Für die Ausstellung Garten der irdischen Freuden nehmen Mitte 2019 Farne einen Raum des Museums ein: Umgeben von vier Monitoren scheinen sie auf Kantsteinen in Formation zu stehen. Betrachtende sind aufgefordert, ihre eigene Zeichnung der Pflanzen zu hinterlassen. An den Wänden hängen von Hand kopierte Auszüge eines taiwanesischen Leitfadens aus den 1940er Jahren, der pflanzliche Nahrungsquellen der Wildnis dokumentiert. Vier Filme laufen in Dauerschleife auf den Bildschirmen: In beizeiten hocherotischen Szenen nähern sich sechs nackte Protagonisten dem sie umgebenden Wald.

Zheng Bo stammt aus Beijing und hat sich vor einigen Jahren auf die grüne Insel Lantau vor der Küste Hongkongs zurückgezogen. In seinen Arbeiten widmet sich der Künstler nicht allein der Beziehung zwischen Mensch und Pflanzen, sondern er gesteht letzteren vielmehr eine Identität zu. Ohne ironischen Unterton macht er sie zu Akteur*innen in einer durch den Menschen bestimmten Welt: Seine Performance während der Biennale in Venedig ist eine Anleitung zu Sex mit Pflanzen, bereits zuvor definierte die fortlaufende Reihe Pteridophilia sie als aktiven Teil der eco-queeren Bewegung. Ebenso wie die Wahrnehmung von Sexualität als ein nicht-normatives und non-binäres Spektrum fordern queere Aktivist*innen eine multiperspektivische Betrachtungsweise von Ökologie. Davon ausgehend, dass eine anthropozentrische Weltsicht nicht nur der Umwelt, sondern auch dem Menschen schadet, beschäftigt sich Bo seit Beginn des Jahres 2020 als Resident Artist für den Gropius Bau mit dem politischen Potenzial von Pflanzen. Grundlage für sein Projekt Botanical Comrades 植物同志 sind Gespräche mit Wissenschaftler*innen aus Ökologie, Anthropologie und Philosophie. Vor Ort setzt eine Veranstaltungsreihe Teilnehmende, zeitlich abgestimmt auf neu beginnende Phasen des ostasiatischen Lunisolarkalenders, in einen Diskurs, der seine künstlerische Praxis weiterführt. Zeichenkurse, Leserundgänge und Workshops fordern eine Interaktion mit den botanischen Kamerad*innen, die eine Annäherung und letztendlich einen Perspektivwechsel bedingt.


Zheng Bo, 2015, © Foto: Jiang Chao

Im Zuge der erneuten Schließung verweisen Museen und Galerien in diesem Monat auf alternative Konzepte und Perspektiven: Vielmehr als im Frühjahr haben die nun entstehenden digitalen Formate jedoch nicht den Anspruch, einen Museumsbesuch zu ersetzen. Oft bieten sie Hintergründe und neue Sichtweisen zu aktuellen Ausstellungen, sie stoßen aber auch Diskurse an, die für den Kulturbetrieb und über ihn hinaus relevant sind. So ist auch der vierstündige Livestream zur Reihe Plants Practice Politics vom 7. November nicht mit einem Besuch im Gropius Bau gleichzusetzen. Umgeben von Pflanzen spricht Zheng Bo zunächst mit der deutschen Mikrobiologin und Molekularbiologin Regine Hengge, die sich eingehend mit den Aktivitäten diverser Bakterienstämme beschäftigt hat. Den Einstieg bildet jener Fachbegriff, der laut Bo sein Interesse an Pflanzen geweckt hat: Unter quorum sensing wird die Fähigkeit von Einzellern beschrieben, mittels chemischer Kommunikation die Zelldichte einer Population zu messen. Sie können so bestimmte Gene beliebig ein- und ausschalten. Hengge erklärt, dass es in wissenschaftlichen Kreisen erhebliche Diskussionen zu diesem Begriff gab, der eigentlich aus dem Bereich der Politik stammt – es sei aber gerade dieser Tatsache geschuldet, dass sich quorum sensing für den Informationsaustausch von Bakterien durchsetzte und über die Fachpresse hinaus verbreitete. Hengges Einwurf verdeutlicht ein wichtiges Prinzip, auf dem auch ein Großteil von Zheng Bos künstlerischer Praxis basiert: Persönlicher Bezug – der einen erheblichen Einfluss darauf hat, welche Relevanz wir einem Thema beimessen und wie sehr uns dieses berührt – kann durch eine allgemein gültige und zugängliche Sprache entstehen.

