16 Uhr: zwischen der Künstlerin Cornelia Herfurtner und David Polzin im Rahmen der Ausstellung "Die Kids sind nicht alright!". Galerie Adlershof im Kulturzentrum Alte Schule | Dörpfeldstraße 54-56 | 12489 Berlin
Schwarzer Stahl, Wachstumslampen, Pflanzen, Holz, Sheabutter, Bücher, Monitore, Teppiche, Piano, Installationsansicht, Rashid Johnson. Fly Away Hauser & Wirth, New York NY, 2016.
Rashid Johnson, Courtesy: der Künstler und Hauser & Wirth
Die Ausstellung „Garten der irdischen Freuden“ am Gropius-Bau nimmt die Komplexität und Widersprüchlichkeit unserer Zeit unter die Lupe.
Draußen, vor den Museumstüren, bemisst sich die Zeit an diesem Donnerstagvormittag eher in den Abständen zwischen den kühlenden Schattenplätzen denn in Minuten und Stunden. Touristen bewegen sich durch die Straßen, indem sie von einem Schatten zum nächsten trotten, das sonnengeflutete Gelände des Erinnerungsortes Topographie des Terrors ist ungewöhnlich leer und vor dem Abgeordnetenhaus gegenüber des Gropius-Baus hat die wachhabende Polizistin ihren Posten im Sonnenschutz des Denkmals bezogen.
Drinnen, hinter den Drehtüren des Gropius-Baus, wecken verträglichere Temperaturen überhitzte Lebensgeister wieder zum Leben, wird das Denken aus dem Stand by-Modus geholt. Und das ist gut so, denn die neu eröffnete Ausstellung ist kein Ort, an dem man sich passiv berieseln lassen könnte. Entgegen den durch den Titel „Garten der irdischen Freuden“ hervorgerufenen Assoziationen erwartet die Besucherin hier nichts, nein, das wäre auch nicht treffend, sagen wir: nicht nur Erquickliches. Ausgehend von dem Motiv des Gartens wirft die Schau einen Blick auf den Zustand der Welt und dieser präsentiert sich derzeit eben nicht gerade als ein Status quo der Wonnen und Freuden.
Öl auf Holz, auf Leinwand übertragen, 182 x 168 cm, Privatsammlung
Inspiriert von Hieronymus Boschs Triptychon „Garten der Lüste“ – gezeigt wird eine in der Nachfolge Boschs entstandene Version des Gemäldes – führt die von Stephanie Rosenthal und Clara Meister kuratierte Ausstellung das Paradiesische und Katastrophische zusammen. In den Arbeiten der 22 internationalen Künstlerinnen und Künstler wird der Garten nicht nur zur Quelle irdischer Freuden, wie beispielsweise in Pipilotti Rists „Homo sapiens sapiens“ (2005) oder der friedlichen, psychedelisch angehauchten Selbstauflösung wie in Yayoi Kusamas „With All My Love for the Tulips, I Pray Forever“ (2013–2019), sondern auch zum Ausgangspunkt des irdischen Chaos und der irdischen Ausgrenzung.
Fiberglas, verstärkter Kunststoff, Urethanfarbe und Aufkleber, Maße variabel,
Installationsansicht Shanghai MoCA, 2013–2014
Yayoi Kusama, Courtesy: Ota Fine Arts, Tokyo / Singapore / Shanghai
Dass das Paradies die Ab- und damit auch oft die Ausgrenzung schon im etymologischen Sinne beinhaltet, wird gleich zu Beginn klargemacht: Im ersten Raum liegt ein riesiger persischer Teppich aus dem späten 18. Jahrhundert, dessen Muster einen paradiesischen Garten wiedergibt. Das Konzept des Gartens, so erfährt man hier, ist zurückzuführen auf den altpersischen Begriff pairidaeza, wobei sich pairi mit um und daeza mit Wand übersetzen lassen. Der Garten wird somit als ein abgegrenzter Raum definiert, der sowohl den Aspekt des Schutzes als auch die Möglichkeit zur Ausgrenzung und Abschottung beinhaltet.
