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aquamediale 16: Interview mit Andrea J Grote

von art-in-berlin (10.07.2025)


aquamediale 16: Interview mit Andrea J Grote

Ausstellungsansicht: Andrea J Grote, dependenz, © FRAMERATE MEDIA / Stefan Otto

Die aquamediale ist ein internationales Festival für zeitgenössische Kunst im Spreewald. In diesem Jahr findet das Kunstfestival zum 16. Mal statt. Wie immer geht es um hochaktuelle Themen unserer Zeit. So lautet das diesjährige Motto biodiversity, das die Auswirkungen einer gestörten Balance zwischen Mensch und Natur thematisiert.
Aus einem Open Call heraus bewarben sich 204 Künstler:innen aus 10 Nationen, 10 wurden für die aquamediale 16 ausgewählt. In Zusammenarbeit mit dem Kurator Harald Larisch sind nun die vor Ort realisierten Kunstwerke im Biosphärenreservat um Lübben zu sehen.
Über die Dauer des Festivals (31. Mai bis 27. September 2025) stellen wir auf art-in-berlin in regelmäßigen Abständen die Künstler:innen in Kurzinterviews vor.


INTERVIEW

Andrea J Grote ist Fotografin, Bildhauer- und Installationskünstlerin. Sie hat an der Universität der Künste in Berlin und der École des Beaux Arts in Paris studiert.

Carola Hartlieb-Kühn: Liebe Andrea J Grote, Ihre Arbeit, die Sie für die aquamediale geschaffen haben, trägt den Titel dependenz;. Auf welche Abhängigkeiten bezieht sich dieser Titel? Geht es um die Beziehung zwischen Mensch und Natur?

Andrea J Grote: Ja, das ist ein wichtiger Aspekt der Intervention. Es geht in diesem Beitrag um das gesamte System der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen dem Zustand der Flora und Fauna in einem bestimmten Habitat. Wenn die Umwelt gesund und im Gleichgewicht ist, zeichnet sie sich durch eine hohe Biodiversität aus. Der Mensch als Teil der Natur stört dieses Gleichgewicht durch sein Verhalten.
Ich habe mich in meiner raumgreifenden Installation dependenz mit dem aktuellen Thema der Überfischung beschäftigt. Das war und ist ein großes Thema in Lübben, aber noch mehr im Kontext der Weltmeere. Die Lübbener Kahnfahrer erzählten, dass es heute nur noch sehr wenige aktive Fischer gibt und viele Vorschriften, damit auch der Spreewald nicht überfischt wird. Denn wenn durch Überfischung und Umweltverschmutzung eine Fischart, Krebse oder andere Tiere fehlen, hat das große Auswirkungen auf die Nahrungskette. Der Mensch vergisst, dass er Teil dieser Vielfalt ist und Verantwortung für sein Handeln trägt.

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Ausstellungsaufbau: Andrea J Grote, dependenz, © FRAMERATE MEDIA / Stefan Otto

Carola Hartlieb-Kühn: Ihr Beitrag zu aquamediale besteht aus roten Seilen, einem großen Sicherheitsnetz und vier unterschiedlich großen Bögen aus elastischen Stangen, die einen Kanal überspannen. Welche Bedeutung hat die Wahl dieser Materialien?

Andrea J Grote: Die ca. 400 x 400 x 600 cm große, befahrbare Installation (ohne die langen, stabilisierenden Seile) besteht aus diesen Materialien und erinnert an eine überdimensionale Reuse in der Petermann-Spree. Die Stangen bilden vier hintereinander angeordnete Halbkreise unterschiedlicher Größe, die durch das rote Netz miteinander verbunden sind. Durch die Spiegelung im Seitenarm der Spree entsteht der Eindruck einer kompletten Reuse, mit der nicht nur in Lübben, sondern weltweit Fische gefangen werden. Die einzelnen Segmente verjüngen sich nach hinten und die Reuse liegt so im Wasser, dass die Kähne mit den Gästen hindurchfahren müssen. Anders können sie nicht direkt zurück zur Schlossinsel.

Carola Hartlieb-Kühn: Gibt es einen Moment in der Arbeit, von dem Sie sagen würden, dass er sich nur hier, im Spreewald, entwickeln konnte?