Im Laufe des Gesprächs zwischen Hengge und Bo werden immer mehr Bezüge zwischen Kunst, Gesellschaft und Wissenschaft sichtbar: Auch Soziologe Bruno Latour, dessen Akteur-Netzwerk-Theorie bereits Ausgangspunkt für das Sommerprogramm des Gropius Baus war, wendet sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit immer mehr der Biologie zu. Laut Latour besteht die Hauptaufgabe des Menschen im 21. Jahrhundert darin, sich wieder in bestehende Ökosysteme zu integrieren. Roosa Laitinen, ihrerseits Arbeitsgruppenleiterin für Molekulare Mechanismen der Anpassung von Pflanzen am Max-Planck-Institut, erklärt, wie sich die gleichen Pflanzengattungen in ihrer Größe an Wetterbedingungen und Temperaturen ihrer Umgebung anpassen. Ihre Forschungsgruppe geht in diesem Zusammenhang der Frage nach, ob die Plastizität von Pflanzen genetisch bedingt ist. Bei der abschließenden Diskussionsrunde beschreibt Matthias Rillig vom Dahlem Centre of Plant Sciences der Freien Universität Berlin eine Problematik, mit der sich Wissenschaftler*innen in ihrer Arbeit immer wieder konfrontiert sehen: Schon während ihres Studiums lernen sie, Distanz zum Objekt ihrer Forschung zu wahren. Während diese Vorgehensweise für die professionelle Arbeit entscheidend ist, so macht gerade Zheng Bos Diskurs eine Lücke in der Beziehung zu unserer Umwelt sichtbar. Als Menschen sehen wir uns getrennt von der uns umgebenden Natur – um sie schützen und eine drohende Klimakatastrophe noch abwenden zu können, ist es jedoch essentiell, sie wieder als Teil unserer selbst zu akzeptieren.

Hanna Komornitzyk

weitere Artikel von Hanna Komornitzyk

Newsletter bestellen




top

Titel zum Thema Gropius Bau:

Nutzen steht für Infizieren. General Idea im Gropius Bau
Wer die Ausstellung noch nicht gesehen hat, dem bietet sich heute die letzte Gelegenheit ...

Gropius Bau: Wo Prothesen schweben
Dieses Wochenende bietet sich die letzte Gelegenheit, die Ausstellung „YOYI! Care, Repair, Heal“ zu sehen.

Von der Kälte der Gegenwartskultur: The Cool and the Cold im Gropius Bau
Letztes Ausstellungswochenende: “The Cool and the Cold” bringt Malerei aus den USA und der UdSSR von 1960 bis 1990 aus der Sammlung Ludwig zusammen. Banal – und doch irgendwie Zeichen unserer Zeit.

Kann der Gropius Bau gequeert werden?
Ein Gespräch zwischen Maximilian Wahlich und Sophya Frohberg über die aktuelle Ausstellung "Zanele Muholi" im Gropius Bau.

Mein Freund der Baum ist tot. Ein Interview mit Zheng Bo
Nur noch ein paar Tage ist die Ausstellung Wanwu Council 萬物社 von Zheng Bo im Gropius Bau zu sehen. Wir haben den Künstler zu seinen Arbeiten befragt.

SERAFINE1369 und Ana Prvački: neue Artists in Residence 2021/22 im Gropius Bau
Kurzinfo: Nach dem letztjährigen Artist in Residence, Zheng Bo, und seinen seine Recherchen zur Politik der Pflanzen folgen jetzt SERAFINE1369 und Ana Prvački.

Die Ausstellung Masculinities: Liberation through Photography im Gropius Bau
Die Ausstellung wurde bis zum 17. März 2021 verlängert.

Grüne Kontaktaufnahme: Pflanzen gegen das Anthropozän
Pünktlich zur temporären Schließung spricht Künstler und Theoretiker Zheng Bo im Rahmen seines Residenzprojekts “Botanical Comrades 植物同志” für den Gropius Bau mit ...

Künstler*liste Masculinities in unserer Datenbank


Aus unserem Archiv: Hermann Nitsch in Berlin
2006 gab es erstmals auf art-in-berlin auch Videos zur zeitgenössischen Kunst zu sehen. Eines der ersten war zu Hermann Nitsch "Orgien-Mysterien-Theater" im Gropius Bau. Noch etwas holprig im Ton, trotzdem sehr informativ.

Ausstellung von Yayoi Kusama verschoben
Kurzinfo: Der Gropius Bau verschiebt seine ursprünglich für diesen September geplante Überblicksausstellung zu Yayoi Kusama auf März 2021. Grund: die COVID-19-Pandemie.

Lee Mingwei: Li, Geschenke und Rituale im Gropius Bau - Durch Open Call in den Living Room
Die Sammlung Usakowska & Wolff in der Ausstellung Lee Mingwei

Zwischen den Jahren: Von Januar bis Dezember 2019
Ein Blick zurück auf sehenswerte Ausstellungen, gute Besprechungen und schöne Erinnerungen. Heute: The Black Image Corporation. Theaster Gates im Gropius Bau (von Ferial Nadja Karrasch)

Lee Mingwei oder die Kunst der Kommunikation
Ausstellungsbesprechung: Nächste Jahr richtet der Gropius Bau die erste Retrospektive von Lee Mingwei in Berlin aus. Weil seine Projekte einen partizipativen Charakter haben, sucht der Künstler Berlinerinnen und Berliner, die sich daran persönlich beteiligen.

Reflexionen über den Zustand der Gegenwart
Ausstellungsbesprechung: Die Ausstellung „Garten der irdischen Freuden“ am Gropius-Bau nimmt die Komplexität und Widersprüchlichkeit unserer Zeit unter die Lupe.

Presse: Im Elektrohimmel Christina Tilmann / Tagesspiegel (25.10.07)

top

zur Startseite

Anzeige
SPREEPARK ARTSPACE

Anzeige
artspring berlin 2024

Anzeige
Magdeburg unverschämt REBELLISCH

Anzeige
Alles zur KI Bildgenese

Anzeige
Responsive image

Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Kunsthochschule Berlin-Weißensee




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Haus am Lützowplatz / Studiogalerie




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
neurotitan




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
ifa-Galerie Berlin




© 1999 - 2023, art-in-berlin.de Kunstagentur Thomessen Hartlieb-Kühn GbR.