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Berlin Daily 19.06.2025
Kurator:innenführungen

17 Uhr: im Rahmen der Ausstellung MENSCH BERLIN Stiftung Kunstforum Berliner Volksbank | Kaiserdamm 105 | 14057 Berlin

aquamediale 16: Interview mit Nicole Schuck

von art-in-berlin (04.09.2025)


aquamediale 16: Interview mit Nicole Schuck

Nicole Schuck, Weichtier #1, Grafit und Bleistift auf Papier, 70 × 100 cm, 2024, Foto: Beat Brogle

Die aquamediale ist ein internationales Festival für zeitgenössische Kunst im Spreewald. In diesem Jahr findet das Kunstfestival zum 16. Mal statt. Wie immer geht es um hochaktuelle Themen unserer Zeit. So lautet das diesjährige Motto biodiversity, das die Auswirkungen einer gestörten Balance zwischen Mensch und Natur thematisiert.
Aus einem Open Call heraus bewarben sich 204 Künstler:innen aus 10 Nationen, 10 wurden für die aquamediale 16 ausgewählt. In Zusammenarbeit mit dem Kurator Harald Larisch sind nun die vor Ort realisierten Kunstwerke im Biosphärenreservat um Lübben zu sehen.
Über die Dauer des Festivals (31. Mai bis 27. September 2025) stellen wir auf art-in-berlin in regelmäßigen Abständen die Künstler:innen in Kurzinterviews vor.


INTERVIEW

Die Künstlerin Nicole Schuck beschäftigt sich in ihrem Werk, das Zeichnungen, Installationen und Projekte umfasst, mit natürlichen und urbanen Lebensräumen, aber auch mit Ökologie und Naturschutz. Oft steht sie bei ihren Projekten in engem Austausch mit Wissenschaftler:innen.

Carola Hartlieb-Kühn: Liebe Nicole Schuck, ein Schwerpunkt Ihrer künstlerischen Arbeit liegt auf der Auseinandersetzung mit natürlichen und urbanen Lebensräumen bzw. mit Ökologie, Naturschutz und der Tierwelt. Für Sie ist wahrscheinlich das Biosphärenreservat Lübben ein guter Platz zum Arbeiten, oder?

Nicole Schuck: Ja, es ist ganz wunderbar aus mehreren Gründen. Das Biosphärenreservat ist ein lebendiges System – aus Wasserwegen, feuchten Wiesen, alten Bäumen – in dem eine einzigartige Fauna und Flora in beeindruckender Vielfalt beheimatet ist. Mich interessieren diese komplexen Lebensräume von Menschen und anderen Lebewesen, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen. Spannend ist zudem, dass die Spree – die dieses Gebiet durchzieht – nicht nur lokal von Bedeutung für die Wasserversorgung ist: Sie versorgt weite Teile Berlins mit Trinkwasser. Die Hauptstadt hängt gewissermaßen an diesem kleinen Fluss wie an einem Wassertropf, nur dass sich der Durchfluss mit der Klimakrise und dem Kohleausstieg in der Lausitz in den kommenden Jahren deutlich verringern dürfte.  
Wasser ist existenziell – nicht nur für uns Menschen, sondern für alle Lebewesen. Es verbindet, durchdringt und versorgt. Es ist mehr als ein Stoff – es ist ein Träger von Leben, und diese zahlreichen Wasserwege machen den Spreewald so besonders. Ist doch irre, dass wir selbst zu etwa 70 Prozent im Erwachsenenalter aus Wasser bestehen, das muss man sich mal bewusst machen.

Carola Hartlieb-Kühn: Das Thema der diesjährigen aquamediale lautet “biodiversity”. Wie hat sich hier die Idee herauskristallisiert, gerade das Kleinste vom Kleinen in den Blick zu nehmen? Ihre Arbeit heißt: „Die Kleinsten gerade noch sichtbaren. Makrozoobenthos im Spreewald“.

Nicole Schuck: Ich frage mich, was auf engstem Raum mit uns lebt. Wer gehört eigentlich zu unserer
Lebensgemeinschaft, ohne dass wir unsere Mitbewohner:innen wahrnehmen oder kennen? Wer bewegt sich unterhalb der sichtbaren Oberflächen? Also, schauen wir doch mal – hier im Spreewald – unter der Wasseroberfläche genauer hin. Und siehe da, die Vielfalt der Kleinsttiere in den Fließgewässern ist beeindruckend. Diese Tierchen werden als Makrozoobenthos bezeichnet. Sie geben Auskunft über die Wasserqualität und sind besonders wertvoll im Ökosystem und damit auch für uns Menschen: Die Kleinsten filtrieren das Wasser, verspeisen organisches Material am Flussgrund und sind Nahrungsquelle für größere Tiere wie Fische. Also absolut notwendig für das Gleichgewicht in dem Ökosystem. Zudem sind sie zeichnerisch für mich sehr spannend.