Letztgenannte Funktionen des Gartens thematisiert die südafrikanische Künstlerin Lungiswa Gqunta in ihrer Arbeit „Lawn I“ (2019). Die Installation besteht aus zerbrochenen, scharfkantigen Glasflaschen, die zu einer bedrohlichen „Grünfläche“ angeordnet sind. Sie sind eine Referenz an die Gewohnheit weißer südafrikanischer Gartenbesitzer, ihre Zäune mit ebensolchen Flaschen zu versehen um Fremde davon abzuhalten, die Flächen zu betreten. Diese Maßnahmen richten sich vornehmlich gegen Mitglieder der Schwarzen Communitys, die zu diesen abgegrenzten Räumen lediglich Zutritt erhalten, um hier zu arbeiten. So wird der Garten zu einem Zeichen der Unterdrückung der schwarzen Südafrikaner*innen, des Ausschlusses und der Unterscheidung zwischen Arm und Reich.
Ein paar Räume weiter ordnete die australische Künstlerin Libby Harward in der Installation "Ngali Ngariba" (We Talk) (2019) Pflanzen unter gläsernen Terrarien an. Sie sind dem Botanischen Garten Berlin entliehen, wohin sie als Mitbringsel europäischer Erkundungsreisen in die „Neue Welt“ gebracht wurden und nun in Beeten wachsen, die „als Kataloge der beherrschten Länder und Flora“ fungieren. Während diese Pflanzen, die auf Instagram und Pinterest auf keinem Wohnungs-Bild fehlen dürfen, längst zum festen Bestandteil jeden modebewussten Haushalts geworden sind, fragen sie sich in Harwards Installation in den jeweiligen Sprachen der Gebiete aus denen sie ursprünglich kommen: „Warum bin ich hier?“. Die Arbeit erzählt nicht nur von Kolonialisierung und Entfremdung, sie verweist auch auf die indigenen Kulturen, denen der Besitz von Land und Lebewesen fremd ist. „In unserer Kultur gehören wir alle zu dem Land, in dem alle Dinge miteinander verbunden sind (…). Wir hören den Pflanzen zu und sie hören uns zu,“ schreibt Harward. Was würden unsere Bäume und Blumen erzählen, wenn wir ihnen zuhörten, was würden uns die Wälder zuraunen, die derzeit einer neuen Hitzewelle ausgesetzt sind, ohne über die notwendigen Wasserreserven zu verfügen?
Videostill, 4K, Farbe, Ton, 20 min
Zheng Bo
Um eine neue Qualität der Begegnung mit Pflanzen geht es auch in Zheng Bos „Pteridophilia 1-4“ (2016-2019). In einem Taiwanischen Wald treten die männlichen Protagonisten der Videos in intimen Kontakt mit den in der traditionellen taiwanischen Kultur geschätzten Farnen. Sie werden zu einem gleichberechtigten Gegenüber, zu einem empfindsamen Teil eines Liebesspiels, werden liebkost und geküsst. „Pteridophilia 1-4“ ist ein sinnliches Manifest für die Ablösung von der anthropozentrischen Weltanschauung, für ein Mehr an Respekt, Fürsorge und Bescheidenheit.
In direkter Nachbarschaft zu dieser Arbeit, verdeutlicht Hicham Berradas „Mesk-Ellil“ (2015) eben jene anthropozentrische Haltung des Menschen, der in die Natur eingreift, um sie sich so zu gestalten, wie er sie haben möchte. In mehreren Terrarien wachsen
Nachtjasmin-Pflanzen, die ihren intensiven Geruch nur bei Nacht abgeben. Um den Besucherinnen und Besuchern dieses olfaktorische Erlebnis zu ermöglichen, wird durch Raumverdunklung der Rhythmus der Pflanzen den Öffnungszeiten des Museums angepasst. Ihren Lockstoff verströmen die Pflanzen hierbei natürlich vergeblich, weil ausschließlich zum Genuss der Museumsbesucher*innen.
Der Anthropozentrismus ist in Heather Phillipsons Installation längst passé. In „Mesocosmic Indoor Overture” (2019) entwirft sie ein Post-Klimawandel-Szenario: Ein Garten, in dem der Mensch seine Vormachtstellung eingebüßt hat und zum Teil des Kreislaufs aus Leben, Sterben und Verwertung geworden ist.