Andrea J Grote: Ja, denn es entsteht eine „natürliche“ Dramaturgie: Kommt der Kahn vom künstlich angelegten Burg-Lübbener-Kanal und fährt in die Petermann-Spree zur Haupt-Spree, wird es plötzlich sehr eng, schattig und der schmale Fluss schlängelt sich hier durch den Wald. Links und rechts des Ufers stehen Holzpoller, um die Fließgeschwindigkeit zu regeln. Die Form und Größe der Intervention bezieht sich auf die Bedingungen vor Ort, denn hier kommt man nur langsam, mit dem Paddelboot oder dem klassischen Kahn durch. Diese natürliche Verengung steigert die Wirkung meiner Intervention. Der Kahn oder das Paddelboot kann also nur durch die vergrößerte Reuse hindurch fahren, die zum Ende hin immer enger wird. Die Menschen müssen sich etwas ducken, bedrängt vom Netz, das sie einzufangen droht. Im sprichwörtlichen Sinne „erfährt“ der Mensch im Boot sitzend, fast körperlich, die sich zuspitzende Situation. Er wird Teil der Installation und spürt – ähnlich wie vielleicht die Fische – die bedrohliche Situation, die er jedoch selbst herbeigeführt und zu verantworten hat.

Carola Hartlieb-Kühn: Spielt der ökologische Aspekt auch in Ihrem übrigen künstlerischen Schaffen eine Rolle?

Andrea J Grote: Eine weitere intensive Auseinandersetzung beschäftigt sich mit den ökologischen und ökonomischen Einflüssen des Menschen auf die Natur: In meiner langfristig angelegten Werkreihe zum Thema snowfarming (seit 2016) geht es um die starke touristische Nutzung der österreichischen Bergwelt insbesondere zur Schisaison. Die Landschaft verändert sich massiv durch den Bau von Schneekanonen, Speicherseen, Zufahrtswegen, Wasser- und Stromleitungen, Hütten, die immer mehr in die Berge hineingebaut werden und dann im Sommer deplatziert am Hang stehen. Aber neben den inhaltlichen Anliegen spielen natürlich auch die Ästhetik, Materialität und Form eine große Rolle.

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Ausstellungsansicht: Andrea J Grote, dependenz, © FRAMERATE MEDIA / Stefan Otto

Carola Hartlieb-Kühn: Als wesentliches Merkmal ist mir in Ihren früheren Werken die sinnliche Qualität im Gedächtnis: sich überlagernde Strukturen, lasierende Farbspuren, geschichtetes Papier, Glas, transparente Stoffe und auffällige Faltungen. Wie würden Sie den sinnlichen Aspekt von dependenz beschreiben?

Andrea J Grote: dependenz bezieht sich sowohl in der Größe als auch in der Materialität auf Installationen, die ich in Stoff ausgeführt habe. In beiden Fällen setze ich mich mit der visuellen Präsenz, den Veränderungen und der Geschichte eines Ortes auseinander. Sowohl durch das rote Netz von dependenz als auch durch die schwarzen Stoffformen z.B. in der Installation OT (Kreuzung, Berlin, 1 min, 12.8.1999, 10.29 Uhr) spielt die Betrachterin bzw. der Betrachter eine große Rolle. Denn sie bewegen sich vor und in den Installationen und gestalten deren Wirkung maßgeblich mit. Je nach Wetter, Lichteinfall und Geschwindigkeit wirkt das sich überlagernde Netz fast wie eine „Membran“ und sehr unterschiedlich dicht. Die Reuse bildet einen eigenen Raum, der zwar durchsichtig ist und das Umfeld erkennen lässt, dennoch entsteht eine Trennung. Je nach Blickwinkel sind die Passagiere im Kahn oder die Paddler in beiden Räumen: in einem bedrängenden „Innen“- aber auch in einem offenen „Außenraum“, die Natur.

Carola Hartlieb-Kühn: Welche Rolle spielt dabei die Farbe des Netzes?

Andrea J Grote: Die sinnliche Qualität liegt auch in der Farbe des roten Netzes, das in starkem Kontrast zur grünen Umgebung steht. Mit den langen roten und gelben Sicherungsseilen wirkt die Intervention schon aus der Ferne wie ein Fremdkörper, ein Insekt oder ein Ufo, das dem Natur-Raum eine neue Bedeutung gibt. Durch die Überlagerung des Netzes kann die Besucherin und der Besucher den Raum zunächst nicht erfassen und ist von der Größe der Form überrascht. Die Signalfarbe lässt schon von weitem Gefahr erahnen und die Spannung steigt, bis die Hindurchfahrenden es geschafft haben, aus der Reuse wieder herausgekommen zu sein.

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