Im Austausch mit dem Biologen Dr. Reinhard Müller vom Planungsbüro Hydrobiologie, der die Fließe des Spreewalds beprobt, konnte ich diese Organismen näher kennenlernen. Exemplarisch wählte ich aus seiner Artenliste sieben Spezies aus, die einen Einblick in die wunderbare Vielfalt des Unterwasserlebens dort geben. Neben den ökologischen Betrachtungen spielte auch der ästhetische Wert eine bedeutende Rolle für meine Handzeichnungen. Ich erkundete zeichnerisch sieben einzelne Subjekte, stellvertretend für ihre Spezies, beispielsweise aus der Gruppe der Köcherfliegen, Wasserkäfer und Strudelwürmer. Die Arbeit ist eine Einladung, sich dem Kleinmaß zuzuwenden – denn Biodiversität beginnt oft dort, wo wir aufhören hinzusehen. Ihr Verlust hätte nicht nur eine Bedrohung der Biodiversität und Lebensgrundlage zur Folge, sondern einen Verlust der menschlichen Selbsterfahrung in Bezug auf die Natur. Mein Anliegen ist es, für die Thematik zu sensibilisieren und gleichzeitig eine künstlerische Unabhängigkeit in der Umsetzung zu wahren.

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Ausstellungsansicht: Nicole Schuck, Wasserschnecke Flagge, Foto: © Nicole Schuck

Carola Hartlieb-Kühn: Vermutlich kennen sich nicht alle in der Welt des Makrozoobenthos aus. Könnten Sie uns kurz erklären, was es mit diesen Kleinstorganismen auf sich hat?

Nicole Schuck: Makrozoobenthos – das sind wirbellose Tiere, die im oder am Boden von Fließgewässern leben und mit bloßem Auge gerade noch erkennbar sind. Darunter finden sich Eintagsfliegen, Wasserasseln, Muscheln oder Schnecken. Sie sind faszinierende Lebewesen mit beeindruckender Formenvielfalt – und zugleich hochsensible Bioindikatoren. Ihre Anwesenheit oder ihr Fehlen sagt viel über die Wasserqualität aus. Sie sind Teil eines fein abgestimmten Systems, das das Wasser reinigt und die Nahrungskette in Bewegung hält. Es sind kleine Lebewesen mit großer Wirkung – und genau deshalb sollte ihnen unsere Aufmerksamkeit gelten. 

Carola Hartlieb-Kühn: Das Ganze scheint im ersten Moment wie ein Forschungsprojekt. Wie sind Sie bei Ihrer Arbeit vorgegangen? Haben wissenschaftliche Untersuchungen eine Rolle gespielt?

Nicole Schuck: Ich arbeite häufig mit Expert:innen aus verschiedenen Feldern wie Biologie, Philosophie oder aus praktischen Lebensbereichen. In diesem Projekt war der Austausch mit dem Biologen Dr. Müller entscheidend. Seine Erhebungen im Spreewald haben es mir ermöglicht, konkrete Spezies und Individuen auszuwählen, die für die Lebensgemeinschaft bedeutend und zugleich ästhetisch reizvoll sind.

Ich nähere mich diesen Tieren zeichnend – das ist eine Form der Erkenntnis, die nicht primär dokumentiert, sondern erforscht. Zeichnen ist für mich kein Abbilden, sondern ein Sich-in-Beziehung-Setzen und folgt einer eigenen, eben zeichnerischen, Logik. Die Beobachtung, die Imagination, die Linie, der Raum, die Atmosphäre, das Weglassen und Verdichten – all das formt eine künstlerische Auseinandersetzung, die zugleich forschend ist. Das Weiß des Zeichengrundes, die unbezeichnete Fläche, ist dabei ein ebenso wichtiger Bestandteil der Zeichnung wie die gezeichneten Elemente selbst und öffnet den Raum für die eigene Verortung und das Imaginäre. 

Carola Hartlieb-Kühn: Sie zeigen zur aquamediale 14 Flaggen mit eben jenen Kleinstorganismen. Welche Idee liegt der künstlerischen Umsetzung zugrunde?

