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Berlin Daily 20.04.2024
Künstlerinnengespräch

17 Uhr: im Rahmen der Ausstellung Luise Marchand & Laura Schawelka »All Beauty Must Die« Villa Heike | Freienwalder Str. 17 | 13055 Berlin

Dramen in der Petrischale - [macro]biologies II: organisms

von Verena Straub (04.06.2014)
vorher Abb. Dramen in der Petrischale - [macro]biologies II: organisms

Brandon Ballengée, "Un Requiem pour Flocons de Neige Blessés (A Requiem for Injured Snowflakes)", Video still, 2009 2012

Unter dem Titel „[macro]biologies II: organisms“ stellt der Weddinger Projektraum „Art Laboratory Berlin“ drei Künstler vor, die das Verhältnis zwischen Mensch und Organismus neu ausloten.

Der Anblick hat durchaus etwas Apokalyptisches: Aschfahle Froschleiber, die in expressiver Verrenkung ihre verstümmelten Schenkelchen vor die Linse pressen. Man fühlt sich an Paul Thomas Andersons berühmte Szene aus „Magnolia“ erinnert, in der es massenweise Kröten vom Himmel regnet, die auf Asphalt und Windschutzscheiben klatschen. Doch bei Brandon Ballengées Fotografien handelt es sich weder um biblische Plagen noch um hollywoodsche Endzeitdystopien, sondern um die Realität in europäischen Gewässern, in denen immer mehr Amphibien grausige Deformationen aufzeigen. Ein Resultat der blutigen Streifzüge massenmörderischer Libellen, die mit Vorliebe Froschbeine verspeisen und die armen Tierchen bei lebendigem Leibe massakrieren. Das Problem: Die Libellen fühlen sich ausgerechnet in den von Menschen verunreinigten Gewässern pudelwohl. „Requiem pour Flocons de Neige Bléssés (A Requiem for Injured Snowflakes)“, so nennt der amerikanische Künstler, Biologe und Aktivist die ätherisch im Photoshop-Wolkenhimmel schwebenden Froschleiber, die derzeit im „Art Laboratory Berlin“ zu sehen sind. Für den zweiten Teil der bemerkenswerten Ausstellungsreihe „[macro]biologies & [micro]biologies“ wurden drei Künstler ausgewählt, die sich in unterschiedlichster Form mit Organismen beschäftigen. Dabei fällt auf: Worum es in allen Arbeiten eigentlich geht, ist deren tragisches, symbolisches oder technologisches Verhältnis zum Menschen. Ein Verhältnis, das zu Beginn des 21. Jahrhunderts ganz neu definiert werden muss.

Nun haben verkrüppelte Froschleichen erst mal kein besonders großes Empathiepotenzial. In Kleinkindgröße auf die Leinwand projiziert erwecken Ballengées hochauflösend gescannte Amphibien jedoch keineswegs Ekel, sondern fast schon eine Art mütterlicher Beschützerinstinkt (eine Identifikation, die der Bio-Aktivist ganz bewusst überspitzt). Um die Stresssituationen der Frösche zu erforschen, inszeniert Ballengée die Gräuelszenen der Wasserwelt schließlich unter Laborbedingungen nach. Die dabei entstandenen Videos zeigen wahre Dramen, in denen alle existenziellen Themen zwischen Leben und Tod verhandelt werden: In „Prana“ werden wir Zeuge des letzten Atemzugs eines verletzten Frosches, der im 8-Minuten-Loop für immer zwischen Leben und Tod gefangen sein wird. „Hysteria“ erzählt eine Parabel vom Drang nach Freiheit, wenn ein Blutegel den aussichtslosen Versuch unternimmt, sich aus der Petrischale zu befreien. Was sich hier unter dem Mikroskop abspielt, könnte aber auch Stoff für blutigste Splatterfilme liefern. Zum Beispiel dann, wenn sich Kaulquappen in einem Akt ungezügelten Kannibalismus gegenseitig auffressen („Consume“).