Der Ausstellung geht es um Gegensätze, um „Utopie und Dystopie, Harmonie und Chaos, Eros und Perversion, Natürlichkeit und Künstlichkeit“, so heißt es im Ausstellungstext, und diese Gegensätzlichkeit, diese Wechsel zwischen Verschiedenem werden auch in der Ausstellungsdramaturgie spürbar. Sie ändert ihren Rhythmus von Raum zu Raum, ist hier laut und dort leise, sie spricht in einem Raum mehrere Sinne gleichzeitig an, um die Konzentration im nächsten Raum wieder auf einen Sinn zu lenken. Und sie hinterlässt Spuren. Die Arbeiten wirken nach, noch lange nachdem die Besucherin den Gropius-Bau durch die Drehtür verlassen hat und sich von Schatten zu Schatten durch die viel zu heißen Straßen kämpft.
Gropius Bau
Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin
www.gropiusbau.de
Titel zum Thema Gropius Bau:
Eine soziale Interaktion - Rirkrit Tiravanija im Gropius Bau
Ausstellungsbesprechung
Eine Ausstellung als Frühlingsfest. Radical Playgrounds - Ein Kunstparcours am Gropius Bau
Ausstellungsbesprechung: Der Gropius Bau will sich zukünftig dem Spielen in seiner gesellschaftspolitischen Dimension widmen. Als Auftakt der Neuausrichtung ist ein großzügiges Spielfeld – Spielgrund – Spielplatz neben dem imposanten Ausstellungshaus installiert worden.
Nutzen steht für Infizieren. General Idea im Gropius Bau
Wer die Ausstellung noch nicht gesehen hat, dem bietet sich heute die letzte Gelegenheit ...
Gropius Bau: Wo Prothesen schweben
Dieses Wochenende bietet sich die letzte Gelegenheit, die Ausstellung „YOYI! Care, Repair, Heal“ zu sehen.
Von der Kälte der Gegenwartskultur: The Cool and the Cold im Gropius Bau
Letztes Ausstellungswochenende: “The Cool and the Cold” bringt Malerei aus den USA und der UdSSR von 1960 bis 1990 aus der Sammlung Ludwig zusammen. Banal – und doch irgendwie Zeichen unserer Zeit.
Kann der Gropius Bau gequeert werden?
Ein Gespräch zwischen Maximilian Wahlich und Sophya Frohberg über die aktuelle Ausstellung "Zanele Muholi" im Gropius Bau.
Mein Freund der Baum ist tot. Ein Interview mit Zheng Bo
Nur noch ein paar Tage ist die Ausstellung Wanwu Council 萬物社 von Zheng Bo im Gropius Bau zu sehen. Wir haben den Künstler zu seinen Arbeiten befragt.
SERAFINE1369 und Ana Prvački: neue Artists in Residence 2021/22 im Gropius Bau
Kurzinfo: Nach dem letztjährigen Artist in Residence, Zheng Bo, und seinen seine Recherchen zur Politik der Pflanzen folgen jetzt SERAFINE1369 und Ana Prvački.
Die Ausstellung Masculinities: Liberation through Photography im Gropius Bau
Die Ausstellung wurde bis zum 17. März 2021 verlängert.
Grüne Kontaktaufnahme: Pflanzen gegen das Anthropozän
Pünktlich zur temporären Schließung spricht Künstler und Theoretiker Zheng Bo im Rahmen seines Residenzprojekts “Botanical Comrades 植物同志” für den Gropius Bau mit ...
Künstler*liste Masculinities in unserer Datenbank
Aus unserem Archiv: Hermann Nitsch in Berlin
2006 gab es erstmals auf art-in-berlin auch Videos zur zeitgenössischen Kunst zu sehen. Eines der ersten war zu Hermann Nitsch "Orgien-Mysterien-Theater" im Gropius Bau. Noch etwas holprig im Ton, trotzdem sehr informativ.
Ausstellung von Yayoi Kusama verschoben
Kurzinfo: Der Gropius Bau verschiebt seine ursprünglich für diesen September geplante Überblicksausstellung zu Yayoi Kusama auf März 2021. Grund: die COVID-19-Pandemie.
Lee Mingwei: Li, Geschenke und Rituale im Gropius Bau - Durch Open Call in den Living Room
Die Sammlung Usakowska & Wolff in der Ausstellung Lee Mingwei
Zwischen den Jahren: Von Januar bis Dezember 2019
Ein Blick zurück
auf sehenswerte Ausstellungen, gute Besprechungen und schöne Erinnerungen. Heute: The Black Image Corporation. Theaster Gates im Gropius Bau (von Ferial Nadja Karrasch)
Galerie im Körnerpark
Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V.
ifa-Galerie Berlin
Galerie Johannisthal
Haus am Lützowplatz