Nicole Schuck: Die Flagge ist ein Zeichen der Sichtbarkeit, des Anspruchs, der Präsenz, des Territoriums. Normalerweise wehen darauf Wappen, Symbole oder Logos – ich ermögliche stattdessen den kleinen Tieren aus dem Wasser Präsenz oberhalb der Wasserkante und verdeutliche so ihre Teilhabe an der Spreewald-Lebensgemeinschaft. Sie sind sonst unten im Wasser verborgen, und jetzt bewegen sie sich oben über den Köpfen der Betrachter:innen im Wind und rücken so ins Bewusstsein.  
Die Zeichnungen auf den Flaggen zeigen sieben Tiermotive verschiedener Arten, die exemplarisch für das Leben unter Wasser stehen. Sie sind Teil einer Multispeziesgesellschaft, zu der auch wir Menschen gehören – und für das wir Sorge tragen. Der Wind, der die Flaggen bewegt, trägt zudem das Bild eines verletzlichen Ökosystems mit sich. Tag und Nacht sind die Flaggen den klimatischen Verhältnissen ausgesetzt, die sich über die Dauer der aquamediale 16 in den Stoff einschreiben werden: eine Allegorie auf das Ökosystem, das permanent positiven wie negativen Einflüssen unterliegt, die langfristig ihre Auswirkungen zeigen.

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Ausstellungsansicht: Nicole Schuck, Taumelkäfer, Flohkrebs, Koecherfliege - Flaggen, Foto: © Nicole Schuck

Carola Hartlieb-Kühn: Bei der Beschäftigung mit Ihren Arbeiten bin ich über den Begriff der „Ökosystemleistung” gestolpert, der mit wirtschaftlichen Bewertungssystemen zusammenhängt. Können Sie darüber etwas sagen, auch im Hinblick auf Ihre Arbeit hier im Spreewald?

Nicole Schuck: Der Begriff ist hilfreich – und zugleich problematisch. Als Ökosystemleistungen werden die Dienstleistungen der Natur ausschließlich für den Menschen bezeichnet. Er macht folglich die Bewertung natürlicher Prozesse und Stoffe deutlich, die allein auf den Nutzen für den Menschen hin bemessen werden: sauberes Wasser, Rohstoffe, Nahrung, Luft, Biodiversität. Im Spreewald leistet das Makrozoobenthos genau das: Es reinigt das Wasser, hält Nährstoffe im Kreislauf, schafft Lebensgrundlagen, auch für den Menschen.

Aber ich möchte weitergehen als die rein funktionale Sicht: Mir geht es ebenso um eine bedingungslose, nicht-utilitaristische Wertschätzung der einzelnen Lebewesen. Jedes Tier ist mehr als seine „Leistungen“ – es ist ein Subjekt mit einem Eigenwert, ein Ko-Existierender mit vielen nicht messbaren Werten. Das ist es, was ich mit meiner künstlerischen Arbeit zeigen möchte: das Recht auf Existenz jenseits des Nutzens für den Menschen.

Carola Hartlieb-Kühn: Sie arbeiten häufig mit Wissenschaftler:innen zusammen, beispielsweise mit dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) für Ihr Projekt “Geschätzte Meerestier”. Was interessiert Sie an der Schnittstelle Kunst – Wissenschaft?

Nicole Schuck: Mich interessiert das, was dazwischen liegt – zwischen Modell und Vorstellung, zwischen Messung und Wahrnehmung. Verkürzt gesagt: Wissenschaft schafft Faktenwissen – Kunst hingegen öffnet sinnliche Möglichkeitsräume. In der Zusammenarbeit entsteht ein Drittes: eine Form der sinnlichen Erzählung, der Imagination, die beides verbindet.

Carola Hartlieb-Kühn: Und was verbindet wissenschaftliche Arbeit mit Ihrer künstlerischen Praxis?

Nicole Schuck: Beide erfordern Neugier, Experimentierlust, Präzision, Ausdauer und ein Aushalten von Ungewissheit. Wenn ich mich zeichnerisch einem Wildtier nähere, samt seinem Lebensraum, seinen Spuren und Beziehungen, dann tue ich das mit einer forschenden Haltung. Meine Zeichnungen setzen sich aus verschiedenen Schichten zusammen: aus recherchierten Daten, eigenen Beobachtungen, Imagination, Verbundenheit und aus den Linien selbst. Sie spielen mit der Nähe zu wissenschaftlichen Zeichnungen, aber sie widersetzen sich der Reduktion auf das Wesentliche einer Tierdarstellung. Ich arbeite nicht mit Vereinfachung, sondern mit Verdichtung, der Detailfülle. So wird sichtbar, was sonst verborgen bleibt – nicht nur visuell, sondern auch emotional.
Mir geht es nicht um die Illustration von wissenschaftlichen Fakten oder Ergebnissen, sondern um die gegenseitige Befruchtung der jeweiligen Felder. Qualitäten, die der Kunst und den Wissenschaften immanent sind, in Beziehung zu setzen und die feldspezifischen Methodiken, Denkweisen und Strategien im jeweils anderen Feld einzusetzen und zu erweitern, kann meiner Erfahrung nach für beide Felder förderlich sein.

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