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John Cage - Meister der Grenzauflösung

von Verena Straub (03.04.2012)


John Cage - Meister der Grenzauflösung

In der Akademie der Künste hängt derzeit ein ungewöhnliches Portrait von Marcel Duchamp. Auf den ersten Blick handelt es sich um ein unscheinbares kleines Blatt mit einer einzigen Linie, die das Profil des großen Dada-Vaters nachzeichnet. Bei näherem Hinsehen liest man: “Solo for Voice” (1953) von John Cage. Die Interpretationsanleitung macht schließlich deutlich, dass es sich hier keineswegs um eine simple Portraitskizze handelt, sondern um eine musikalische Partitur der besonderen Art. Die Anweisung lautet: “Folge dem Duchamp-Profil, wobei es so zu drehen ist, dass es eine melodische Linie nahelegt (man liest rauf und runter von links nach rechts). Das Verhältnis dieser Linie zum Stimmumfang ist frei und kann variiert werden.” Kann man Duchamps Nase singen? John Cages Antwort lautet: Ja!

Mit der selben Leichtfüßigkeit mit der Cage ein Portrait zur Arie verwandelt, bewegt er sich auch zwischen den Gattungen Musik, Tanz und Bildender Kunst. Anlässlich seines 100. Geburtstags widmet die AdK dem Komponisten ein ganzes Jahr, um diese verschiedenen Aspekte seines Schaffens zu präsentieren. Während Cages radikale Ideen im Bereich der Musik und sein Einfluss auf die Klangkunst ausgiebig erforscht sind, ist sein visuelles Werk bis heute kaum bekannt. Die Ausstellung “John Cage und ...”, die noch bis zum 17. Juni zu sehen ist, stellt daher den Bildenden Künstler John Cage in den Mittelpunkt und wirft einen Blick auf die Einflüsse aus der modernen Kunst.
Den Anfang der chronologischen Ausstellung bildet eine Leerstelle. Um sie spinnt sich eine Legende, die auch von Cage immer wieder betont wurde: 1935 musste er seinem Lehrer Schönberg das Versprechen geben, sein Leben ausschließlich der Musik zu widmen und die Malerei hinter sich zu lassen. Seine frühen Gemälde sind verschollen. Doch anstatt die Bildkunst ganz aufzugeben, schien Cage sie auf die visuelle Gestaltung seiner Musik-Notationen zu verlagern. Von klassischen Noten-Partituren löste sich Cage immer mehr zugunsten einer freien, zeichnerischen Gestaltung, die nicht nur dem Interpreten viel Freiraum gibt, sondern auch die Grenzziehung zwischen Bild und Notation unmöglich macht.

Eine Wand, die besonders sorgfältig kuratiert ist, zeigt seine Notationen zusammen mit Zeichnungen von Paul Klee, sowie Drucken von Anni und Josef Albers. Cages Partituren aus den 50ern ergeben sich aus übereinander gelegten Transparentfolien mit unterschiedlichen Graphen und Punkten. Durch das Zufallsprinzip verbinden sich die Linien zu verschlungenen Arabesken oder Knotengebilden, die sich auch in den Grafiken von Klee, Anni und Josef Albers wieder finden. Das selbe visuelle Gestaltungsmittel greift Cage zwanzig Jahre später erneut auf. Dieses Mal losgelöst von einer “Funktion” als Notenschrift, als großformatige Monotypie mit verschieden farbigen Abdrücken von Schnüren. Spätestens hier scheint Cage das “Versprechen” an seinen großen Lehrer gebrochen zu haben.

Während die spielerischen, oft dem Zufall überlassenen Notationen von innovativer Radikalität sind, erscheint das rein bildkünstlerische Werk manchmal geradezu traditionell. So zeigt die Ausstellung großformatige Aquarelle, die Cage anschließend mit Feuer und Rauch behandelte. Auch hier haucht der Zufall wieder über das Blatt. Er hinterlässt jedoch nicht (wie in seinen Klangexperimenten) Dekonstruktionen des Geschmacks, sondern zarte Schlieren, die durchaus von gefälliger Ästhetik sind. Sicherlich ist dies nicht der Cage, der uns als Erneuerer und Avantgardist im Gedächtnis bleibt. Und dennoch zeigen diese Arbeiten eine wichtige, unbekannte Seite seines Werks, die ihn als großen Ästhet in den Mittelpunkt rückt und seine vielfältigen Beziehungen zu Bildenden Künstlern wie Mark Tobey oder Morris Graves zeigt.

An manchen Stellen verliert sich die Ausstellung in Andeutungen, die den Betrachter zunächst unbefriedigt zurücklassen. Cages große Faszination mit der Zen-Kunst wird in nur einem Bild abgehandelt, ebenso mager dargestellt ist sein Einfluss auf Fluxus, auf Nam June Paik oder die Zero-Gruppe. Der Kondensationswürfel von Hans Haacke legt zwar interessante Parallelen nahe, steht jedoch etwas eingezwängt und unvermittelt am Rand. Man hätte sich definitiv mehr Raum gewünscht. Doch, einmal abgesehen von all den Einschränkungen, scheint nicht gerade dieses Vorläufige, Unfertige und Skizzenhafte Cages Gedankenwelt am besten widerzuspiegeln?

Den wenigsten ist wohl bekannt, dass sich Cage selbst als Kurator betätigt hat und mit “Rolywholyover: A Circus for Museum by John Cage” eine Zufallskomposition fürs Museum for Contemporary Art in Los Angeles entwarf. Jeden Tag bestimmte ein Zufallsgenerator welche der 150 im Ausstellungsraum deponierten Werke wann und wo im Saal aufgehängt wurden. Auf diese Weise war die Ausstellung in ständigem Fluss und unter konstanter Bearbeitung. Eine “fertige” Ausstellung gibt es nicht. Dies könnte auch als Metapher für die Schau in der AdK gelesen werden. Schade, dass die Berliner Ausstellung den “Rolywholycircus” nur dokumentiert, nicht aber umsetzt. Eine tatsächliche Realisierung dieser wohl unbekanntesten “Komposition” Cages wird jedoch in Salzburg zu sehen sein, wohin die Ausstellung im Sommer wandert. Vielleicht wird sich dort zeigen, dass Cage nicht nur Portraits in Musik verwandeln kann, sondern selbst mit Ausstellungen Zeit-Kunst komponiert.


Ausstellungsdauer: 30. März bis 17. Juni 2012

Akademie der Künste
Hanseatenweg 10
10557 Berlin
adk.de

Öffnungszeiten:
Di-So 11-20 Uhr

Verena Straub

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