Maja Smrekar, BioBASE, © Jure Erzen

Doch auch unter Menschen könnte Kannibalismus bald eine neue Dimension bekommen – zumindest wenn es nach der slowenischen Künstlerin Maja Smrekar geht. Aus ihrer eigenen DNA stellte die Künstlerin unlängst ein Enzym her, das dann für die Produktion von Joghurt genutzt wurde („Maya YogHUrt“). Eine intelligente Lösung für die Ernährungsprobleme der Welt – oder eine Perversion biotechnologischer Möglichkeiten? In der Ausstellung zeigt Smrekar jedoch eine andere Arbeit, die sich ähnlich wie Ballengées Frösche mit der genetischen Deformation von Lebewesen beschäftigt, in diesem Fall mit sogenannten „invasiven“ Spezies, die sich explosionsartig vermehren und damit zu einer Gefahr für das gesamte Ökosystem werden. Ein solcher Bio-Imperialist ist der zur Doppelgeschlechtlichkeit mutierte Marmorkrebs, der sich in rasender Geschwindigkeit selbst klonen kann. In einem A-förmigen Designobjekt hausen sie nun: rechts die konventionellen Männchen, links die asexuellen Mutanten-Krebse. Auge in Auge mit ihren genetischen Vorfahren. Eine Konfrontation zweier Welten: indigen und invasiv. Natur und Kultur. Eine Art Metallbrücke verbindet die beiden Aquarien. Einzig die Frage, was passiert, wenn sich die beiden begegnen, bleibt offen. Doch das eigentümliche Design-Labor verweist auch auf die invasive Spezies schlechthin: den Menschen. Um die vom Menschen verdrängten, vom Aussterben bedrohten Organismen zu retten, soll dieses futuristische (und durchaus ironisch zu verstehende) Do-it-yourself Labor schließlich jeden zum Bio-Aktivisten machen.

Suzanne Anker, "Remote Sensing Plaster", pigment and resin, 2013

Auch Suzanne Anker zeigt, dass Kultur und Natur längst ununterscheidbar ineinanderfließen. Blickt man in die Petrischalen der amerikanischen Künstlerin treffen Perlen auf Tomaten, Nacktschnecken auf Stahlwolle, schimmelnde Eier und Rosen. Barocke Stillleben, die von Vanitas-Kitsch nur so überborden. Das eigentlich Spannende geschieht dann, wenn Anker die Ästhetik der wild wuchernden Bakterien auf codegesteuerte Drucktechnologien überträgt. Die Daten der abfotografierten Biotope werden von einem 3D-Drucker gelesen und Schicht für Schicht neu interpretiert. Die faszinierenden Welten, die sich in den Petrischalen auftürmen, sind Produkte des Zufalls, der Kunst und der Natur – aber auch Zeichen der Angst. Denn diese technisch produzierten Gebilde entziehen sich der Kontrolle des Menschen. Nicht zuletzt rufen sie jene Forschungen der Biotechnologie in Erinnerung, nach denen bald schon menschliche Gewebe und Organe fließbandartig aus dem Drucker kommen sollen. „Things that are going on in labs are very inspiring. Dangerous, but inspiring,“ so schreibt Suzanne Anker in einem Interview. „In the art world there has been too much of a gravitational shift towards entertainment and popular culture when there are some really fabulous things being done in science; artists are well poised to enter into that dialogue.“ Wie fruchtbar dieser Dialog sein kann – und zwar abseits vom zunehmend inflationär gebrauchten Trend-Label „Artistic Research“ – davon kann man sich in dieser Ausstellung überzeugen.

[macro]biologies II: organisms
Ausstellungsdauer: 31. Mai – 20. Juli 2014

Art Laboratory Berlin
Prinzenallee 34, 13359 Berlin
Öffnungszeiten: Fr-So 14-18 Uhr

artlaboratory-berlin.org

Verena Straub

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